Immer mehr Medien haben in jüngster Vergangenheit angekündigt, sich vermehrt um die ganz normalen Menschen kümmern zu wollen. Sie wollen wieder verstärkt die Themen aufgreifen, die auch den "kleinen Mann" von nebenan betreffen. Viele Menschen hatten zuletzt ja das Gefühl, dass sie gar nicht mehr in den Medien repräsentiert sind. Das führte dazu, dass große Filterblasen entstanden und sich einige Menschen heute nur noch mit den Meinungen umgeben, die sie hören wollen. Begriffe wie "Lügenpresse" entstanden, Journalisten werden immer häufiger angefeindet. Dem soll nun entgegengewirkt werden - die einen planen Fake-News-Einheiten, die anderen ganz bestimmte Formate.

So hat die "Zeit" zuletzt das Projekt #D17 gestartet, durch das man auch mit Andersdenkenden in eine Diskussion treten will. Reporter fahren zudem in ihre Heimatstätte und reden mit den Menschen vor Ort - was bewegt sie wirklich? Auch Claus Strunz hat angekündigt, sich mit der "Akte" wieder vermehrt um die Probleme von ganz normalen Bürgern zu kümmern. Ganz plakativ wird das durch das neue Motto der Sendung: "Sagen, was Sache ist". Sandra Maischberger richtete im November erstmals eine Publikumsdebatte aus und wird diese am kommenden Mittwoch wiederholen. 


Auch bei n-tv will man verstärkt normale Bürger zu Wort kommen lassen und startet deshalb "Jetzt Knippertz!" mit Torsten Knippertz. Gleichzeitig legt man beim Sender großen Wert auf die Feststellung, dass entsprechende Formate beim Sender und der gesamten Mediengruppe RTL immer eine große Rolle gespielt haben. "Unser Antrieb ist es, nah an den Menschen dran zu sein, ihre Lebenswirklichkeit zu verstehen, ihnen eine Stimme zu geben und ihre Fragen an die Entscheider weiterzugeben. Das ist - zumindest bei uns - keine neue Entwicklung", sagt n-tv-Chefredakteurin Sonja Schwetje im Gespräch mit DWDL.de. Schwetje verweist auf Formate wie "busch@n-tv.de" und "Marhaba - Ankommen in Deutschland" sowie "Schreiber vor Ort" mit Constantin Schreiber.

Auch in "Jetzt Knippertz!" will man den Diskurs anregen. Die Sendung ist in drei Teilen angelegt: Knippertz  trifft zunächst auf eine Person mit einer bestimmten Meinung und/oder Angst. In der ersten Sendung geht es um eine Frau, die in einem kleinen deutschen Ort lebt, in dem es zuletzt zu vielen Einbrüchen gekommen ist. Die Frau fühlt sich daher unsicher. In einem zweiten Teil spricht Knippertz mit einer Person, die eine entgegengesetzte Meinung vertritt. In diesem Fall mit einem Vertreter der German Rifle Association, die, kurz gesagt, das US-Modell für Deutschland fordert. Das heißt: Alle Bürger sollen sich bewaffnen dürfen und dadurch werde die Kriminalität schon sinken. Im dritten und letzten Teil treffen die beiden Protagonisten aufeinander und es kommt zu einer Diskussion, Vertreter der Politik oder der Polizei (wie in diesem Fall) sind ebenfalls mit dabei.

Diese Diskussion findet aber nicht in einem Studio statt, man will ja schließlich nah an den Menschen sein. Daher wird in der ersten Folge in einem Restaurant in Bochum diskutiert. Die Zuschauer vor Ort können Fragen stellen und sich in die Diskussion mit einbringen. "Es ist mir wichtig den Menschen zuzuhören, um zu schauen, wo der Schuh drückt und wo es Probleme gibt", sagt Torsten Knippertz im Gespräch mit DWDL.de. Man werde den Talk nicht neu erfinden, aber will dennoch "stark am Talk-Rad" drehen, so der Journalist, der gleichzeitig als Stadionsprecher für Borussia Mönchengladbach arbeitet.

Knippertz selbst ist schon seit einigen Jahren bei n-tv, seit 2012 moderiert er die "Ratgeber"-Sendungen. "Ich hätte das Format auch gerne schon vor fünf Jahren gemacht, aber damals hat mich noch kein Sender gelassen", sagt er. Vor drei Jahren hat er dann erstmals eine eigene kleine Talk-Sendung in Mönchengladbach gemacht und erste Erfahrungen gesammelt. "Vielleicht hat der ein oder andere im Sender das gesehen und sich gedacht: Oh, der Knippertz kann das." Eins ist Knippertz ganz wichtig: Die Sendung soll nicht erwartbar sein. Er will eine kontroverse Diskussion, bei der sich die Zuschauer am Ende selbst ein Bild machen können. Einzelne Aussagen bewerten oder konkret mit einer eigenen Meinung Stellung beziehen will Knippertz nicht. Widersprüche in Aussagen will er aber schon aufzeigen.

Da müssen wir schon im Vorfeld der Sendung den Menschen ganz genau zuhören und dann gemeinsam entscheiden, mit welchem Thema wir uns näher auseinandersetzen.

Torsten Knippertz

Zunächst zeigt n-tv nur eine Sendung, bei der sich alles um das Thema Sicherheit dreht. Weitere Ausgaben sind aber schon in Planung, die möglichen Themen liegen für Knippertz auf der Straße. So würde er sich etwa gerne mit Mieten, dem Wohnraum in Großstädten allgemein oder dem Thema Bildung beschäftigen. "Da müssen wir schon im Vorfeld der Sendung den Menschen ganz genau zuhören und dann gemeinsam entscheiden, mit welchem Thema wir uns näher auseinandersetzen."

In eine ähnliche Kerbe schlägt die WDR-Sendung "Ihre Meinung" mit Bettina Böttinger, bei der 100 Zuschauer mit Politikern und Experten zu einem bestimmten Thema diskutieren. "Eine in Mode gekommene Kritik am Journalismus lautet, es werde gewissermaßen von oben nach unten berichtet und damit funktioniere der Journalismus als verlängerter Arm der etablierten Politik. Die viel beschworene Glaubwürdigkeitskrise", sagt Böttinger gegenüber DWDL.de. In "Ihre Meinung" wolle man Menschen nach ihrer Lebenswirklichkeit befragen. Sie sollen sagen, was sie von der Politik erwarten.

Im vergangenen Jahr ging "Ihre Meinung" erstmals auf Sendung. Sie sei überrascht von der Vielzahl der Anfragen gewesen, sagt Böttinger. "Für mich ist es jedes Mal spannend, mich auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einzulassen, und ich versuche, Ihnen unvoreingenommen und vorurteilsfrei entgegenzutreten. Das heißt nicht, dass ich keine Haltung einnehme oder nicht kritisch nachfrage. Es geht um die Augenhöhe, und das genau schätzt auch das Fernsehpublikum."

Ankündigungen von Medien, sich wieder verstärkt mit den Problemen von "ganz normalen Menschen" auseinanderzusetzen, sind aber auch immer mit ein wenig Vorsicht zu genießen. Die Redaktionen müssen dabei schließlich immer eine heikle Gratwanderung bewältigen: Wo hört ein Einzelfall auf und wo betrifft eine Sache schon größere Teile der Gesellschaft? "Natürlich müssen wir im Vorfeld immer schauen, ob das auch wirklich ein Thema ist oder vielleicht doch nur ein Einzelfall. Da müssen wir sensibel sein, innerhalb der Redaktion und des Senders diskutieren und journalistische Sorgfalt walten lassen", sagt Torsten Knippertz.

Und das ist auch der Grund, weshalb ich finde, auch für Politiker könnte diese Sendung ein Lehrstück sein.

Bettina Böttinger

Bettina Böttinger stellt einige Gegenfragen. Darunter auch: "Ist es kleinteilig, wenn ein Rentner berichtet, dass er nach 40 Berufsjahren als Kraftfahrer mitunter Flaschen sammelt, um über die Runden zu kommen?" Sie findet das schlicht authentisch. "Und das ist auch der Grund, weshalb ich finde, auch für Politiker könnte diese Sendung ein Lehrstück sein." Lehrstück oder nicht: Ein Trend sind entsprechende Sendungen und Formate in jedem Fall.

n-tv zeigt die erste Folge von "Jetzt Knippertz!" am Dienstag, den 4. April, ab 23:10 Uhr.