„Ich kenne kein seriöses Outlet, das sich bisher komplett auf die Seite von Trump geschlagen hat“, sagt auch Ben Mullin von der Medienseite Poynter im Gespräch mit dem Medienmagazin DWDL.de. „Aber viele haben ihm geholfen, indem sie ihm kostenlos eine Plattform geboten haben. Sendungen auf Fox News, CNN, MSNBC und bei vielen großen Sendern haben ihm einen Freifahrtschein gegeben. Sie wussten, dass sein Plauderton für Topquoten sorgen wird. Das ist aber dann keine Frage mehr, ob die Sender sich auf eine Seite schlagen wollen, sondern es geht nur darum, ein breites Publikum zu erreichen - und damit höhere Werbeeinnahmen.“

Bei den wirklich seriösen und üblicherweise streng neutralen Medien treibt Trump neben der normal-kritischen Berichterstattung auch Innovationen voran. Die „New York Times“ gab beispielsweise für Zitate ihr internes Fluch-Verbot auf. In einem Clip mit Vox-Pop-Umfrage unter Besuchern bei Trumps Wahlkampfreden schimpfen und beleidigen diese Fans, dass es kracht. Wie auch die Konkurrenz der „Washington Post“ hat die Times zudem auch Trump im Original auf die Seite gestellt. Transkripte kompletter Interviews sind nachzulesen. Die „Washington Post“ nutzt zum erläuternden Fact Checking der Wirtschafts-Grundsatzrede die Platform Genius und lässt User und Redakteure ergänzen. Gut kommt Trump dadurch nicht weg, aber ernst sind diese Analysen durchaus. „Ich glaube, definitiv, dass die großen Nachrichtenmarken in den letzten zwölf Monaten dazugelernt haben und seine Kandidatur einer strengeren Prüfung unterziehen“, sagt Mullin dazu.

Altes Denken wird verworfen

„Ursprünglich galt er als Farce - die New York Times hatte sogar die Kandidatur Trumps als Exklusivnachricht angeboten bekommen, aber verzichtet“, erinnert er sich. Seitdem schauten sie aber extrem genau hin, findet der Medienexperte und nennt Beispiele von der breitenwirksamen Tageszeitung "USA Today" bis zum Intellektuellenblatt "New Yorker", in dem der Ghostwriter von Trumps Biografie kürzlich ausbreitete, wie furchtbar der Kandidat ist. Ein wenig abseits vom Mainstream erleben auch Aggregatoren-Seiten in Zuge des Wahlkampfs einen Boom. Platzhirsch ist sicher Realclearpolitics mit einem gewichteten Umfragenschnitt, der es auch auf viele deutsche Nachrichtenseiten schafft. Einen Besuch wert ist die Seite aber auch, weil ihre mehrfach täglich aktualisierte Linkliste die besten Artikel zur Wahl liefert und ausgewogen alle politischen Farben abbildet. Nate Silvers FiveThirtyEight arbeitet eher mit eigenen Analysen und großen datengestützten Prognosemodellen, The Upshot ist der datenbasierte Ableger der „New York Times“.

In Summe beweisen diese Angebote vor allem, dass Datenjournalismus enger als bei uns in den Redaktionsalltag eingebunden ist. Statt eigens ausgedachter Leuchtturmprojekte bieten sie reguläre Artikel mit Daten-Schwerpunkt in der üblichen redaktionellen Umgebung – ein weiterer Trend hin zu differenzierten Formaten, angetrieben durch die ungewöhnliche Kandidatur Trumps. Bleiben schließlich noch die Gegner Trumps, die mit offenem Visier Stellung beziehen. Die größte Wandlung hat hier womöglich Ezra Klein von der Politik-Kontext-Seite vox.com durchgemacht. Als Frontmann einiger Videos zeigt er sich selbst irritiert darüber, seine journalistische Unabhängigkeit aufzugeben. Trumps Auftreten macht ihn immer wieder fassungslos, so dass er ähnlich arbeitet wie der bei uns dank Youtube-Weiterleiterei beliebte John Oliver: Persönlich erkennbar und ehrlich betroffen.

Ezra Kelin© Vox


Fazit also: US-Medien bringen sich mit neuen Formaten zwar in Stellung, nehmen den Kandidaten aber insgesamt ernster als es häufig in Deutschland ankommt. Bisher als unumstößlich geltende Tugenden werden in Frage gestellt. „Seitdem Trump die goldene Rolltreppe im Trump Tower betreten hat, um seine Kandidatur bekanntzugeben, ist die journalistische Ausgewogenheit im Urlaub“, bilanziert Jim Rutenberg gerade in der "New York Times". Wird dieses Engagement in Summe genug sein, um den vielerorts verhassten Trump zu verhindern? Das weiß natürlich sicher noch niemand, auch wenn die Umfragen derzeit gegen ihn sprechen.

Den besten Journalismus liefern die Kollegen, wenn sie sich auf klassische Tugenden berufen, findet Ben Mullins von Poynter. „Bei falschen Behauptungen gegenhalten, konsequent bleiben, keine Beleidigungen zulassen“, rät er. Und schließlich gibt er zum Abschluss den vielleicht klügsten Rat. Einer, der auch deutschen Medien gut zu Gesicht stünde: „Begegnet Trumps Kampagne und seinen Unterstützern offen. Ich bin sicher, dass am Anfang viele Probleme bei der Beschreibung des Phänomens Trump vor allem auf eines zurückzuführen waren: die Hybris auf Seiten der amerikanischen Nachrichtenorganisationen.“