Es stinkt. Es stinkt gewaltig. Es stinkt sogar so, dass man sich kurz ins Vorbild dieser Fiktion zurücksehnt: Die Siebziger. In denen hat Vati am Steuer zwar selbst mit (unangeschnalltem) Baby auf der Rückbank kettegeraucht und Mutti sogar im Kinderzimmer. Für den Magen jedoch war diese zutiefst leichtfertige Zeit immer noch besser als Hunderte Kräuterkippen, die in der nikotinlosen Gegenwart jeden Drehort verpesten, sobald die nikotinhaltige Vergangenheit darin aufersteht.
Zarahs Heimat.
Zarah heißt die Titelheldin der neuen ZDF-Serie. 1973, als der Hosenschlag breit ist und das Dekors bunt, wird die Bestsellerautorin vom Fantasiemagazin "Relevant" engagiert, um neue Leserinnen hinzuzugewinnen. Zunächst drei Doppelfolgen lang setzt sich diese Feministin mit dem Kollegium selbstgerechter Platzhirsche auseinander und geht ihrer Mission dabei mit sexualisiertem Furor nach. Hauptdarstellerin ist aber gar nicht so sehr die kindchenschemaschöne Claudia Eisinger, Hauptdarstellerin ist die Kulisse. Und wie das öffentlich-rechtliche Fernsehen ihr liebstes Zugpferd hegt und pflegt, erschließt sich erst richtig, wenn man das Set des ehrgeizigen TV-Projektes besucht.
Gedreht wird im Brutalismus einer verwaisten Bank, deren Abbruchurteil selbst durch eine 2. Staffel nur aufgeschoben wäre und der damaligen Goldgräberstimmung des Magazinjournalismus somit ebenso gut zu Gesichte steht wie der heutigen Grabesstimmung. Am Ende eines verwinkelten Flurs dieser architektonischen Todgeburt hat Regisseur Richard Huber ein Großraumbüro errichtet, wie es ältere Zuschauer noch aus Lou Grant kennen, der ab 1979 im ZDF das Bild vom Ameisenhaufen Zeitungsredaktion prägte. Wie bei der zeitgenössischen "L.A. Tribune" haben die Telefone auch bei der rückdatierten "Relevant" Wählscheiben. Auf dem Schreibtisch stehen Ascher und Olivetti statt Latte und Flatscreen. Die Garderobe ist aus Plastik, das Interieur aus Eiche, der Tonfall saftig. „Sie sehen ja hübsch aus“, flirtet Uwe Preuß als Herausgeber einer Sekretärin zu, die „ich bin ja auch verliebt“ kiekst, dass ihre Spitzenbluse vor Kichern bebt.
Wie wichtig der Kölner Produktionsfirma Bantry Bay die Ausstattung ist, zeigt sich allerdings erst richtig, als das Spitzentrio der Besetzungsliste zum Fotoshooting posiert. Links Claudia Eisingers Zarah in Stiefelchen unter grellen Hotpants, rechts Svenja Jungs Volontärin Jenny im grelleren Hosenanzug über Plateausohlen, dazwischen Torben Liebrechts Chefredakteur Kerckow im gedeckten Breitreversdreiteiler zum Schnauzbart – es ist tatsächlich eine Zeitreise, die man inmitten der autogerechten Hamburger City vollführt. Ist ja alles so schön bunt hier, möchte man mit den Worten von Nina Hagen ausrufen.
Nur, wer ein paar Originale im Biotop ihrer Epoche sieht, erkennt dort Seltsames: Irgendwie war bei Redford/Hoffman als Die Unbestechlichen Woodward/Bernstein drei Jahre nach der Besatzung vom Raumschiff Relevant zwar alles obenrum ähnlich eng und untenrum weit; die staubig beige Ästhetik im Filmbüro der Washington Post aber hat mit dem psychedelischen Farbinferno der deutschen Historisierung weniger zu tun als die renitente Sexbombe Zarah mit realen Vorbildern von Wibke Bruhns bis Peggy Parnass.
Wenn der Regisseur in gedämpften Tonfall versichert, „keine Materialschlacht zu wollen“, während er zugleich berichtet, wie aufwändig es sei, 20 funktionsfähige Schreibmaschinen und Dutzende Päckchen Reval ohne im Original zu akquirieren; wenn sein Credo lautet, „nicht auf die Zeit zu blicken, sondern in der Zeit zu sein“, also „charakter-, statt formgetrieben“, wirken die Aussagen am durch und durch musealen Drehort demnach so fremd wie der graue Pferdeschwanz des versierten Filmemachers. Dabei zeigt ein kleiner Spaziergang durch dessen Arbeitsplatz für 53 Drehtage, welchen Sog Nostalgie entfaltet. Wie Szenenbildnerin Zazie Knepper zum Beispiel die vollverglaste Fotoredaktion mit Bildern einer politisch bewegten Phase zwischen RAF- und Konsumterror hält oder die "Relevant"-Cover ganz im Stile des Vorbilds "Stern", das zeugt von weit mehr echter Hingabe als bloß Berechnung. Auch im akkuraten Kuddelmuddel des Chefbüros verliert das Klischee zwischen Gelsenkirchener Barock und Schildkrötenterrarium angenehm an Kalkül. Und wenn Claudia Eisinger in einer Drehpause vom gravierenden Unterschied erzählt, „ob ich als Frau eine Männerfantasie bediene oder mich schön fühle und das zum Ausdruck bringe“, ist man spontan dankbar, dass ihre Zarah mal nicht die Schablone der Feministin im selbstgestrickten Schafswollpulli benutzt.
Dennoch hat das amerikanische dem deutschen, das binäre dem linearen Fernsehen gerade mal wieder gezeigt, wie man Dekoration als Stilmittel, nicht als Wesenskern verwendet. Auch in der Amazon-Serie "Good Girls Revolt" ging es kürzlich um Journalistinnen im Kampf mit schwanz- und vorurteilsgesteuerten Kollegen vor rund 50 Jahren. Doch die Steckfrisuren und Kettenraucher darin dienen ein bisschen weniger der Optik als der Story. Andererseits: Kräuterzigaretten riechen wohl überall gleich furchtbar. Darauf einen Dujardin zur Reval ohne.