Sang und klanglos hat der Berliner Tagesspiegel Ende 2015 seinen Jugendblog nach nur einem Jahr wieder eingestellt: Über Politik, Konzerte, Filme und das Berliner Stadtleben schrieben auf dem Jugendblog "Der Schreiberling" Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren – der Chef der 40-köpfigen Redaktion war mit 19 Jahren nicht viel älter als die Zielgruppe. Am 31. Dezember erschien der letzte Text, die Redaktion wurde aufgelöst. "Dass sich die Zeitung erst kürzlich von vielen Freien getrennt hat, habt ihr ja mitbekommen. Nun also die nächste Einsparung - mit meiner Stelle," hieß es damals in einer Mail. Das Ende des "Schreiberling" ist ungewöhnlich, sind doch gerade im vergangenen Jahr fast zeitgleich mehrere Jugendportale entstanden – und das war auch dringend nötig.


"Wir sind sehr experimentierfreudig – und man lässt uns auch die Freiheit, viel auszuprobieren – zum Beispiel mit Snapchat und Videos", sagt Horn. So waren Friseure, die Flüchtlingen die Haare schneiden, im vergangenen September bislang einer der größten viralen Hits. "Uns ist der visuelle Anspruch wichtig – und das ist uns da besonders gut gelungen." Auf Facebook zählt das Jugendportal derzeit über 24.000 Abonnenten, auf Twitter hat Ze.tt knapp 7.500 Follower, die Redaktion ist seit Juli auf mittlerweile zehn Mitarbeiter gewachsen. Nutzerzahlen nennt der Verlag aber genauso wenig wie die anderen Webseiten. "Es gibt kein Konkurrenzdenken, wir haben zwar die gleiche Zielgruppe, aber ansonsten unterschiedliche Ansätze", sagt Horn mit Blick etwa auf den wohl größten Konkurrenten Bento.
© Bento
Trotz der teilweise heftigen Reaktionen will die Redaktion Geschichten anders erzählen. Die Ukraine-Krise etwa wird weniger politisch, sondern an persönlichen Beispielen erzählt. Unter der Überschrift "Wie eine Gruppe junger Ukrainer in Deutschland strandete" erzählen drei junge Menschen, die aus dem osteuropäischen Land für eine Studienreise nach Deutschland gekommen sind und nicht mehr zurück konnten, weil der Krieg zwischen Regierungstruppen und prorussischen Kämpfern ihre Heimat überrolte, von ihrem neuen Leben ohne ihre Familie, Freunde und eine Perspektive. "Wo wir hin wollen? Wir wollen Geschichten anders denken, andere Ansätze finden, uns immer wieder fragen, was eigentlich unsere Haltung ist. Wir wollen aber auch unterhalten", sagt Lüpke-Narberhaus.
"Natürlich gibt es immer wieder Geschichten, bei denen wir am nächsten Tag in der Konferenz sagen: Die hätten wir anders erzählen können. Aber wir lernen jeden Tag dazu." Und die 13-köpfige Redaktion profitiert dabei vor allem von Spiegel Online – auch außerhalb der eigenen Zielgruppe. Ist ein Text auf der Startseite des Mutterportals verlinkt, klicken oft auch ältere Menschen auf die Geschichte, die eigentlich für die Millennials, also für die zwischen 1980 und 1999 geborenen, aufgeschrieben wurde. Die Facebook-Reichweite ist mit 25.000 ähnlich hoch, wie bei Ze.tt. Auf Twitter hat das Portal mehr als 9.200 Follower – und auch schon für Ärger gesorgt: Nach dem Bento wenige Tage online war, ließen die beiden Redaktionsleiter einen Account sperren, der sich über das Portal lustig machte. In einer "Kurzschlussreaktion" habe man den Twitter-Account damals gemeldet, hieß es damals aus der Redaktion. Der Aufmerksamkeit hat es sicher nicht geschadet.
"Solche Angebote sind eine Spielwiese und auch Sparringspartner für die Onlineredaktionen"
Medien- und Kommunikationswissenschaftler Stephan Weichert
Neben den Jugendportalen von "Zeit" und "Spiegel Online" gibt es noch weitere, die in der Öffentlichkeit allerdings eher unbekannt bleiben. Mit BYou will die "Bild" eine jüngere Leserschaft ansprechen, und nutzt dazu vor allem grelle Farben. Auch das "Handelsblatt" ist im Oktober, nur wenige Tage nach dem Start von Bento, mit „Orange“ nachgezogen. Das Portal der Verlagsgruppe "will jungen, wirtschaftsinteressierten Lesern 'Wirtschafts-Updates' ohne langweiliges Blabla bieten". Damit erreicht die Seite kaum mehr als 1400 Facebook-Nutzer. "Solche Angebote sind eine Spielwiese und auch Sparringspartner für die Onlineredaktionen - und da wird natürlich ganz genau beobachtet", sagt Medien- und Kommunikationswissenschaftler Weichert.
So könne es sein, dass Dinge, die gut laufen, auch auf den traditionellen Webseiten Raum finden. Aber dazu müssen sie zunächst einmal langfristig überleben: Noch lassen die Verlage die Macher ihrer Jugendportale experimentieren, es fragt sich nur, wie lange noch. Es lässt sich allerdings vermuten, dass weder "Bento" noch "Ze.tt" so sang- und klanglos verschwinden werden, wie der Jugendblog des "Tagesspiegel".
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