Einen Numerus Clausus für Radiomoderatoren gibt es aber nicht, um den Sprung zu 1Live zu schaffen, sagt Senderchef Jochen Rausch. "Individualität wird ja im digitalen Radiozeitalter immer wichtiger. Der geklonte austauschbare Moderator ist verwechselbar, 1Live sucht die Individualisten, die aber auch in einem Team spielen können. Das hört sich auf den ersten Blick an wie ein Widerspruch: Tatsächlich geben wir ein Spielfeld vor, auf dem sich ein Moderator dann wiederum recht frei bewegen kann." Das Profil ist schnell erklärt: "Wir suchen Leute, die Persönlichkeit haben, Individualität, die schnell und kreativ sind, die mit Musik umgehen können und eine Sendung zum Klingen bringen und die über ein breites Allgemeinwissen verfügen, das inhaltliche Spektrum von 1Live reicht von Popnews bis zu aktueller politischer Berichterstattung."
Philipp Isterewicz vereint all diese Eigenschaften und bekam zuletzt gemeinsam mit Larissa Rieß verstärkt Einsätze auf der prominenten Schiene am Samstagvormittag. Er war es übrigens, der vor etwas mehr als drei Jahren die erste Live-Sendung bei 1Live Diggi moderierte - ein Moment, an den er sich noch heute gut erinnert. "Die Chefs kamen runter, standen vor dem kleinen Diggi-Studio und haben sich zusammen mit anderen Kollegen den allerersten Opener angehört. Das ist das allerschlimmste, wenn der Programmchef direkt hinter der Scheibe steht und aktiv zuhört!" Dieser Moment war es allerdings, an dem er den ganz großen Respekt vor 1Live ablegen und befreit moderieren konnte, wie Isterewicz erzählt.
Den vermeintlichen Umweg Diggi kann er indes gut nachvollziehen. "Du kannst junge Leute, wie mich damals mit 21, nicht sofort bei 1Live im Hauptprogramm on air lassen", sagt er. "Nicht weil sie schlecht sind, sondern weil 1Live echte Typen braucht - und die wiederum brauchen Zeit, um sich zu finden." Nichtsdestotrotz stellt sich die Frage, warum es junge Leute gibt, die in Zeiten von Fernsehen und YouTube ausgerechnet zum Radio wollen, das doch das vermeintlich uncoolste Medium ist? Philipp Isterewicz kommt bei dieser Frage gleich die Kindheit in den Sinn. "Ich erinnere mich an lange Autofahrten in den Urlaub. Da lief das Antenne-Bayern-Verkehrsbett, das sich sehr gruselig anhört, wenn man mit sechs Jahren hinten im Auto auf der Rückbank sitzt. Zusammen mit dem Intro, das dann folgte, hat das immer immer eine unglaubliche Faszination auf mich entwickelt."
Und so machte er mit zwölf Jahren Kinderradio und sammelte später erste Erfahrungen bei lokalen Münchner Stationen wie Energy und Radio 2day. "Dessen Geschäftsführer weiß vermutlich bis heute nicht, dass ich nicht volljährig war und für einen Zehner die Stunde moderierte", schertz Isterewicz, der seine größte Chance jedoch von Guy Fränkel erhielt, dem Programmchef der Rock Antenne. "Der war so verrückt, einem 18-Jährigen parallel zur Schule ein fettes Praktikum zu geben, das quasi einer kompletten Ausbildung gleichkam." Von hier aus ging er dann tatsächlich live auf Sendung - und trat später den Weg zum Westdeutschen Rundfunk an.
Den Unterschied machen
Den Glauben daran, dass das Radio auch in Zeiten von Streamingdiensten nicht ausstirbt, haben er und seine 1Live-Kollegin Maike Greine nicht verloren. Sie sieht das Medium als eine Insel, auf der Menschen Informationen und Musik konsumieren können, ohne vorab eine Entscheidung treffen zu müssen. "Einfach mal abwarten, was kommt. Das ist vielleicht altmodisch, aber ich mag es auch mal absichtslos zu sein. Das bedeutet aber auch, dass Radiosender sich nicht aus Unsicherheit anbiedern dürfen und etwas nachahmen, was sie nicht sind." Als Moderatorin wolle sie den Unterschied machen, sagt Greine selbstbewusst. "Aber ich weiß auch, dass das nicht immer einfach sein wird. Egal ob 2016 oder 2026. Aufmerksam bleiben, unterhalten und mit freundlicher Skepsis die Dinge kommentieren, die auf uns zukommen werden."
Auch für Philipp Isterewicz schließen sich Streaming und Radio nicht aus - eben abhängig von der Nutzungssituation. "Der große Vorteil des Radios sind seine Inhalte", weiß er. "Wenn alle Sender in Deutschland nur von einer Beratungsfirma versorgt werden, die dafür sorgt, dass wir alle 20 Minuten denselben Song hören, dann kann ich ausschließlich Spotify hören. Wenn ich aber als Radiosender ehrliches Programm mache und coole Inhalte einbaue, dann hat Radio doch noch eine große Zukunft vor sich." Privat hört der junge Moderator übrigens gerne Marcus Barsch und Stefanie Tücking bei SWR3. "Das sind meine Radiofreunde. Und das Schöne ist, sie wissen nicht mal, dass ich mit ihnen befreundet bin", erzählt Isterewicz. "Die machen zwar auch Formatradio, aber mit Leben dahinter. Das ist etwas, das inzwischen leider viel zu häufig verloren geht."