Wenn über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland debattiert wird, geht es schnell um konkrete Programme. In der Wahrnehmung vieler Kritiker dominieren bei ARD und ZDF heutzutage Krimis, belanglose Quizshows und Trödelsendungen. Erst vor wenigen Tagen beschwerte sich RTL-Chefin Anke Schäferkordt darüber, dass die Öffentlich-Rechtlichen in den letzten 20 Jahren in immer mehr Gebiete vorgedrungen seien, "in denen die Privaten zu Hause sind". Auch die Politik diskutiert längst einen Strategieschwenk: Sechs Bundesländer haben sich zusammengetan und fordern, dass sich ARD und ZDF künftig auf die Bereiche Information, Kultur und Bildung konzentrieren sollen - und nicht mehr auf die Unterhaltung.
Auch die Monopolkommission, ein Beratergremium der Bundesregierung, schlug zuletzt in eine ganz ähnliche Kerbe und schlug vor, dass sich Öffentlich-Rechtliche im Netz nur noch auf Public-Value-Inhalte konzentrieren sollen (DWDL.de berichtete). "Die Online-Angebote der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sollten vor allem Inhalte von besonderer gesellschaftlicher und kultureller Relevanz umfassen, die von privaten Anbietern nicht in einem ausreichendem Maße angeboten werden", so der Vorsitzende der Monopolkommission, Achim Wambach. Das Problem: Was genau sind eigentlich "Public-Value-Inhalte" und wer soll entscheiden, welche Inhalte mit "gesellschaftlicher und kultureller Relevanz" bei den Privaten zu kurz kommen?
Das ZDF will sich auf Anfrage lieber gar nicht zu dem Thema und dem Bericht der Monopolkommission äußern. Bei der ARD zeigt man sich unterdessen gelassen. "Uns ist bewusst, dass die Monopolkommission traditionell einen marktliberalen Ansatz verfolgt", heißt es vom Senderverbund. Das Gremium, so die ARD, verkenne allerdings, dass es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk "in seiner ganzen Vielfalt und Breite geben muss".
Grundversorgung heißt nicht Mindestversorgung
Tatsächlich gibt es dazu eine Reihe von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts. So hat das Gericht gleich mehrfach festgestellt dass der Auftrag zur Grundversorgung nicht mit einer Art Mindestversorgung zu verwechseln ist. Und neben den Bereichen Bildung und Information gehört auch die Unterhaltung zum Grundauftrag, das hat das Verfassungsgericht schon 1986 entschieden - und vor rund vier Jahren in seinem ZDF-Urteil noch einmal bestätigt. ARD und ZDF sind also explizit nicht dazu da, um die Nischen zu füllen, die die Privaten hinterlassen, weil sie dort kein Geld verdienen können. Gleichzeitig sagt das Bundesverfassungsgericht auch, dass die Öffentlich-Rechtlichen aufgrund ihrer Beitragsfinanzierung andere Möglichkeiten als die Privaten haben: Sie müssen nicht auf die Quoten schauen und sollen durch "eigene Impulse und Perspektiven zur Angebotsvielfalt beitragen". Aus Sicht vieler Kritiker schauen ARD und ZDF aber sehr wohl auf die Quoten - und das viel zu oft. Das ist eine Crux: Wären die Quoten der Sender heute viel schlechter, würde man wohl über die Legitimation von ARD und ZDF streiten, weil diese Sender dann ja viel weniger Menschen sehen würden.
Auch wenn "Public Value" ein schwammiger Begriff ist, den mach nicht konkret messen kann, ist klar, dass es Unterhaltung bei den Öffentlich-Rechtlichen immer gegeben hat - und immer geben wird. Alleine schon die vielen Film- und Serien-Eigenproduktionen tragen zur Stärkung des Kreativstandorts Deutschland bei. Anders als die Privaten, die hier erst wieder seit einiger Zeit investieren, haben ARD und ZDF schon seit Jahrzehnten viele fiktionale Eigenproduktionen im Programm. Auch das ist in gewisser Hinsicht Public Value, argumentierten die Öffentlich-Rechtlichen.
Was ist Public Value?
Bei der ARD vertritt man in Sachen "Public Value" einen klaren Standpunkt: "Zusammengefasst lässt sich die gesamte Bandbreite dessen, was unser Auftrag ist, also Information, Bildung, Unterhaltung, auch auf unsere Online-Angebote übertragen. Wenn wir alle Menschen erreichen wollen, und das ja auch vom Gesetzgeber her sollen, dann gehören Sport und Unterhaltung genauso dazu wie Kultur und Information. Genau in dieser Vielfalt sehen wir unseren ‘Public Value’ verankert und fühlen uns hier gut aufgestellt", heißt es. Beim Senderverbund sagt man also ganz offen: Unsere Sport- und Unterhaltungs-Programme sind ebenfalls Public Value.
Das wiederum ist allenfalls aus Sicht der Öffentlich-Rechtlichen eine besonders naheliegende Interpretation. Man kann das freilich auch ganz anders sehen und es wäre spannend zu erfahren, was die Ministerpräsidenten der Bundesländer dazu sagen, wenn sie das nächste Mal darüber diskutieren, ob die Öffentlich-Rechtlichen künftig ihren Fokus auf die Bereiche Bildung, Information und Kultur legen sollen. Natürlich darf man hinterfragen, ob es nach dem "Barcelona Krimi" unbedingt noch den "Tel Aviv Krimi" und den "Athen Krimi" braucht. Aber der "Tatort" ist ja inzwischen schon so etwas wie ein deutsches Kulturgut und mit "Charité" lief der erfolgreichste Serienneustart der vergangenen Jahre zuletzt auch im Ersten. Doch was ist eigentlich mit "Bares für Rares", "Wer weiß denn sowas?", "Rote Rosen" und "Da kommst du nie drauf"? Ist das alles Public Value? Oder nur in der Summe? Oder gar nicht?
Die Grenzen in der "Public Value"-Debatte zu ziehen fällt schwer und vermutlich braucht es nun eine breite und transparente Diskussion darüber, was genau das Alleinstellungsmerkmal von ARD und ZDF sein soll und mit welchen Inhalten das eher zu schaffen ist - und mit welchen nicht. In Österreich ist man da schon etwas weiter. Auf der Medienenquete, wo zuletzt Medienbranche, Politik und Wissenschaftler über die Bedeutung und die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Land diskutiert haben, ging es um die Definition von "Public Value". Zu einem Ergebnis ist man, wie auf so vielen Podiumsdiskussionen, nicht gekommen. Doch bei unserer südlichen Nachbarn wird das Thema schon länger breit diskutiert. Dort wirbt ProSiebenSat.1Puls4 auch ganz offensiv damit, Public-Value-Inhalte zu produzieren - und meint damit allen voran Informationssendungen.