Eigentlich sollte in den nächsten Monaten das Hauptaugenmerk bei ProSiebenSat.1 darauf liegen, Sat.1 wieder auf Kurs zu bringen. "Unser Ziel ist klar: Wachstum", sagte Senderchef Kaspar Pflüger im Juni bei den Screenforce Days in Köln. In diesen Tagen ist allerdings weniger Sat.1 das Sorgenkind der Gruppe - vielmehr hat ProSieben aktuell mit Quoten-Problemen zu kämpfen, die die Führung um Daniel Rosemann in diesem Ausmaß wohl kaum erwartet hätte. Mit einer Ausnahme hat ProSieben in diesem Jahr bislang jeden Monat mit einem einstelligen Marktanteil abgeschlossen.

Nach der ersten August-Hälfte liegt der Sender in der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen sogar bei gerade mal noch 8,2 Prozent. Bleibt das so, dann käme ProSieben am Monatsende erstmals seit vielen Jahren hinter Sat.1 durchs Ziel. Dabei hatte sich ProSieben lange erfolgreich gegen die Fragmentierung des Marktes behauptet: Zwischen den Jahren 2002 und 2014 bewegte sich der Marktanteil konstant zwischen elf und zwölf Prozent, erst danach setzte ein allmählicher Sinkflug ein, der sich seit Jahresbeginn noch einmal verschärfte und jetzt die bislang größte Krise erreicht.

Doch worauf ist der Rückgang zurückzuführen? Den einen Schuldigen gibt es nicht, stattdessen quält den Sender aktuell eine Vielzahl an Problemen. Blickt man auf die vergangenen Monate zurück, dann kommt man schnell auf rund 20 Formate, die - ob neu oder alt - einstellige Marktanteile erzielten. Selbst Neustarts wie "Jerks" oder "Global Gladiators", die bei ProSieben offen als Erfolg gefeiert werden, schafften im Staffel-Schnitt nicht mal zehn Prozent. Mit neuen Serien hatte der Sender zudem schon länger kein Glück mehr: "This is us" dürfte von allen Flops mit im Schnitt kaum mehr als sechs Prozent der bitterste gewesen sein, aber auch "Limitless", "Lucifer" oder jüngst "Pure Genius" fielen beim Publikum durch.

Ganz zu schweigen von den zahlreichen Superhelden-Formaten, von denen derzeit aus den USA mehr nachkommen als ProSieben lieb sein kann. Denn ganz gleich ob "Supergirl", "Gotham", "The Flash" oder "Legends of Tomorrow" - sie alle waren hierzulande im linearen Fernsehen nicht konkurrenzfähig und wurden mit der Zeit ebenso wie "Empire" auf späte Sendeplätze verbannt. Für die Comedyserie "The Mick" lief's gar so schlecht, dass sie schon nach drei Wochen zusammen mit "Mom" ihren Sendeplatz räumen musste. Die Liste der großen Quoten-Enttäuschungen mit weniger als neun Prozent Marktanteil hat mittlerweile also erstaunliche Ausmaße angenommen:

Circus HalliGalli
Code Black
Empire
Gotham
Legends of Tomorrow
Limitless
Lucifer
Man with a Plan
Mom
Noch Fragen?! Die Antwortshow
Pure Genius
Supergirl
The Flash
The Mick
This is us
Uncovered

Vermutlich ließe sich die Aufzählung sogar noch um weitere Formate ergänzen, doch klar ist, dass es angesichts derart vieler Rückschläge schwierig ist, eine schnelle Trendwende einzuleiten, die den Sender wieder über die Marke von zehn Prozent verhelfen kann. Gleichzeitig tun sich auch wichtige Stützen zunehmend schwer: Auf Erstausstrahlungen von "The Big Bang Theory" konnte sich ProSieben mit im Schnitt mehr als 18 Prozent Marktanteil zwar verlassen, doch die Wiederholungen können freilich nicht mithalten. "Die Simpsons" kommen mit alten Folgen in der Primetime derzeit häufig nicht mehr auf zehn Prozent - und brachten im Übrigen auch am Nachmittag keine Besserung.

Daytime mit Problemen, Eigenproduktionen helfen

Generell entwickelt sich auch die Daytime zunehmend zum Problem für ProSieben. "The Middle" schaffte dort bislang nur knapp zweistellige Werte, zuletzt erzielte die Sitcom sogar eher weniger. Auch "Big Bang Theory" fuhr nachmittags im August über drei Prozentpunkte weniger als noch vor einem Jahr - ganz zu schweigen vom Vorabend, wo sich der US-Hit überhaupt nicht als Erfolg entpuppte. Und wenn es ProSieben, etwa am Samstagnachmittag, mit neuen Sitcoms versucht, dann sind wie im Falle von "Man with a Plan" im Schnitt nicht mal sieben Prozent Marktanteil drin. Zu allem Überfluss schwächeln in diesem Umfeld selbst die langjährigen Magazine: "taff" liegt im August bislang bei 9,8 Prozent Marktanteil, "Galileo" sogar nur bei 9,1 Prozent.

Dennoch gibt es sie noch, die guten Nachrichten für ProSieben. "Germany's next Topmodel" verbuchte im Frühjahr die stärksten Quoten seit sechs Jahren und verhalf im Windschatten auch "Kiss Bang Love" zu guten Werten. Auch "Die beste Show der Welt" und "Schlag den Star" gehörten zu den Publikumserfolgen, für den Herbst kann zudem wieder mit guten Zuschauerzahlen für "The Voice of Germany" gerechnet werden. Die Beispiele zeigen ganz gut, dass es vor allem die Eigenproduktionen sind, auf die sich ProSieben verlassen kann. Hier gilt es, anzusetzen. Eine neue Show mit Joko Winterscheidt und der Umbau von "Schlag den Star" zu "Schlag den Henssler" sind zumindest ein Anfang und dürften die Sorgen zusammen mit einer sinkenden Wiederholungs-Rate in den kommenden Wochen wohl wieder etwas lindern.

Trotzdem wird ProSieben auf absehbare Zeit auf amerikanische Fiction angewiesen sein. Insofern bleibt mit Blick auf den bevorstehenden Start der neuen Saison ein Stück weit das Prinzip Hoffnung, dass sich aus den Serien-Neustarts ein kommender Hit entwickelt. "Young Sheldon" könnte das Zeug dazu haben, auch wenn der "Big Bang Theory"-Ableger wenig gemein hat mit der Erzählweise des Originals. Auch Serien über Spezialeinheiten, wie sie gerade in den USA Hochkonjunktur haben, sind gewiss keine Selbstläufer - durch den Patriotimus-Boom auf der anderen Seite des Atlantiks sind diese Serien doch sehr stark auf das amerikanische Publikum zugeschnitten. Der angestrebte Weg zurück in die Zweistelligkeit wird für ProSieben also gewiss kein Spaziergang werden.