"Es gibt extrem viele Serien in Deutschland, aber die sind eben vorwiegend aus dem Brot-und-Butter-Geschäft", fasste Astrid Quentell, Chefin der Sony Pictures Film- und Fernsehproduktion, den Status-Quo der deutschen Serienlandschaft ganz gut zusammen. Tatsächlich haben viele sehr erfolgreiche Produktionen, vorwiegend aus dem Krimi-Bereich, ja fraglos ihre Existenzberechtigung - aber wenn es in der Diskussion aufs viel bemühte "New Golden Age of Television" kommt, dann fallen eben doch eher selten Titel aus der "Soko"-Reihe oder "Um Himmels Willen".
Das ist aus Sicht der Sender zunächst mal nachvollziehbar, wie auch Produzent Peter Nadermann einräumt. "Sender, die vor allem Zuschauer über 60 haben, haben naturgemäß erstmal ein größeres Interesse, Procedurals zu machen, weil die in dieser Altersgruppe gefragt sind." Dass es High-Concept-Serien so viel schwerer haben, ist aus seiner Sicht aber ein hausgemachtes Problem: "Man darf Erwartungen der Zuschauer nicht nur befriedigen, sondern muss neue Erwartungen wecken." Früher hätten das ARD und ZDF stärker gemacht, heute kann man es im benachbarten Ausland beobachten: "Wenn eine High-Concept-Serie wie 'The Legacy / Die Erbschaft' in Dänemark 58 Prozent Marktanteil hat, ist das für uns Avantgarde, für die aber Mainstream. Das liegt auch daran, dass die ihre Zuschauer in diese Richtung erzogen haben."
Auch in Deutschland gibt es ohne Frage zumindest in jüngeren Zielgruppen einen Bedarf für solche High-Concept-Serien - den diese aber längst bei Angeboten VoD-Angeboten decken. Nadermann sieht darin eine große Gefahr für die hiesigen TV-Anbieter: "Amazon und Netflix mögen heute noch eine übeschaubare Reichweite haben. Aber es ist gefährlich, wenn man eine ganze Generation verliert. Man hat irgendwann den Zuschauer, den man verdient."
Dass hierzulande kaum Serien auf Weltniveau entstehen, liegt aber wohl nicht zuletzt auch am Geld. Obwohl das Produzieren in Deutschland recht teuer ist, seien die Budgets vergleichsweise niedrig. Selbst bei einem Aushängeschild wie dem "Tatort" gebe es nur ein Budget, mit dem man kaum auf international konkurrenzfähigem Niveau produzieren könne. Genau das wäre aber aus Nadermanns Sicht der Schlüssel - denn durch den Export, käme schließlich weiteres Geld hinzu. Derzeit sei das deutsche Fernsehen jedenfalls erschreckend ineffzient: "Das deutsche Fernsehen bezahlt sich zu 90 Prozent selbst, bei der BBC ist's vielleicht die Hälfte."
Sein Lösungsvorschlag: Internationale Koproduktionen, die durch die Finanzierung aus mehreren Ländern einfacher finanziell besser ausgestattet werden könnten. Tatsächlich hat Nadermann das in der Vergangenheit mit Produktionen wie "Kommissarin Lund" oder "Die Brücke" schon mehrfach erfolgreich vorexerziert. Trotzdem hielt sich die Begeisterung für internationale Koproduktionen auf dem Abschluss-Panel des Serien-Summits doch in engen Grenzen.
"Wenn wir eine Serie synchronisieren müssen, dann ist es auch fast egal, ob wir sie einfach einkaufen, oder wesentlich teurer koproduziert haben", gab etwa Marcus Ammon von Sky zu bedenken. Um - die gerade für einen Pay-TV-Sender wie Sky so wichtige - PR machen zu können, sei man beispielsweise auf deutsche Schauspieler angewiesen. Und es sei auch eine Frage der Authentizität, auf deutsch zu drehen. Mit Blick auf die Serien-Fortsetzung zu "Das Boot" sagte Ammon: "Auf einem deutschen U-Boot muss eben deutsch gesprochen werden."
Auch Astrid Quentell von Sony plädierte für lokale Produktionen: "Es ist wichtig, Fernsehen fürs eigene Land zu machen." Bei rein deutschen Produktionen gebe es den Vorteil, dass man die Erlebniswelt der Zuschauer genau kenne. Als Beispiel führte sie ihre Serie "Der Lehrer" an: Die spiele in einer deutschen Schule nach deutschem Schulsystem - das sehe in anderen Ländern ganz anders aus. Dazu komme, dass andere Länder beispielsweise ein anderes Humorverständnis haben und ähnliche kulturelle Unterschiede. Zugleich räumte sie aber ein, dass der Austausch mit internationalen Kollegen sehr wichtig sei - der sei aber auch bei lokalen Produktionen möglich. So arbeite man derzeit mit amerikanischen Autoren zusammen, was die Arbeit nochmal befruchte.
Wenn die internationale Koproduktion nicht das Allheilmittel ist, stellt sich trotzdem noch die Frage: Wer soll das bezahlen? Marcus Ammon von Sky wünscht sich natürlich deutlich wachsende Kundenzahlen fürs Pay-TV, das die Produktion solcher Serien dann ermöglichen würde - doch bis es soweit ist, müsse man eben "mehr Kreativität bei der Finanzierung entwickeln". Als Beispiel führt er "Babylon Berlin" an, bei dem bekanntlich ARD, Sky und Beta Film ihre Kräfte gebündelt haben und so ein Budget weit über dem üblichen auf die Beine gestellt haben. Die Partner sind hier ins Risiko gegangen - um so spannender wird sein, wie die Serie letztlich ankommen wird. Ammon schraubt die Quoten-Erwartungen im Vorfeld lieber erstmal nach unten: Für Sky stehe nicht die reine Zuschauerzahl allein im Vordergrund, es gehe auch um den PR-Wert und die Frage, ob man Abonnenten damit gewinne. Und zumindst in Sachen PR sei die Serie für Sky schon jetzt ein Erfolg. Der ARD drückt er aber natürlich auch die Daumen für einen Zuschauererfolg - denn ohne den öffentlich-rechtlichen Partner, wird eine zweite Staffel kaum finanzierbar sein.
Bis auf Weiteres hängt es wohl tatsächlich vor allem an ARD und ZDF, ob die Zahl horizontal erzählter High-Concept-Serien in absehbarer Zukunft steigen kann. Daher hat Astrid Quentell auch einen Wunsch: Einen - zuzüglich zur Bereitstellung in den Mediatheken natürlich - festen Sendeplatz für derartige Produktionen, die ja auch nicht zwangsläufig um 20:15 Uhr laufen müssten. Dafür gelte es, diesen Platz dann auch mal ein Jahr durchzuhalten. Denn was Rituale in Sachen Quote bewirken können, lässt sich bekanntlich jeden Sonntagabend beim "Tatort" beobachten. Womit man wieder bei Peter Nadermanns Anfangsthese wäre: Dass man den Zuschauer vielleicht ein Stück weit auch erziehen muss.