"Verliebt in Berlin", "Schmetterlinge im Bauch", "Anna und die Liebe", "Hand aufs Herz" – in die Titel seiner täglichen Serien hat Sat.1 jedes Mal eine ordentliche Portion Herzschmerz gepackt. Die neueste heißt jetzt schlicht und einfach "Mila" und will weder Daily Soap noch Telenovela sein, sondern "Daily Romantic Comedy". Susan Sideropoulos, ehemals bei "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" im Einsatz, spielt die Titelheldin, die sich als Großstadt-Single Anfang 30 durchs Leben schlägt und dabei nicht auf die Schnauze gefallen ist. Als die kleine Schwester die eigene Hochzeit ankündigt, schwört Mila, sich jetzt auch mal auf der Suche nach dem Richtigen zu machen. In jeder Folge aufs Neue.
"Ich glaube, dass sich damit sehr viele Zuschauerinnen identifizieren können", meinte Sat.1-Serienchef Joachim Ketschau bei Vorstellung der Serie in der Hauptstadt. Ob's wirklich nötig war, dafür gleich eine neue Genrebezeichnung zu erfinden, sei mal dahin gestellt. Aber Sat.1 will mit "Mila" den unbedingten Neuanfang am Vorabend hinkriegen. Die letzten Fiction-Versuche sind zwar alle ziemlich abgerauscht, aber das hat den Vorteil, dass jetzt Mut da ist, alles mal ein bisschen anders zu machen.
Tatsächlich unterscheidet sich "Mila" nicht nur durch ihren knappen Titel von den Vorläuferinnen; sondern auch dadurch, dass Sideropoulos' Protagonistin nicht als hässliches Entlein auf ihre Schwanen-Verwandlung hinackern muss oder sich als schüchternes Mäuschen ein Selbstbewusstsein zusammenzusparen hat. "Mila" will nicht nur frecher sein als andere Dailys, sondern auch lustiger. In der Auftaktfolge sagt sie einer Schulfreundin, die mit ihrem biederen Leben angibt, lautstark die Meinung und verschont die eigene schräge Familie nicht mit Klartext. Am Ende wird freilich doch die letzte Ausfahrt Richtung Romantik genommen.
"Wir wissen aus der Marktforschung, dass die Zuschauer unserer Serien von der Arbeit nachhause kommen und sich entspannen wollen – und nicht noch einmal ihr tägliches Leben nacherzählt bekommen", sagt Rainer Wemcken, CEO beim Daily-Spezialisten UFA Serial Drama, der die neue Sat.1-Serienhoffnung verantwortet. "Bei 'Mila' erzählen wir episodenhafter als das Publikum das aus anderen täglichen Serien kennt." Am Ende der Folgen sollen keine Cliffhanger stehen. Stattdessen werden kleine abgeschlossene Geschichten erzählt, bei denen es nicht so schlimm ist, wenn man mal eine oder zwei in der Woche verpasst. Dabei orientiert sich Sat.1 am Erfolg seiner Dienstagabend-Romantikkomödien. Dieses Prinzip soll "Mila" in den Vorabend übertragen, heißt es beim Sender.
Die Initiative, mit "Mila" mal andere Wege zu gehen als sonst, wird bei der Wahl des Drehorts am anschaulichsten. Anstatt in Babelsberg oder Adlershof am Rande der Stadt zu drehen, hat Sat.1 ein ehemaliges Ballhaus angemietet – mitten im Berliner Szenekiez Neukölln. Über drei Etagen ließ die Produktionsfirma UFA Serial Drama dort die unterschiedlichen Orte der Serie gestalten. Der Umbau startete im März, Drehstart war im Juni.
"Es war unsere Absicht, ganz unbedingt einmal aus der üblichen Studio-Optik rauszukommen."
"Mila"-Producerin Dorothea Goldstein
Ganz unten geht's von der Team-Kantine direkt ins Serien-Café mit dem hippen Namen "Hashtag", wo Mila als, ähem, App-Rezensentin eines Online-Magazins gerne mit den Kollegen abhängt. Bei der Gestaltung des Interieurs von Milas Zehlendorfer Elternhaus müssen die Set-Designer im zweiten Stock einen Riesenspaß gehabt haben: die fliederfarbene Küche, das kitschig-pompöse Wohnzimmer und der Porzellanhund-Kerzenständer in Lebensgröße sind in jedem Fall einzigartig. Da fällt's auch gar nicht weiter auf, dass die Treppe zum quietschpinken Barbie-Pferde-Zimmer der 23-jährigen Spießer-Schwester ins Nichts führt und die Nachbarschaftsgarten-Fototapete hinter den Fenstern ein bisschen bedrückend wirkt.
All das hätte im Studio freilich genauso ausgesehen. Anders als Milas WG, die sie mit Freundin Sally (Laura Osswald aus "Doctor's Diary" und "Verliebt in Berlin") unterm Dach bewohnt. Denn die sieht nicht nur täuschend echt nach Mädchen-Wohnung aus, sondern hat auch eine riesige echte Terrasse, auf der die Kamera über die Dächer Berlins schauen kann. (Und den Nachbarn von gegenüber auf die Balkon-Wäsche.)
"Es war unsere Absicht, ganz unbedingt einmal aus der üblichen Studio-Optik rauszukommen", sagt "Mila"-Producerin Dorothea Goldstein. Beim Dreh soll soviel wie möglich von der Originalstruktur des Hauses genutzt werden. Wenn die Protagonisten in der Serie durchs Treppenhaus laufen, ist das nicht nachgebaut, sondern echt – genau wie der Hof vorm Café. Oder die Bar um die Ecke. Auch das ist ein Vorteil gegenüber dem Studio, sagt Goldstein: "Bei der Produktion einer täglichen Serie gibt es enormen Zeitdruck. Da zählt jede viertelstündige Anfahrt. Wir profitieren hier sehr davon, dass wir für einen Außendreh einfach vor die Tür gehen können."
Diese Erkenntnis hat sich die UFA freilich von erfolgreichen Scripted Realitys abschauen können. "Berlin Tag & Nacht" funktioniert ja auch deshalb so gut, weil die Produktion die ganze Stadt als Kulisse nimmt. Gleiches versuchte RTL im vergangenen Jahr vergeblich mit der gescripteten Daily "Berlin Models": Die zur Modelagentur umfunktionierten Räume am Rosenthaler Platz in Berlin-Mitte werden nach dem Aus für die Produktion inzwischen von einem Laden für Luxuspolstermöbel genutzt.
Sat.1 darf sich vorerst für ein Jahr im Ballhaus Rixdorf am Kottbusser Damm breitmachen. Zu den beeindruckendsten Kulissen darin gehört Milas Arbeitsplatz: die Redaktion des Magazins, für die der große Saal im ersten Stock mit den beeindruckenden hohen Decken und Balustradenbalkonen zu einem Großraumbüro umgebaut wurde, in dem vom Teppich bis zum Aktenordner alles leuchtend Rot strahlt. Hier produzierte unter anderem ZDFneo die erste Staffel seines Polittalks "Stuckrad Late Night". Ganz so neu ist den Nachbarn der Fernsehbetrieb vor ihrer Haustür also nicht. Noch dazu verursacht der Dreh weniger Lärm als die Tanzveranstaltungen bis in die frühen Morgenstunden, die es davor hier gab.
Die größte Herausforderung für das Team ist der wenige Platz. Und vielleicht der wackelige Lastenaufzug, der nicht gerade einen besonders vertrauenswürdigen Eindruck hinterlässt, wenn er Personen und Technik durchs Haus befördert. 50 bis 60 Leute sind jeden Tag am Set unterwegs. "Hier bleibt kein Fleckchen ungenutzt", meint Goldstein. Die Enge nimmt das Team aber in Kauf, wenn die Serie dadurch einen besonderen Look bekommt.
Ob der auch den Zuschauern auffällt, weiß Sat.1 in der kommenden Woche, wenn "Mila" auf dem schwierigen 19-Uhr-Sendeplatz gegen "Alles was zählt" antritt (DWDL.de berichtete). Producerin Goldstein sagt: "Ich bin überzeugt davon, dass sich Schauspieler ganz anders auf eine zeitgenössische Serie einlassen, wenn sie morgens mit dem Fahrrad oder mit der U-Bahn zur Arbeit kommen können und nicht den ganzen Tag in einem Raum nichts von Wind und Wetter mitbekommen." Und wenn's nicht klappt, wissen die Berliner sich ihr Ballhaus sicherlich zurückzuerobern. Mindestens mit Tanzveranstaltungen bis in den frühen Morgen.