"Kanzlerin Merkel im Wahlkampf: Nicht zu fassen". Das titelte "Spiegel Online" vor wenigen Wochen. Die Kritik ist nicht neu: Merkel entzieht sich dem Wahlkampf und tut auf business as usual. Damit ist sie bislang immer gut gefahren, aus ihrer Sicht gibt es keinen Grund, das zu ändern. Das ist vermutlich auch der Grund, wieso sich Merkel so vehement gegen Änderungen am TV-Duell gesträubt hat (DWDL.de Kommentar). Fest steht: Hier und da sind Merkel, Schulz & Co. zwar immer mal wieder im Fernsehen zu sehen und auch der Wahlkampf ist irgendwie allgegenwärtig, wirklich systematisch ist das aber nicht.
Das zeigt sich schon beim Blick auf die verschiedenen "Oppositions-Runden", die die verschiedenen Sender planen. Einige davon verdienen ihren Namen gar nicht: Am Montag, den 4. September, etwa lädt Das Erste zum "Fünfkampf" und hat Vertreter von Grünen, Linken, FDP, CSU und AfD eingeladen. Die Union hat damit sowohl in dieser Runde als auch im großen TV-Duell eine Stimme. Das ZDF macht gar nur einen Dreikampf und lädt lediglich Grüne, Linke und CSU ein. Später machen ARD und ZDF noch gemeinsam eine Sendung, wo auch FDP und AfD dabei sein werden. Claus Strunz präsentierte bereits in dieser Woche eine Sendung mit Vertretern von Linken, Grünen, FDP und AfD. Hinzu kommen diverse Sommerinterviews, RTL bat Merkel und Schulz zudem getrennt voneinander zu einer Bürger-Diskussion.
Auffällig: Die Spitzenkandidaten von CDU und SPD treten beim großen TV-Duell gegeneinander an, sonst werden sie aber meist nur alleine interviewt. Die kleineren Parteien müssen unter sich bleiben. Dass das auch anders geht, zeigt sich bei einem Blick nach Österreich, wo es ebenfalls viele Wahl-Formate gibt - dort muss dann aber auch jeder gegen jeden mal ran.
Konfrontationen: Jeder gegen jeden
Das wohl umfassendste Programm zur anstehenden Nationalratswahl Mitte Oktober hat in Österreich naturgemäß der ORF. Schon seit Wochen sind dort die Sommergespräche mit den Parteichefs zu sehen, die immer etwas kontroverser diskutiert werden als die hierzulande. Mitte September fällt dann der Startschuss für die heiße Phase des Wahlkampfes: Insgesamt zehn direkte Konfrontationen werden gezeigt. Weil eine Partei nicht erneut zur Wahl antreten wird, hatte sich diese Zahl noch verringert, eigentlich waren 15 Konfrontationen geplant. In diesen Sendungen tritt jeder gegen jeden an: Pro Ausgabe diskutieren zwei Spitzenkandidaten. In Österreich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass auch der Kanzler bei diesen Konfrontationen allgegenwärtig ist und mit seinen direkten Herausforderern sowie den kleineren Parteien diskutiert. Der ORF zeigt die Sendungen allesamt zur besten Sendezeit. Kurz vor der Wahl gibt es dann noch eine Runde mit allen Spitzenkandidaten.
Diese Vielzahl an direkten Aufeinandertreffen gibt es in Deutschland nicht. Dafür wird hier viel in den Polit-Talkshows diskutiert, die erst vor Kurzem aus der Sommerpause zurückgekehrt sind. Der ORF hat mit "Im Zentrum" nur eine Talkshow im Programm, doch auch davon gibt es im Vorfeld der Wahl gleich vier Sonderausgaben. Hinzu kommen fünf "Pressestunden" am Sonntagvormittag, in der die Spitzenkandidaten noch einmal interviewt werden. Der ORF hat mit "Nationalraten" sogar eine eigene Quiz-Talkshow entwickelt, die ab Mitte September erstmals zu sehen sein wird - und auch hier sind wieder alle Spitzenkandidaten mit von der Partie.
Auch ProSiebenSat.1 spielt wichtige Rolle
Und auch die Privaten mischen in Österreich kräftig mit - im großen Stil de facto nur ProSiebenSat.1, das in Österreich mit Puls 4 einen eigenen Sender betreibt. Kürzlich kaufte man mit ATV den größten privaten Konkurrenten am Markt. Über die Kritik, die in dieser Woche in Deutschland an Claus Strunz und seiner Wahl-Sendung mit der Opposition aufkam, kann man in Österreich nur müde lächeln. Schon während des Bundespräsidentschafts-Wahlkampfes 2016 mischten die Privaten eifrig mit: Bei Puls 4 mussten die Politiker Witze erzählen und beweisen, dass sie mit Messer und Gabel essen können. Auf die Spitze hat es dann das damals noch eigenständige ATV getrieben, als man vor der Stichwahl Norbert Hofer (FPÖ) und Alexander van der Bellen (Grüne) alleine und ohne Moderator in ein Studio setzte, damit sie miteinander diskutieren. Am Ende waren sich alle Beobachter einig: Das war hochgradig peinlich und beide Politiker haben sich mit ihrem Auftritt keinen Gefallen getan. Wie schwer wiegen da schon ein paar Fragen zum Aussehen von Christian Lindner?
In diesem Jahr geht es auch im österreichischen Privatfernsehen etwas ruhiger zu. Ein unmoderiertes TV-Duell scheut die Politik heute wie ein Nichtschwimmer das Wasser. Dafür bemüht man sich bei Puls 4 zusehends, sich als ernstzunehmende Alternative neben dem ORF zu positionieren. Verantwortlich dafür ist Infochefin Corinna Milborn, die beim Sender auch die Talkshow "Pro & Contra" präsentiert und das Aushängeschild des Konzerns in Sachen seriöser Information ist. Neben den bereits gezeigten Sommergesprächen zeigt auch Puls 4 ab September direkte TV-Konfrontationen mit den Spitzenkandidaten. Ebenso wie beim ORF plant man hier zehn Sendungen, wobei immer zwei an einem Abend direkt nacheinander laufen. Zum Abschluss gibt es auch bei Puls 4 eine Runde aller Spitzenkandidaten. Auch ATV plant eine Elefantenrunde.
Puls 4 fordert schon lange Gebührengelder
Ausgerechnet die ProSiebenSat.1-Gruppe bemüht sich in Österreich also um ein politisches Profil. Sie tut das nicht aus einem Selbstzweck: Schon seit Jahren fordert Markus Breitenecker, Österreich-Geschäftsführer der Sendergruppe, einen Teil der Rundfunkgebühren auch für seine Sender. "Gebühren für Public-Value-Inhalte", ist die Forderung, die ProSiebenSat.1-Vorstand Conrad Albert in Deutschland vor wenigen Wochen ebenfalls stellte und damit überwiegend Kopfschütteln verursachte. ProSiebenSat.1 und Politik - das ist ein Kapitel für sich. In Österreich ist man da schon ein ganzes Stück weiter und hat sich viel Kompetenz angeeignet.
Anders als in Deutschland reichen Puls 4 in Österreich aber auch schon relativ überschaubare Reichweiten für Erfolge. So feiert man schon Wahlsendungen mit mehr als 200.000 Zuschauern als großen Erfolg - von den Sommergesprächen kam übrigens keins über diese Grenze. Puls 4 kommt im Schnitt auf rund 4,0 Prozent Marktanteil bei den in Österreich wichtigen 12- bis 49-Jährigen. Das können die meisten Wahlsendungen locker toppen, zweistellige Werte sind dennoch die Ausnahme. Und der ORF erreicht ohnehin mit so ziemlich allen Wahlsendungen mehr Zuschauer, da kann sich Puls 4 noch so strecken. In Deutschland kann das nicht der Anspruch von ProSiebenSat.1 sein.
Und dennoch lässt sich festhalten, dass es sowohl auf Seiten der TV-Sender in Österreich als auch bei den dortigen Politikern eine andere Strategie gibt als in Deutschland. Dort duckt sich kein Politiker weg - womöglich auch, weil das Rennen bei unseren Nachbarn viel offener ist als in Deutschland. Aber auch die großen Sender setzen viel konsequenter auf eine breite Abdeckung in der politischen Berichterstattung und haben dafür vor der Wahl viele eigenständige Formate erschaffen. Und während in Deutschland alle auf das TV-Duell hinfiebern, befindet sich Österreich rund einen Monat lang im Dauer-Wahlkampf.