Die Bremer Asylaffäre dürfte der Redaktion von "Anne Will" gerade recht gekommen sein. Ein brisanter Fall, der das Zeug zum echten Aufreger hat, und mit Katrin Göring-Eckart und Alexander Gauland Gäste, deren Weltanschauungen kaum weiter auseinanderliegen könnten. Das klang auf dem Papier brisant; der Quote hat es dennoch nicht geholfen: 3,4 Millionen Zuschauer schalteten am Sonntag ein, kaum mehr als zwei Wochen zuvor, obwohl der gewohnt erfolgreiche Münster-"Tatort" diesmal zwölf Millionen Zuschauer anspülte. Dass ein starker "Tatort" die anschließende Sendung nicht zwangsläufig zum Selbstläufer macht, bekam Anne Will jedoch in den vergangenen Monaten gleich mehrfach zu spüren.
Tatsächlich macht sich bei den deutschen Zuschauern derzeit eine gewisse Talkshow-Müdigkeit breit. Seit Jahresbeginn verzeichnete "Anne Will" am Sonntagabend im Schnitt 3,51 Millionen Zuschauer pro Ausgabe, das waren über 900.000 weniger als im Vorjahreszeitraum. Auch 2016 – im ersten Jahr nach ihrer Rückkehr auf den ursprünglichen Sendeplatz – hatte Will durchschnittlich noch mehr als vier Millionen Zuschauer erreicht. Vorgänger Günther Jauch sahen in seinen erfolgreichsten Jahren als Polittalker sogar regelmäßig fast fünf Millionen Zuschauer zu. Von diesen Zahlen ist Will derzeit trotz des herausgehobenen Sendeplatzes nach dem "Tatort" weit entfernt.
"Generell, so zeigt unsere Erfahrung, durchlaufen Themen Konjunkturen."
Anne Will
Der Blick auf die Zahlen bestätigt das: Als Anne Will kürzlich über die Besuche von Merkel und Macron beim US-Präsidenten diskutieren ließ, schalteten nur 2,71 Millionen Zuschauer ein – Jahrestiefstwert. Auch die Diskussion über das deutsch-türkische Verhältnis war nach der Freilassung des Journalisten Deniz Yüzel mit etwas mehr als 3,6 Millionen Zuschauern kein herausragender Erfolg. Ein Jahr zuvor hatten die Erdogan-Talks noch deutlich mehr als vier Millionen erreicht und kurz nach Donald Trumps Vereidigung zählte "Anne Will" sogar fast 4,8 Millionen Zuschauer.
Langzeittrend: Anne Will
In Sorge ist die Journalisten wegen der rückläufigen Zahlen aber nicht. "Generell, so zeigt unsere Erfahrung, durchlaufen Themen Konjunkturen und es gibt immer wieder Phasen von starkem und weniger starkem Zuschauerzuspruch", sagt Will, die zuletzt mehrfach den Schwerpunkt ihrer Sendung verlagerte. Neben Tagesaktualität wolle man vermehrt auf Themen setzen, "die von latenter Aktualität und übergeordnetem Interesse sind" – und zwar unabhängig von der Tages- und Parteienpolitik. Will verweist auf eine Sendung mit der Holocaust-Überlebenden Esther Bejerano oder eine Ausgabe zum 200. Geburtstag von Karl Marx.
Auch "Maybrit Illner" mit rückläufigen Quoten
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Sendungen wie diese zwar löblich sind, nicht aber dabei helfen, den Quoten-Trend umzukehren. "Anne Will" ist mit ihren Quoten-Sorgen jedoch nicht alleine: Auch "Maybrit Illner" erreicht in diesem Jahr deutlich weniger Menschen als noch 2017. Im Schnitt schalteten bis Ende Mai 2,51 Millionen Zuschauer ein, vor einem Jahr waren dagegen noch über drei Millionen am späten Donnerstagabend dabei. Beim ZDF bleibt man dennoch gelassen. 2017 sei ein "Ausnahmejahr" gewesen, betont ein Sendersprecher auf DWDL.de-Nachfrage. "Grundsätzlich hat sich der Zuschauerzuspruch zu 'Maybrit Illner' weiter verbessert und liegt über dem Niveau der Jahr 2015 und 2016."
Zurück zu Anne Will und ihrer wöchentlichen Sendung. Ob mehr Krawall der Quote helfen würde, ist unklar, aber keine Option für die Moderatorin. Dem Trend einer "zunehmend enthemmten und auf Eskalation abzielenden Diskussionskultur", die sich vor allem in den sozialen Netzwerken beobachten lasse, wolle die Redaktion "eine sachliche, inhaltliche Diskussion entgegensetzen", sagt Will zu DWDL.de. "Das Gästepanel der Sendung wird stets nach Erkenntnisgewinn und Qualifikation zusammengestellt. Auf Krawall oder Skandal ausgerichtete Konstellationen sind für uns keine Option."