Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen sehr für die Einladung zu den diesjährigen Screenforce Days. Es ist mir eine Ehre, heute morgenhier vor Ihnen, die Sie ja so etwas wie die gesammelte Markmacht und Kompetenz des deutschen Fernsehens verkörpern, sprechen zu dürfen.
Ich will mich bemühen, Sie nicht zu sehr mit Allzubekanntem zu langweilen. Gestatten Sie mir dennoch gleich zu Beginn einen Moment des Innehaltens und der erinnernden Bestandsaufnahme. Bitte führen Sie sich die Umbruchsituation vor Augen, die Ihnen allen bekannt sein dürfte: Eine Umbruchsituation, die in ihrer Ausprägung und ihren Auswirkungen radikaler ist wie selten zuvor. Ein bis dato übersichtlicher und über Jahrzehnte klar geordneter Fernsehmarkt ist heftig in Bewegung geraten. Neue Anbieter mit neuen Programmformen und Inhalten und einem völlig anderen Geschäftsmodell drängen aufs Spielfeld. Und sie tun das mit einer Vehemenz, die in Zukunft nicht nur Marktanteile verschieben und die Hoheit über die Fernsehlandschaft neu aufteilen wird, sondern auch die Sehgewohnheiten und das Fernsehverhalten der Zuschauer total und allumfassend verändern wird. Ja, man kann davon ausgehen, dass unsere Vorstellung von Fernsehen in den Jahren nach diesem Umbruch nicht mehr dieselbe sein wird.
Je nachdem, auf welcher Seite man bei diesem Umbruch steht, machen sich bei den Beteiligten sehr gemischte Gefühle breit: Verunsicherung, vielleicht sogar so etwas wie Angst auf der Seite derer, die schon lange da sind, die eine Position zu verteidigen haben und die nun um Reichweite und Quoten und auch um Bedeutung und Einfluss fürchten. Gleichzeitig aber auch ein ungebrochener Behauptungswille und ein Beharren auf der Qualität des eigenen Programms. Möglicherweise sogar so etwas wie trotziger Stolz auf das eigene Profil.
Auf der anderen Seite herrscht bei denen, die den alten Markt herausfordern, eine nahezu ungebremste Euphorie, verbunden mit einer Fülle an Ideen und einem großen Mut zum Risiko, zum Ausprobieren und zur angstfreien und bisweilen fast spielerisch anmutenden Umsetzung dieser neuen, bisher im deutschen Fernsehen unbekannten oder nur aus dem Ausland bekannten Formate und Programme. Unternehmungslust also und Unternehmerlust in jedem Sinne und mit allen Sinnen, kurz: Aufbruchsstimmung. Eine Aufbruchsstimmung, die immer stärker und innovativer daherkommt, als das defensive Verharren auf dem Altbekannten.
Ja, meine Damen und Herren, viele von Ihnen erinnern sich vermutlich sehr genau: Denn es war tatsächlich ein Paradigmenwechsel von bisher ungekanntem Ausmaß, der Wirklichkeit wurde, als am 1. Januar 1984 die „Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk“ ,kurz PKS, in Ludwigshafen den Sendebetrieb aufnahm, mit den inzwischen historischen ersten Worten: „Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Augenblick sind sie Zeugen des Starts des ersten privaten Fernsehveranstalters der Bundesrepublik Deutschland“.
Es war, auch das gehört zu meinen Erinnerungen dazu, ein zunächst eher leiser Start, dessen Zeugen am Anfang nur ein paar Tausend Zuschauer in den Ballungsräumen waren. Das private Fernsehen in Deutschland war in der historischen Stunde seiner Geburt beileibe noch kein Massenmedium. Von einer guten Quote, von Reichweite gar konnte kaum die Rede sein. Aber es war ein Start, der in atemberaubender Geschwindigkeit Fahrt aufnahm, der sehr schnell sehr laut und vor allem auch sehr bunt und dabei auch ungemein vielfältig wurde, und der damit dann doch in kürzester Zeit ein Massenpublikum erreichte.
Aus der PKS wurde SAT.1, einen Tag nach dem Sendestart ging RTL Plus ans Netz, nur wenige Jahre später ging Pro 7 an den Start. Weitere Anbieter kamen hinzu, und alle gemeinsam setzten sie nicht nur die öffentlich-rechtlichen Sender und deren bis dato uneingeschränkte Monopolstellung unter Druck, sondern sie erfanden in einem Feuerwerk auch ohne Ende Formate und Programme. Bei der Programmierung wechselten Übernahme und Anpassung von Formaten aus dem Ausland mit neuen und teilweise ungemein schrägen und zugegebenermaßen bisweilen auch beinahe unerträglich trashigen Eigenentwicklungen ab.
In jedem Fall waren es aber Programme, die es so bei ARD und ZDF bisher nicht gegeben hatte: Mit „Samstag Nacht“ innovierte RTL das Genre der Comedy, das im deutschen Fernsehen bisher praktisch nicht vorgekommen war, Dschungelcamp und DSDS eroberten später das deutsche Fernsehen und seine Zuschauer ebenso wie die bis heute extrem erfolgreichen Dailys. Aber auch die Sportberichterstattung wurde – in diesem Fall von SAT.1 –umfassend modernisiert und dynamisiert. Und nein, längst nicht alles war Trash oder plakative Unterhaltung: Talksendungen wie „Talk im Turm“ zeigten, dass die Privaten nicht nur Boulevard beherrschten, sondern auch zu einer ernsthaften Debattenkultur im Fernsehen fähig waren.
Und, auch das darf keinesfalls vergessen werden: Es kam schnell die Zeit, in der große fiktionale Fernsehevents wie „Der Tunnel“, „Die Sturmflut“ oder „Das Wunder von Lengede“ nicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, sondern bei den privaten Sendern liefen und nicht nur zur Überraschung, sondern durchaus auch zum Entsetzen der etablierten öffentlich-rechtlichen Senderdamit reihenweise Fernsehpreise abräumten. Und das nicht als einmalige Ausnahme von der Regel, sondern regelmäßig und über mehrere Jahre in Folge.
Ich erinnere hier und heute natürlich deshalb so ausführlich an diese Zeit, die ich selbst nicht nur als aufregend, sondern auch als lehrreich erlebt habe, weil wir in diesen Tagen erneut vor einem Paradigmenwechsel besonderen Ausmaßes stehen. Eines Umbruchs, der sich anschickt, die Fernsehlandschaft und die Sehgewohnheiten ähnlich radikal zu verändern wie die Einführung des Privatfernsehens in Deutschland in den Achtziger Jahren.
Und es macht deshalb Sinn, genauer hinzusehen und sich noch einmal zu erinnern, weil es bei diesem erneuten Umbruch interessanterweise nun genau die sind, die heute unter besonderem Druck und am Scheideweg stehen, die vor inzwischen gut dreißig Jahren mit soviel Energie und Erfindungsreichtum zum Sturm auf die Bastionen der Etablierten geblasen haben.
An einem Scheideweg auch deshalb, weil der Druck, der entsteht, im doppelten Sinne und von zwei Seiten kommt: Zum einen durch die neu entstandenen Streamingdienste und Video-on-demand-Plattformen, die nun ihrerseits die Sehgewohnheiten der Fernsehzuschauer beeinflussen und verändern – weg vom unmittelbaren zeitgebundenen Format des linearen Fernsehens, hin zum unabhängigen freigewählten Fernseherlebnis auf Abruf. Die Leute schauen, wann und was sie wollen, die Programmbindung, die ja für die Privaten besonders wichtig und hart umkämpft ist, geht immer mehr verloren. Andererseits entsteht Druck aber auch durch die öffentlich-rechtlichen Sender, die eben nicht so tot sind, wie vor Jahrzehnten von Manchem kulturpessimistisch vorausgesagt, sondern die im Gegenteil sehr lebendig sind und ihrerseits viel aus der Innovationskraft der damals neuen Privaten gelernt haben. Sie haben sich weiterentwickelt, sind zunehmend risikofreudiger geworden und haben sich dabei den neuen Sehgewohnheiten angepasst und teilweise, wie beispielsweise das ZDF mit ZDF Neo dafür eigene Spartenkanäle entwickelt. Zum Teil geht die Anpassungsfähigkeit dabei so weit, dass die Grenzen zwischen den Bereichen der Öffentlich-Rechtlichen und der Privaten nicht mehr überall so trennscharf sind, wie es wünschenswert wäre– zumindest aus Sicht der Privaten, wie es zuletzt RTL-Chef Frank Hoffmann sehr deutlich formuliert hat.
Hinzu kommt, dass ARD und ZDF seit einiger Zeit erkannt haben, wie wichtig das Einbinden ihrer Mediatheken als Teil des eigenen Programmschemas geworden ist und in Zukunft weiter werden wird. Kooperationen zwischen den öffentlich-rechtlichen-Sendern und digitalen Plattformen sind inzwischen an der Tagesordnung. Und zwar interessanterweise in beide Richtungen: Sky produziert mit der ARD, das ZDF kooperiert mit der Telekom aber auch: Netflix kauft bereits ausgestrahlte erfolgreiche öffentlich-rechtliche Programme zur weiteren Plattformverwertung. „Charité“, „Kudamm56“ oder „Unsere Mütter, unsere Väter“ sind hier Beispiele aus unserem eigenen Hause.
Um es an dieser Stelle einmal deutlich zu sagen: Nein, ich möchte nicht den Untergang der deutschen Free-TV-Landschaft an die Wand malen, wie es einzelne Stimmen in der Debatte der letzten Monate getan haben. Und nein, ich möchte ganz sicher nicht einem Abgesang auf die Privaten und ihrer kommenden Verdrängung das Wort reden. Genausowenig wie ich es für sinnvoll halte, eine Krise des linearen Fernsehens insgesamt herbei zu reden. Ganz im Gegenteil: all das entspricht weder meinen aktuellen Arbeitserfahrungen, noch meinen Überzeugungen.
Wir haben alle unsere Erfahrungen gemacht, welche Produktionen auf digitalen Plattformen funktionieren, und auch nur dort, und welche Programme ein Massenpublikum im Free TV erreichen.
Die Formate und Programme von Netflix, Amazon und Co sind – noch – Nischenprodukte. Zumindest, was ihre Reichweite angeht. Auch wenn sie derzeit einen enormen Aufmerksamkeits- und Imagegewinn erleben und auch wenn sie ihren Anteil am Markt kontinuierlich behaupten und ausbauen, sind es nach wie vor die großen linearen Sender – die öffentlich-rechtlichen genauso wie die Privaten –, mit denen Sie die wirklich großen Zuschauerzahlen erreichen. Die Sender werden sowohl für uns als Produzenten als auch für ein breiteres Publikum auf absehbare Zeit der größte und in keiner Weise zu ersetzende Markt und Hauptanbieter von Fernsehinhalten und damit unser wichtigster Partner bleiben.
Dennoch: der erneute Paradigmenwechsel, in dem sich die Fernsehlandschaft befindet, wird nicht aufzuhalten sein, und er ist unumkehrbar. Die Zuschauer werden in Zukunft immer mehr Wert darauf legen, zu gucken was und vor allem, wann sie es wollen. Und sie werden sich dementsprechend die Inhalte noch genauer und noch spitzer aussuchen.
Es wird also den großen privaten Sendergruppen, es wird uns allen, die wir hier versammelt sind, gar nichts anderes übrigbleiben, als weiter nach Strategien im Umgang mit den neuen Plattformen zu suchen, um zukunftsfähig zu bleiben, und vor allem: um wieder Markführer im Handeln zu werden. Auch deshalb macht es eben Sinn, sich zu erinnern, und sich auf die Eigenschaften zu besinnen, die für das Finden dieser Strategien von entscheidendem Wert sein können. Eigenschaften, die eigentlich tief in der DNA der Privaten verwurzelt sind und die, erlauben Sie mir diese Bemerkung, derzeit trotz manch guter Ansätze nicht immer so klar erkennbar sind, wie es notwendig und wünschenswert wäre, und wie es eigentlich auch dem eigenen Anspruch entsprechen sollte.
Zu diesen Eigenschaften gehört ganz klar: Zum einen der unbedingte Wille zur Innovation – sowohl im technischen als auch im inhaltlichen Bereich. Zum zweiten Mut und damit einhergehend das Bekenntnis zu einer radikalen Kreativität beim Entwickeln von Formaten und eine entsprechende Risikobereitschaft. Dazu gehört aber auch – und das wird sie vielleicht auf den ersten Blick verwundern: Solidarität.
Dabei ist gerade diese Eigenschaft dem Entstehen der Privaten in Deutschland bei genauerem Hinsehen immanent und Teil ihrer beispiellosen Erfolgsgeschichte. Denn bei aller Konkurrenz und bei allem Achten auf Profilschärfe der einzelnen Sender, war es doch in den frühen Jahren unausgesprochen immer auch ein gemeinsamer Kampf für das Durchsetzen eines neuen, eines anderen, eines überwältigenden und aufregenden Fernsehens in Deutschland, dem sich alle gleichermaßen verpflichtet fühlten. Dieses Ziel war immer und unbedingt ein gemeinsames.
Ich bin mir sicher, dass es diese gemeinsame Idee, diesen gemeinsamen Geist wieder braucht, wenn man die Marktmacht des Fernsehens nicht den bereits existierenden und den permanent neu entstehenden Streaming-Plattformen überlassen will. Plattformen, die ihre Stärke gerade auch aus ihrer Größe, ihrem internationalen Betätigungsfeld und damit auch ihrer Investitionskraft ziehen.
Dabei ist es nicht in erster Linie die Möglichkeit der finanziellen Investition, die mich umtreibt. Die in den vergangenen Tagen von Screenforce mehrfach publizierte und diskutierte Investitionssumme von insgesamt acht Milliarden Euro, die alle deutschen Sender zusammen in Programminhalte investieren, ist eine enorm starke Summe, die sich sehen lassen kann. Sie zeigt, wie wichtig der deutsche Fernsehmarkt derzeit ist und wie groß gleichzeitig die Bereitschaft, ernsthaft hierzulande in Inhalte zu investieren.
Aber nicht immer bündelt sich dieses Geld so, wie es sinnvoll wäre. Das gilt ganz besonders in dem neu zu erschließenden digitalen Bereich, dessen Dimension sich derzeit gerade einmal andeutet aber längst noch nicht vollständig erfasst ist.
Ich bin der festen Überzeugung, dass in diesem Bereich in Zukunft keiner der hier versammelten Sender allein technologisch in der Lage sein wird, den internationalen Streaming-Plattformen Paroli zu bieten oder auch nur annähernd mit ihnen auf Augenhöhe zu agieren. Ganz anders sähe das aber aus, wenn die einzelnen Aktivitäten und Anstrengungen gebündelt würden. Ich weiß um alle Schwierigkeiten, die es in der Vergangenheit bei solchen Versuchen gegeben hat, inklusive aller kartellrechtlichen und sonstiger formaler und juristischer Vorbehalte. Aber ich sage es dennoch ganz klar:
Wir brauchen eine gemeinsame digitale Plattform der Privaten über alle Konzerngrenzen hinweg. Denn nur so werden wir auf diesem überlebenswichtigen Feld in Zukunft in irgendeiner Form im nationalen und dadurch in der Folge auch im internationalen Bereich ernsthaft mitspielen können.
Es ist also zunächst einmal eine technische, eine infrastrukturelle Innovation, die ansteht. Nicht irgendwann, sondern jetzt. Es geht mir hier vor allem um die Technologie. Denn in diesem Bereich geht es nicht nur um ein völlig neues – gemeinsames, eventuell sogar europäisches – Denken, sondern auch um das Momentum. Und die Uhr läuft. Es bleibt keine Zeit mehr, einfach mal abzuwarten und zu schauen, was passiert und dabei ein bisschen an der ein oder anderen Stellschraube zu drehen.
Nehmen Sie beispielsweise „Babylon Berlin“. Ganz egal wie dieses Abenteuer für die ARD am Ende in Bezug auf Programmreichweite bei der Ausstrahlung auf dem Sender ausgehen wird: Der Image-Erfolg und auch der weltweite Verkaufserfolg durch Beta Film und Sky ist auch für die ARD absolut unbezahlbar und stößt in eine Dimension vor, die sie allein niemals erreicht hätten. Oder nehmen sie ein Beispiel aus meinem eigenen Haus: „Deutschland ´83“ war eine Erfindung von RTL und UFA. Aber die internationale Erfolgsgeschichte auch im Verkauf, die weltweite Aufmerksamkeit, die Dynamik und die Bedeutung für das Ansehen deutschen Fernsehens, die die Serie durch den weiteren Vertrieb auf unzählige Plattformen – auch durch Amazon gewonnen hat, ist sensationell und ebenfalls unbezahlbar. Bis hin zum Gewinn des einzigen internationalen Emmy, den ein originäres RTL-Programm jemals gewonnen hat.
Beide Beispiele sind zugegebenermaßen allein durch ihren Produktionsaufwand extrem und nicht unbedingt alltagsgerecht. Aber sie zeigen in ihrer Zuspitzung, welche Potentiale gerade im Hinblick auf eine weitere Nutzung von Programmen auf einer möglichen gemeinsamen Plattform liegen. Inhaltlich wie wirtschaftlich. Beide Beispiele zeigen aber auch, dass es mit einem rein technischen Errichten einer solchen Plattform allein in Zukunft nicht getan sein wird. Auch das Verhältnis der Entwicklung von linearem Fernsehprogrammen und der Nutzung von Mediatheken und möglichen gemeinsamen Plattformen wird neu und radikaler gedacht werden müssen. Es wird in Zukunft nicht reichen, sich darauf zu beschränken, bereits erfolgreiche Populärformate nach der Ausstrahlung auf der Mediathek so lange zweitzuverwerten, bis sie auch der Letzte gesehen hat. Sondern es braucht ein eigenes, ein durchdachtes und klar erkennbares Programmprofil, dass auf eine gemeinsame Reichweite von Sendern und Mediathek setzt. Und dafür braucht es wiederum neue Programme. Und auch hier ein Umdenken und dementsprechend mehr gedankliche Freiheit bei der Stoff- und Programmentwicklung.
Nicht nur in Bezug auf die Mediatheken übrigens, sondern viel umfassender im gesamten Programmbereich. Auch hier macht es Sinn sich in Bezug auf die Innovationsfreudigkeit noch einmal gedanklich dreißig Jahre zurückzubegeben. Nicht weil ich ein Wiederbeleben von Formaten wie Tutti-Frutti empfehlen möchte, sondern weil Pioniere des Privatfernsehens vor allem deshalb erfolgreich waren, weil sie einen kreativen Schutzraum geschaffen haben, in dem ein lustvolles und angstfreies Ausprobieren der eigentliche Innovationsmotor waren. Die Lust am Ausprobieren ging dabei manchmal bis an den Rand der Anarchie. Und sie war radikal instinktgetrieben. Natürlich ist das manchmal schiefgegangen, aber es war immer proaktiv provokativ, immer verführerisch – und es begründete die erfolgreiche Zeit des deutschen Privatfernsehens.
Und nicht nur das: Es war auch die Zeit der Entdeckung der großen Talente, die sich ebenfalls ausprobieren konnten, und von denen wir, wenn wir ehrlich sind, noch heute leben. Lassen Sie nur einmal vor ihrem inneren Auge die Zeiten von „Samstag Nacht“ Revue passieren und erinnern Sie sich, wer dort alles seinen ersten Auftritt hatte. Und wer von diesen Talenten heute immer noch zu den Säulen der deutschen Fernsehunterhaltung gehört. Nicht nur bei den Privaten übrigens, sondern auch bei den Öffentlich-Rechtlichen, die sich der Innovationsfähigkeit und der Talentförderung der Privaten gerade auf diesem Feld ebenso unverfroren wie klug bedient haben.
Von dieser Lust und dieser Anarchie müssen wir uns wieder etwas zurückerobern. Und auch von dieser Art der sprudelnden Talent- und Formatförderung.
Unser größter Gegner sind dabei wir selbst und die Grenzen im Kopf, die wir uns inzwischen reflexartig auferlegen. Und, verzeihen sie mir, dass ich das an dieser Stelle so offen und ungeschützt sage: Vor allem der immer stärker und unbedingter werdende Glaube an die Gesetzmäßigkeiten der Marktforschung. Damit meine ich Sie als Sender genauso wie uns als Produzenten.
Wir müssen weg vom Primat der Marktforschung und wieder hin zu einem freieren und offeneren Denken und zu einer radikaleren Programmentwicklung.
Denn wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die Marktforschung zunehmend die Instinkte der Kreativen für innovative Inhalte ersetzt hat. An die Stelle der Kreativität tritt die Analyse und der Glaube daran, dass wir Zuschauer und ihre Neigungen bis ins letzte Detail kennen und auch kennen müssen, um ihm passgenau das zu servieren, wonach es ihn verlangt.
Ich bin der festen Überzeugung, dass das in seinen ausschließlichen Auswüchsen ein schlimmer Irrweg ist. Denn es verhindert letztendlich, dass wir Programmen eine Chance geben, die über das hinausgehen, was wir bereits kennen und von dem wir glauben, es in seinem Erfolg vorausberechnen zu können. Und es führt dazu, dass Sender und Programmmacher in der manchmal gemeinsamen götzenhaften Anbetung der Berechenbarkeit von Erfolg zusammen mit ihren Zuschauern in einer einzigen großen Blase leben, in der die Vermeidung des Unbekannten und des Unberechenbaren, das Abschleifen von sperrigen Ecken und Kanten und die Angst vor dem Aufschrecken des sensiblen Pflänzchens Zuschauer am Ende zum einem sich permanent selbst Reproduzieren des im Kern immer Gleichen führt.
Und das ist das Gegenteil von Innovation. Es ist das Sich-Hineinbegeben in eine selbstverschuldete Unmündigkeit. Und das Gegenteil der Art, wie die neuen Dienste und Plattformen derzeit im Markt agieren. Gleichzeitig ist es nicht nur falsch, sondern auch ein bisschen traurig. Weil wir ja alle wissen, dass und wie es besser ginge. Und zwar aus eigener Erfahrung.
Deshalb: Raus aus der Blase. Und bitte wieder mehr Mut und mehr Besinnung auf unser aller Qualität als risikofreudige Programmmacher. Raus aus der Langeweile der Mitte und zurück nach vorne zu mehr Radikalität in kreativen Prozessen. Denn gerade jetzt, in den Zeiten des Umbruchs, ist doch plötzlich wieder so vieles möglich. Wie damals, als alles anfing mit dem Privatfernsehen in Deutschland. Es braucht die Tendenz zum Anders sein. Zum Auffallen. Zum Mutig sein. Es braucht manchmal auch eine Portion Dreistigkeit, es braucht vor allem: Angstfreiheit.
Und es braucht nicht zuletzt mehr Spaß. Denn auch Spaß für das, was man tut, gehört dazu und die Leidenschaft, mit der man es betreibt. Denn beides ist die beste Basis für ungebremste Kreativität. Und die wiederum ist die Grundvoraussetzung für echte und authentische Innovation.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit