Hinter dem ORF liegen turbulente Monate: Vor ziemlich genau acht Wochen wurde ein neuer Generaldirektor in Österreichs größtem Medienunternehmen gewählt, vor vier Wochen die übrige Führungsmannschaft. Doch so unspektakulär das Ergebnis letztendlich ausfiel - Amtsinhaber Alexander Wrabetz wurde für eine dritte Amtszeit bestellt - der Wahlkampf im Vorfeld hatte es in sich. Wrabetz trat gegen seinen Finanzchef Richard Grasl an. Die beiden waren die einzigen Bewerber, denen ernsthafte Siegchancen eingeräumt wurden.
Und so verging bis zur Wahl am 9. August eigentlich kein Tag, an dem die zwei Bewerber nicht in irgendeinem Medium ihre Pläne vorstellten, Vorhaben erläuterten und um Zustimmung warben. Wrabetz, der seinen Hut bereits Ende 2015 in den Ring warf, setzte dabei auf Kontinuität und leichte Anpassungen, während Grasl am großen Rad drehen und einige Änderungen durchbringen wollte. Das Duell zwischen Wrabetz und Grasl war aber auch ein Machtkampf zwischen den regierenden Parteien SPÖ und ÖVP. Sie stellen im 35-köpfigen Stiftungsrat, das den Generaldirektor wählt, mit jeweils 13 Mitgliedern die Mehrheit. Die SPÖ unterstützte Wrabetz, die ÖVP Grasl.
Offiziell dürfen zwar keine Partei-Mitglieder dem Stiftungsrat angehören, dennoch sind fast alle Stiftungsräte einem politischen Spektrum zuzuordnen. Das ist auch kein Wunder: Die meisten Mitglieder werden durch die politischen Parteien, die Bundesregierung selbst und die Landesregierungen vorgeschlagen und entsandt. SPÖ und ÖVP bilden im Stiftungsrat - ähnlich wie man das auch in Deutschland beim ZDF kennt - Freundeskreise, die meist geschlossen abstimmen. Fehlen hier und da Mehrheiten, versucht man Stiftungsräte der Opposition oder aus dem unabhängigen Lager zu überzeugen.
Bei diesem politisch besetzten Aufsichtsgremium kommt es zwangsläufig zu Einmischungen in Senderangelegenheiten. Im Vorfeld der Generaldirektoren-Wahl wurden viele Stiftunsgräte einzeln interviewt und durften Wünsche zur Zukunft des ORF äußern. Immer wieder gibt es Personal-Entscheidungen, die von Beobachtern als Zugeständnis an eine bestimmte Partei gewertet werden. Viel öfters aber kommt es vor, dass sich Parteien direkt über ORF-Angelegenheiten beschweren. Erst am vergangenen Wochenende kritisierten die liberalen Neos, dass man in die Diskussionssendung "Im Zentrum" nicht eingeladen wurde. "Im Zentrum" läuft im ORF nach dem "Tatort" und gilt als wichtigste Polit-Talkshow des Landes. Als die Redaktion im Sommer den damaligen Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) zum Einzelninterview bat, löste das eine gefühlte Staatskrise aus. Vor allem der Koalitionspartner ÖVP fühlte sich vom ORF ausgebootet.
Das Thema politische (Un-)Abhängigkeit ist ein heikles Pflaster. Die ORF-Redakteure sehen sich von den verschiedenen Parteien, allen voran von der rechtspopulistischen FPÖ, immer wieder dem Vorwurf der einseitigen Berichterstattung ausgesetzt. Manchmal erheben die Redakteure aber auch ihre Stimme gegen die eigene Führung: Als 2012 der SPÖ-nahe Stiftungsrat Niko Pelinka zum Büroleiter von Wrabetz befördert werden sollte, protestierten die Journalisten des Senders lautstark und öffentlich. Pelinka zog daraufhin seine Bewerbung zurück.
Als der Stiftungsrats-Vorsitzende Dietmar Hoscher nach der Wahl von Alexander Wrabetz im August auf einer Pressekonferenz von einem Journalisten der Tageszeitung "Kurier" gefragt wurde, ob man den Stiftungsrat als entpolitisiert bezeichnen könnte, herrschte zunächst betretenes Schweigen. Hoscher antwortete schließlich vielsagend mit den Worten: "Kein Kommentar" (Hier geht’s zum Video).
Verhält sich der ORF wie ein Privatsender?
Inhaltlich ist der ORF aufgestellt wie wohl nur wenige öffentlich-rechtliche Sender in Europa. Im Fernsehen sind ORF eins und ORF 2 die Zugpferde des Konzerns, in den Spartenkanälen ORF Sport plus und ORF III geht es um Sport und Kultur. Interessant ist die völlig gegensätzliche Aufstellung von ORF eins und ORF 2. Während der erstgenannte Sender vor allem junge Zuschauer anlocken soll, ist ORF 2 das Paradebeispiel für einen klassisch öffentlich-rechtlichen Sender.
Das sorgt auch immer wieder für Kritik. Da an einem normalen Wochentag nachmittags bei ORF eins auch "O.C. California", "Scrubs", "The Big Bang Theory", "How I Met Your Mother", "The Simpsons" und diverse andere US-Serien zu sehen sind, heißt es oft, der ORF verhalte sich hier wie ein Privatsender. Tatsächlich zeigt ORF eins auch in der Primetime viele US-Serien, Spielfilme und eigenproduzierte Fiction, vor allem Krimis. Auch Shows wie "Dancing with the Stars" (basiert auf dem gleichen Original wie hierzulande "Let's Dance") und Sport-Übertragungen wie die Champions League und die Formel 1 sind hier zu sehen.
ORF 2 dagegen hat sich als Zuschauer für die ältere Generation positioniert und zeigt Nachrichten, Tier-Dokus, Polit-Talks und Telenovelas. Auch der "Tatort" wird in ORF 2 gezeigt. Gemeinsam liegen die ORF-Sender noch immer bei mehr als 30 Prozent Marktanteil bei den Gesamtzuschauern ab zwölf Jahren. Die Werte gehen zwar seit Jahren nach unten, der steile Sinkflug der Vergangenheit hat in den vergangenen Monaten aber nachgelassen. Auch in der werberelevanten Zielgruppe der 12- bis 49-Jährigen sind die ORF-Programme nach wie vor Marktführer - knapp vor der Konkurrenz von ProSiebenSat.1 Puls 4.
Die werberelevante Zielgruppe ist deshalb wichtig für den ORF, weil sich der Medienkonzern nicht ausschließlich über Gebühren finanziert. Von den knapp einer Milliarde Euro Umsatz entfallen mehr als ein Viertel auf Werbung. Der ORF generiert also durchaus beträchtliche Werbeumsätze. Aufgrund der hohen Marktanteile der Sender hieß es unter österreichischen Werbern lange: Wirbst du nicht im ORF, existierst du nicht. Heute ist das dank vieler privater Alternativen nicht mehr ganz so extrem. Laut Gesetz darf der ORF pro Tag und pro Programm außerdem nur maximal 42 Minuten Werbung zeigen. Unterbrecherwerbung ist mit wenigen Ausnahmen verboten.
70 Prozent Marktanteil auf dem Radio-Markt
Im Radio dominiert der ORF noch deutlicher. Hier kam der Medienkonzern im ersten Halbjahr 2016 mit all seinen Stationen auf 70 Prozent Marktanteil, bei den jungen Hörern holen die ORF-Radios ebenfalls starke 61 Prozent. Flaggschiff des ORF und Cashcow des gesamten Konzerns ist das Popradio Ö3, das in den meisten Bundesländern Marktführer bei den jungen Hörern ist und laut "Standard"-Ranking auf etwa 55 Millionen Euro Umsatz kommt. Hinzu kommen neun Regionalsender, für jedes Bundesland einer, der Kultur-Kanal Ö1 sowie der Jugendkultursender FM4.
Der Hauptsitz des ORF liegt am Wiener Küniglberg und soll bis 2020 für etwas mehr als 300 Millionen Euro saniert bzw. in Teilen neu gebaut werden. Doch der Konzern verfügt in jedem Bundesland über ein Landesstudio. Diese produzieren Bundesländer-spezifische Sendungen, allen voran das tägliche Nachrichten-Format "Bundesland Heute", das am Vorabend um 19 Uhr im Schnitt von mehr als einer Million Menschen gesehen wird. Bei nur 8,7 Millionen Einwohnern ist das ein richtig starker Wert, "Bundesland Heute" ist regelmäßig die mit Abstand meistgesehene Sendung im österreichischen TV.
In den kommenden Wochen wird sich beim ORF alles rund um die anstehende Gebührenerhöhung drehen. Zwar wollte sich ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz offiziell noch nicht in die Karten schauen lassen, es wird aber wohl kein Weg an einem Antrag auf Erhöhung vorbeiführen. Dieser muss bis Mitte November gestellt und vom Stiftungsrat genehmigt werden. Und da wären wir wieder bei der Politik: Die ÖVP kündigte bereits an, einer Gebührenerhöhung nur bei Reformen zustimmen zu wollen. Sozusagen als Entschädigung dafür, dass "ihr" Kandidat Richard Grasl es nicht auf den Chefposten geschafft hat.