In der Notaufnahme überschlagen sich mal wieder die Ereignisse. Eine Frau ist Opfer einer Messerstecherei geworden und während die Ärzte noch um ihr Leben kämpfen, steht plötzlich ihre verstörte Tochter am Empfang. Außerdem ist da auch noch ein unbekannter Mann mit blutverschmierten Händen, der die Nachtschicht in Atem hält und als mutmaßlicher Täter gilt. Am Ende ist alles gut: Zwei Polizisten gelingt es, den Mann zu fassen, und glücklicherweise gibt's kurz darauf schon die nächste gute Nachricht – die Operation ist nämlich so erfolgreich, dass die Patientin überraschend sogar ihre Milz behalten kann. Da schaut dann selbst das kleine Mädchen nicht mehr ganz so bedröppelt drein.
Ein typischer Fall in der Kölner "Klinik am Südring", die streng genommen überhaupt keine Klinik ist und auch gar nicht in Köln steht. Vielmehr hat Sat.1 vor einiger Zeit zusammen mit der Produktionsfirma Filmpool entschieden, ein großes Fernsehstudio in Hürth so umzubauen, dass man beim Besuch der Räumlichkeiten tatsächlich nur dann das Gefühl hat, in einer Kulisse zu stehen, wenn man aus Versehen eine Tür öffnet, hinter der sich mal kein Behandlungsraum oder Patientenzimmer verbirgt. Das hängt auch damit zusammen, dass man sich schon bei der Ankunft mitten im Geschehen wiederfindet.
Eine Ärztin, die für die Sendung sowohl vor der Kamera steht, als auch an der Entwicklung der Geschichten mitwirkt, erzählt, dass sie anfangs selbst erstaunt war, wie echt hier alles ist. Tatsächlich wäre es kein Problem, hier, gegenüber einer Wurstfabrik, einen Ultraschall vorzunehmen oder Kinder auf die Welt zu bringen. Nur einen Operationssaal sucht man vergebens, weil dieser zum jetzigen Zeitpunkt aus Sicht der Verantwortlichen kaum Sinn ergibt – schließlich sind Patienten in aller Regel still, während man ihnen den Bauch aufschneidet. Fürs Nachmittagsprogramm ist das eher untauglich.
Der an diesem Montag gezeigte Fall zeigt die Genese der Sendung jedoch ganz gut. Weil die Krankenhaus-Geschichten im einigermaßen beliebten "Auf Streife"-Ableger "Die Spezialisten" bei den Zuschauern auf Wohlwollen stießen, entschied sich Sat.1 vor einem Jahr dazu, die "Klinik am Südring" auszulagern, was den Bau der aufwendigen Studio-Kulisse nach sich zog. Inzwischen wird täglich eine Stunde lang behandelt, getröstet und operiert – das wirkt durchaus packend und kommt gleichzeitig erstaunlich bodenständig daher. "Wir müssen sehr sorgsam mit den Geschichten umgehen, weil es das Publikum nicht verzeiht, wenn wir Krankheiten überdramatisieren", sagt Stockhaus.
Emotionale Ausnahmesituationen wie Krankenheiten emotional auch noch zu überhöhen – das würde auf den Zuschauer dann doch befremdlich wirken, gibt die erfahrene Fernsehmacherin zu verstehen. Auf diese Weise kommt das Sat.1-Nachmittagsprogramm von heute ein ganzes Stück realitätsnaher daher als die Scripted-Formate, die noch vor einigen Jahren vermeintlich Echtes vermitteln wollten. "Früher haben wir buntere und beispielsweise zu Zeiten der 'Familienfälle' teilweise auch skurrilere Geschichten erzählt, aber das hat sich ganz klar verändert", erzählt Katrin Stockhaus. "Der Zuschauer sehnt sich nach Wahrhaftigkeit."
"Daytime-Entwicklung ist tägliche Marktforschung on air."
Katrin Stockhaus, Sat.1
Bei Filmpool kennt man diese Wellenbewegungen nur allzu gut. Mit "Richterin Barbara Salesch" löste man einst den Gerichtsshow-Boom im Fernsehen aus und als sich das Genre seinem Ende näherte, gelang der Produktionsfirma mit Formaten wie dem "Blaulicht-Report" der nächste Erfolg. Diesen haben die großen Privaten zuletzt allerdings arg überstrapaziert, sodass sowohl Sat.1 als auch die Kollegen von RTL mittlerweile nach neuen Ideen für den Nachmittag suchen. "Daytime-Entwicklung ist tägliche Marktforschung on air", weiß Stockhaus, die in der Vergangenheit schon für ProSieben den Nachmittag verantwortete, als dort noch nicht eingekaufte Sitcoms in Dauerschleife liefen.
Das Ende des Scripted-Trends sieht sie indes noch nicht gekommen. "Scripted ist für uns kein Genre, sondern eine Produktionsart, die wertstabiles Produzieren von großer Stofffülle ermöglicht." Und nach Richtern und Polizisten sind jetzt eben die Doktoren an der Reihe. Die sorgen übrigens auch dafür, dass die Klinik-Geschichten nicht zur Gaukel-Nummer verkommen. Kein Wunder, immerhin galt es, zunächst das Vertrauen der Ärzte zu gewinnen, die nichts weniger zu verlieren haben als einen guten Ruf. "Wir haben zwar über 200.000 Menschen in unserer Kartei, haben aber zusätzlich in einer großen Casting-Aktion bundesweit nach Ärzten für die Sendung gesucht", sagt Dinah Sassen, die als Executive Producer bei Filmpool für die "Klinik am Südring" verantwortlich zeichnet.
Etwa vier Wochen vergingen von der Entwicklung einer Geschichte bis zu ihrer Abnahme, rechnet sie vor und Katrin Stockhaus von Sat.1 versichert, dass hier nichts schnell produziert werde. Vielmehr gehöre die "Klinik" zu den aufwendigsten Daytime-Formaten des Senders, weil bis zu fünf Geschichten in einer Folge erzählt werden – manche von ihnen weisen sogar einen A- und einen B-Plot auf. "Da muss akribisch auf Handlungsbögen, Dramaturgie und die Positionierung der Experten geachtet werden." Noch schießen die Quoten zwar nicht durch die Decke, doch vor allem bei den Frauen mittleren Alters kommt die Sendung gut an. Das ist nicht ganz unwichtig, weil vor allem sie es sind, die am Nachmittag in großer Masse darüber entscheiden, welche Formate erfolgreich sind und welche nicht.
Aktuell arbeitet Sat.1 sogar schon am nächsten Spin-Off für die Daytime und will parallel dazu trotz der mäßigen Quoten der "Schulexperten" auch weiterhin auf die Themen Schule und Erziehung setzen, "schließlich haben 30 Prozent unserer Zuschauerinnen schulpflichtige Kinder", weiß Stockhaus. Die Dreharbeiten in der TV-Klinik gegenüber der Wurstfabrik gehen derweil unvermindert weiter. Das Schöne: Niemand muss sich darum sorgen, dass einer der Patienten die "Klinik am Südring" mit den Füßen voraus verlassen muss. "Wir haben immer ein Happy-End, bei uns stirbt niemand", versichert die Daytime-Chefin von Sat.1 und sagt: "Das ist das einzige, das leider nicht realistisch ist."