Im weitaus kleineren Kreis der Direktorensitzung, die jeden Montagnachmittag im Konferenzraum direkt neben seinem Büro stattfindet, wird der HR-Intendant noch deutlicher und kämpferischer. Im laufenden ARD-weiten Strukturprozess dürfe es nicht nur darum gehen, blind die Erwartungen der Bundesländer zu erfüllen. Man müsse sich vielmehr Luft verschaffen für das eigentlich Wichtige, das Programm. Krupp ist anzumerken, dass es ihm persönlich nicht schnell und weit genug geht, als er vom Zwischenstand eines mutmaßlichen Einsparpotenzials von 300 Millionen Euro durch Vereinheitlichung bei IT, Buchhaltung und Archiven berichtet. Aber neun Anstalten unter einen Hut zu bringen, ist eben keine Kleinigkeit.
Als einer der Direktoren sich genervt zeigt, weil der MDR als ARD-Vorsitzanstalt ständig neue Zahlen abfrage, verteidigt Krupp die Leipziger Kollegen: "Dafür, dass auf die noch viel mehr Anfragen von außen einprasseln, machen sie einen prima Job." Kurz blitzt auf, dass Krupp zumindest in Hessen politisch bestens vernetzt ist, obwohl er das ungern raushängen lässt. Er weiß, dass Ministerpräsident Bouffier ein Verfechter von Sport im Öffentlich-Rechtlichen ist, sein Chef der Staatskanzlei wiederum ein Fan der Klangkörper. Ob das den HR vor allzu harten Einschnitten bewahrt, ist fraglich.
Dann diskutiert die Runde über anhaltende Kapazitätsengpässe bei der hauseigenen IT, die beispielsweise zur Folge haben, dass der regionale Hessen-Filter in der "Tagesschau"-App noch nicht funktioniert (Krupp: "Ich werde zunehmend darauf angesprochen"). Über eine dringende Sanierung des Sendesaals, die mit 5,22 Millionen Euro zu Buche schlagen wird, und über die anstehende Erneuerung der Studiokamerasysteme, die voraussichtlich 1,8 Millionen Euro kostet und die der HR erstmals gemeinsam mit MDR und SR angehen will. "Ein guter Anfang", kommentiert Krupp, um direkt nachzulegen: "Wann werden wir wohl ARD-weit alle mit den gleichen Kameras arbeiten?"
HR-Kommunikationschef Christoph Hammerschmidt erhält nach kurzer Diskussion den Auftrag der Direktoren, seine Abteilung wie von ihm selbst vorgeschlagen neu zu organisieren. Statt sechs Sachgebieten nebeneinander soll es künftig nur noch zwei große Stränge – Presse aktuell und Markenkommunikation – geben, damit die Teams agiler und flexibler werden. Ganz nach Krupps Geschmack. Er moderiert die Runde in zügigem Tempo, ohne freilich jemals das Wort abzuschneiden. Ist ein Beschluss gefasst, sagt er: "Möge die Übung gelingen!" oder fragt nur kurz: "Okay?" – mit einem Unterton, der Widerspruch ab diesem Punkt nicht mehr willkommen heißt.
Eine, die Krupps Geschwindigkeit mag, ist seine Referentin Beatrice Henke, die in der Direktorensitzung Protokoll führt. Bevor sie sich ans Abtippen macht, erzählt die 30-jährige Volljuristin und Journalistin kurz, wie ihre im Februar begonnene Zusammenarbeit mit dem Intendanten läuft. Für den frischen Blick von außen habe er sie geholt, aber auch als Auge und Ohr nach innen. Wo der Schuh in der Belegschaft drückt, erzählt manch einer vielleicht lieber einer jungen Frau als gleich dem Oberboss. Kritisches Hinterfragen von allem, was ist, habe Krupp ihr quasi ins Stellenprofil geschrieben. "Weil er als junger Mann schon viel Verantwortung hatte, gibt er heute gern Verantwortung an die Jungen", so Henke. Was sie nicht sagt, aber kein allzu gewagter Schluss sein dürfte: Krupp ist jetzt 61 und vom Rundfunkrat bis Februar 2022 gewählt. Dann ist er 66 und wird in den Ruhestand gehen. So eine Perspektive kann frei machen. Bestimmte Rücksichten, die man für eine Wiederwahl nehmen müsste, fallen weg. Das ist bei Intendanten nicht anders als bei Regierungschefs.
Zu den größten Verwerfungen in der Frankfurter Anstalt zählt die für Anfang 2018 geplante Zusammenlegung aller Redaktionen für regionale Information in einer trimedialen Hessen-Unit. TV, Radio und Online sollen dann aus einer Hand bespielt werden, das betrifft weit über 200 Mitarbeiter. Verantwortlich für den Großprozess ist Fernsehdirektorin Gabriele Holzner, die Krupp in dieser Position im März 2016 nachfolgte, als er zum Intendanten aufstieg. In einem ihrer regelmäßigen Zweier-Meetings ("Rücksprache mit FD" steht in Krupps iPad-Kalender) geht es um den Fortschritt der zuständigen Projektgruppe, die sich für zwei Wochen vom laufenden Betrieb abgeschottet hat. Mehr als ein kurzes Zitat pro Tag im Intranet sei derzeit nicht zu kriegen, sagt Holzner. Man wolle die delegierten Mitarbeiter zunächst möglichst frei brainstormen lassen. Krupp stimmt zu, obwohl er seine Neugier auf erste Zwischenergebnisse kaum zügeln kann.
Der andere Wurf, den Holzner schon früher bewältigen muss, ist eine Programmschema-Reform fürs HR-Fernsehen, die ab September greifen soll. Krupps Augen fliegen förmlich über den Entwurf, den die Fernsehdirektorin ihm reicht. "Mutig!", kommentiert er den erhöhten Informationsanteil in der Primetime. "Zweimal pro Woche 'Das große HessenQuiz'? Ich dachte, eins davon nehmen Sie raus", entfährt es ihm. Und überhaupt: ob die Unterhaltungsabteilung nicht mal wieder etwas Neues liefern könne. Doch dann: "Möge die Übung gelingen!"
"Manchmal muss ich aufpassen, nicht mehr aus Versehen Fernsehdirektor zu spielen"
HR-Intendant Manfred Krupp
Auf dem Weg zum nächsten Termin erklärt Krupp lächelnd, er müsse manchmal aufpassen, nicht mehr aus Versehen Fernsehdirektor zu spielen. Den Job hatte er elf Jahre, irgendwann war er der Dienstälteste in der Fernsehprogrammkonferenz der ARD. Ob ihm Holzners Entwurf denn nun zusage oder nicht? "Persönlich würde ich manches anders machen, aber jetzt ist sie Fernsehdirektorin und ich versuche, meinen Leuten Vertrauen und Freiraum zu geben." Spricht's und entschwindet in einen Notartermin. Nach dem jüngsten Korrespondentenwechsel im ARD-Studio Madrid, für das der HR die Federführung trägt, müssen Bankvollmachten und Dienstwagenzulassungen geändert werden. Das kann nur der Intendant unterzeichnen.