Was lange währt, wird irgendwann gut. So oder so ähnlich könnte man zusammenfassen, was sich EU-Kommission, Europäisches Parlament und Rat zuletzt in Sachen audiovisueller Mediendienste (AVMD) überlegt haben. Die AVMD-Richtlinie beinhaltet einige Vorschriften für eben diese Dienste und soll schon lange reformiert werden. 2016 wurde dieser Prozess angeschoben. Doch wie so oft mahlen die Brüsseler Mühlen langsam - und so kam es erst vor wenigen Wochen zu einer Einigung. Im Mittelpunkt der Änderungen steht allen voran eine Liberalisierung der Werbezeiten. Klassische Fernsehsender sollen künftig zwischen 6 und 18 sowie zwischen 18 und 0 Uhr 20 Prozent des Programms für Werbung nutzen dürfen.

Die bisherige, statische Regelung von zwölf Minuten Werbung pro Stunde würde entfallen. Die Sender könnten die Werbung also deutlich flexibler als bislang verteilen - und sie damit auch in zuschauerstärkere Regionen umverteilen. Weitere wichtige Änderungen der AVMD-Richtlinie: Streamingplattformen sollen in den Regulierungen den klassischen TV-Sendern angeglichen werden, vor allem wenn es um Jugendschutz und Sponsoring geht. Youtube und andere Plattformen sollen etwa Produktionsplatzierungen und Sponsoring künftig klar kennzeichnen. Dienste wie Netflix sollen zudem verpflichtet werden, mindestens 30 Prozent europäische Inhalte zu zeigen - das schaffen die meisten SVoD-Dienste aber heute schon ohne Probleme.


Die spannendste Änderung bleibt also tatsächlich die der Werbezeiten-Flexibilisierung, könnte sie doch auch die spürbarsten Auswirkungen auf die Zuschauer haben. Es droht ein Mehr an TV-Werbung vor allem zu den zuschauerstarken Zeiten in der Primetime. Wie die Sender diese geplante Liberalisierung umsetzen werden, bleibt spannend. Noch müssen die Änderungen formell auf EU-Ebene beschlossen werden, dann werden sie in nationales Recht gegossen. Vor 2020 werden die Änderungen also voraussichtlich nicht schlagend. In den USA zeichnet sich derzeit aber ein völlig anderer Trend ab. Dort hatten zuletzt einige Sender angekündigt, ihre Werbezeiten deutlich zu reduzieren. So will Fox bis 2020 nur noch zwei Minuten Werbung pro Stunde zeigen. NBC will in der kommenden TV-Saison die Werbung bei Erstausstrahlungen in der Primetime um 20 Prozent kürzen und auch Viacom und Turner haben damit begonnen, Werbung zu reduzieren.

DWDL.de hat mit allen großen deutschen Vermarktern gesprochen und sie um eine Beurteilung der geplanten AVMD-Reform und speziell den Änderungen bei den Werbezeiten gebeten. Vor allem die Vermarkter der privaten Sender sind sich einig: Die Liberalisierung ist gut, wird aber nicht zu mehr Werbung führen. Ein beliebtes Wort unter den Vermarktern: Augenmaß. Das wollen sie in Zukunft bei der Umsetzung nämlich walten lassen.

Paul Mudter© IP Deutschland
"Es geht ja nicht um ein mehr an Werbung, sondern um eine Flexibilisierung der Einsatzmöglichkeiten. Wildwuchs muss niemand befürchten, das wäre nicht im Sinn unserer Zuschauer und deshalb auch nicht in unserem Interesse", sagt etwa Paul Mudter (Foto rechts), Geschäftsleiter Operations bei IP Deutschland. "Wir werden die Flexibilität mit viel Augenmaß nutzen, nur dann halten wir unser wertvollstes Argument für Fernsehwerbung: die Akzeptanz der Zuschauer." Wenn die Änderungen beschlossen seien, werde voraussichtlich jeder Sender "vorsichtig ausprobieren", was gehe, so Mudter.

Andreas Kösling© El Cartel Media
Andreas Kösling (Foto links), Chef des RTL-II-Vermarkters El Cartel Media, sagt die neue Richtlinie gehe in die richtige Richtung. "Die Sender und Vermarkter können im klassischen TV flexibler agieren und das Angebot für die Werbekunden verbessern. Gleichzeitig wird Online-Werbung stärker reglementiert. Das macht den Wettbewerb fairer."  Dennoch soll Werbung auch wirken, sagt Kösling. Und das gehe nicht, wenn Zuschauer von zu viel Clips genervt seien. "Deshalb werden wir die neuen Freiräume mit viel Augenmaß nutzen." Franjo Martinovic, Geschäftsführer von Visoon Video Impact, sagt, Werbeunterbrechungen seien in Deutschland gelernt und akzeptiert. Auch er geht davon aus, dass Sender und Vermarkter mit "Augenmaß" handeln werden, um "die Vorteile einer Liberalisierung nicht ins Gegenteil zu verkehren."

"Eine bedingungslose Erweiterung der Werbefenster würde bei dann sinkenden Reichweiten niemandem helfen."

Patrick Fischer, Geschäftsführer Sport1 Media

Patrick Fischer© Sport1 Media
Das vielzitierte "Augenmaß" will auch Patrick Fischer (Foto rechts) von Sport1 Media anwenden, um auch in Zukunft ein gutes Gleichgewicht von Werbung und Programm zu finden. "Eine bedingungslose Erweiterung der Werbefenster würde bei dann sinkenden Reichweiten niemandem helfen. Den Werbekunden nicht und den Zuschauern auch nicht", sagt Fischer. Werbung ist und bleibe im Free-TV die Haupt-Erlösquelle. Wie viel Werbung die Zuschauer vertragen, beobachte man ganz genau und führe dazu auch immer wieder Tests durch.

Thomas Wagner© SevenOne Media
Auch Thomas Wagner (Foto links), Vorsitzender der Geschäftsführung von SevenOne Media, will sicherstellen, dass die Zuschauerakzeptanz der Werbeblöcke für die Kunden hoch bleibe. Durch die geplante Flexibilisierung würden sich neue Möglichkeiten "in der Gestaltung von Werbeblöcken" ergeben, sagt Wagner. Diese würden im besten Fall auch den Zuschauern Vorteile bieten - weil die Werbung dadurch künftig "weniger invasiv wahrgenommen" werden könnte. "Beispielsweise könnten Werbeblöcke durch einen Wegfall der harten 12 Minuten Regelung flexibler und besser an Handlung bzw. Spannungsbogen der Sendung angepasst werden." Bei Servus TV begrüßt man die geplanten Änderungen. Peter Strutz, Head of Media Sales International im Red Bull Media House, sagt aber auch, dass man bereits heute "eine optimale Balance zwischen Unterhaltung und Werbung" gefunden habe. Strutz: "Wir werden die Erleichterung bei den Werbezeiten nicht zu Ungunsten des Zusehers und des Audienceflows einsetzen."

Auf Seite zwei lesen Sie, welche Änderungen sich die Vermarkter noch gewünscht hätten und was ARD und ZDF zur geplanten Lockerung der Werberichtlinien sagen.