Die Geschichte des interaktiven Fernsehens ist seit 20 Jahren eine Geschichte der ganz großen Missverständnisse. Seit dem Startschuss des digitalen Fernsehens fantasieren immer wieder Anbieter über Möglichkeiten, das Fernsehprogramm interaktiver zu gestalten. Das reichte von der klassischen Interpretation der Live-Sendung mit Call-In oder Internet-Feedback über den legendären „Red Button“ bis zum besonders traurige Kapitel der interaktiven Fernbedienung Betty. Die TV-Adaption der App „Quizduell“ war ein großer Schritt nach vorne, aber technisch anfangs von Problemen geplagt und nach wie vor keine nativ interaktive Erfahrung. Nur der Rückkanal wurde modernisiert: Steuerte man in den 90er Jahren den Troll Hugo in der gleichnamigen Gameshow des Kabelkanal per Telefon, war es nun das Smartphone für die Quiz-Antworten.



Ein ganz neues Level des interaktiven Fernsehens ist seit März on air: „Cash Show“ heißt die Sendung, die über die gleichnamige Smartphone-App seit inzwischen gut drei Monaten zweimal täglich eine Quizshow veranstaltet. Der Screen des Handys dient dabei sowohl der Live-Übertragung der Show als auch der Beantwortung der Fragen sowie dem Chat mit anderen Mitspielern und dem jeweiligen Host der Sendung. Möglich wird das alles erst, weil der Livestream fast ohne Zeitverzug auskommt, der Streaming-Angeboten sonst innewohnt. Die „Cash Show“ ist nicht allein auf dem Markt, aber die mit Abstand erfolgreichste Sendung dieser neuen Machart - und entsteht in Berlin-Mitte. Wir haben mit Thomas Reemer gesprochen. Er ist Geschäftsführer der CS Europe GmbH, die die „Cash Show“ u.a. in Deutschland verantworten und als Unternehmer schon länger im IT- bzw. App-Markt unterwegs.

„Natürlich gibt es Konkurrenz“, sagt Reemer und meint damit US-Pionier „HQ Trivia“ von Interlab Media. Die New Yorker Firma ging schon im vergangenen Jahr on air und hat sich in Finanzierungsrunden Unsummen gesichert. Im August startete die iOS-Version, seit dem Jahreswechsel sind auch Android-Nutzer dabei. Das Grundprinzip von „HQ Trivia“ wie „Cash Show“: Ein Moderator bzw. eine Moderatorin stellt zwölf Fragen, die von den Nutzern in der App in kürzester Zeit beantwortet werden müssen. Am Ende gibt es für erfolgreiche Teilnehmer echtes Geld zu gewinnen, was den maßgeblichen Reiz dieser neue, interaktiven Gameshows ausmacht, auch wenn es für den einzelnen erfolgreichen Mitspieler meist nur niedrige Euro-Beträge sind. Während sich „HQ Trivia“ lange auf den amerikanischen Heimatmarkt konzentrierte und erst vergangene Woche erstmals auf deutsch sendete, waren Reemer und Coproduzentin Denise Bickert in Deutschland fixer.

Jeden Abend um 21 Uhr sind inzwischen mehr als 70.000 Mitspieler live dabei, mittags um 12 Uhr sind es weniger. Dennoch können weitere Klone des Modells wie auch das deutsche „HQ Trivia“ von den Reichweiten nur träumen. 100.000 Spieler noch bis zum Ende der WM sind das erklärte Ziel der „Cash Show“, wie die wechselnden Moderatorinnen und Moderatoren mehrfach erklärt haben. Die Produzenten sind zuversichtlich. Man arbeite kontinuierlich am Produkt: „In Kürze bekommt die Cash Show ein Redesign“, kündigt Reemer an. Und die Auszahlungshürde soll gesenkt werden. Bei der „Cash Show“ wie auch den anderen interaktiven Quizshows lässt sich das erspielte Geld erst ab einer gewissen Summe via PayPal auszahlen. Aktuell liegt die Grenze noch bei 10 Euro.

Cash Show© CS Europe

Screenshot der App. Inzwischen ist das Preisgeld gestiegen.

Und die Auszahlungen kommen auch. Dass es aktuell mal zu Verzögerungen komme, liege an der Menge der immer noch händisch veranlassten Auszahlungen, erklärt Chef Reemer. Auch wenn hinter der „Cash Show“ ein chinesischer Konzern steckt, der insbesondere die Technik für die Live-Gameshow stellt, so fühlt sich die deutsche Dependance der „Cash Show“ in Berlin-Mitte eher wie ein wildes StartUp an, das in einem Tempo wächst, das manchmal schwindlig macht. Rund 20 Leute arbeiten inzwischen am Berliner Standort, erklärt Reemer. Hauptsächlich Fragen-Redakteure, Faktenchecker und die Moderatorinnen und Moderatoren der Show. Sie produzieren neben den deutschen Shows auch die Sendungen für Frankreich und Großbritannien. Bald will man aus Berlin heraus auch spanische, italienische und türkische Shows produzieren.

Die Techniker der „Cash Show“ wiederum sitzen nicht in Berlin. Ihren Ursprung hat die App in China. Zenjoy heißt der App-Entwickler aus Peking, der seit 2010 im Segment der Mobile- und Social-Games aktiv ist. Dass ein neues Feature der App, das sogenannte Glücksrad, bei dem zusätzliche Joker gewonnen werden können, weitaus später eingeführt wurde als angekündigt war, hat jedoch nichts mit der IT in China zu tun. Viel mehr sei es eine rechtliche Frage auf dem deutschen Markt gewesen: Es galt zu klären, dass dieses Feature die „Cash Show“ nicht zum Glückspiel macht. Eine Rundfunklizenz besitzt die „Cash Show“ noch nicht, aber Thomas Reemer erklärt: Man wolle das nachholen, weil die „Cash Show“ ohnehin nur der Anfang einer Vielzahl weiterer denkbarer Formate sei. Ziel sei es, einmal mit diversen Sendungen zu einer neuen TV-Plattform mit integrierter User-Interaktion zu werden.