Als Sky vor einem Jahr ankündigte, die Mannschaft des TSV 1860 München eine ganze Saison lang zu begleiten, hätte man vermutlich selbst kaum damit gerechnet, dass die Monate derart turbulent werden würden. Einen "unvergleichlichen Einblick hinter die Kulissen unseres Traditionsvereins" versprach der kaufmännische Direktor des Vereins, Markus Rejek, damals. Und Sport-Geschäftsführer Gerhard Poschner kündigte an, "mutig vorangehen" zu wollen. "Dieses Projekt gehört dazu - auch wenn wir im Fall einer Niederlagen-Serie auch mal schlucken müssen. Im Fußball gibt es nicht nur Freude, sondern auch Leid." Die zurückliegenden Monate beinhalteten für die Löwen vor allem Letzteres. Wenige Stunden vor dem letztem Spiel der Saison liegt der Klub, der gerne als "Münchens große Liebe" bezeichnet wird, nur einen Platz über dem Relegationsrang, den aktuell der punktgleiche FSV Frankfurt belegt. 49 Jahre nach dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft droht der Abstieg in die fußballerische Bedeutungslosigkeit.

Dass die "Sechzger" überhaupt noch die Chance haben, die Liga aus eigener Kraft zu halten, hängt auch mit einer unglücklichen Entscheidung des Schiedsrichters beim Spiel gegen Nürnberg zusammen. Weil der einen regulären Treffer der Gäste nicht anerkannte, durfte sich der TSV 1860 München über drei Punkte freuen - und kletterte in der Tabelle von Platz 17 auf 15. Das war vor einer Woche. Jetzt, am letzten Spieltag, geht die Reise zum Tabellendritten Karlsruhe, der seine Aufstiegschance kurz vor Toreschluss noch vergeben könnte. Dramatischer hätte sich das kein Drehbuchautor ausdenken können. Ein Glücksfall für Sky und den Filmemacher Jürgen Müller, auch wenn der diesen Begriff nicht in den Mund nehmen möchte. "Wenn sie tatsächlich absteigen sollten, fällt es natürlich sehr schwer, von einem 'Glücksfall' zu sprechen", sagt er im Gespräch mit dem Medienmagazin DWDL.de "Wir haben in der Kabine auch die Menschen hinter den Fußballern kennengelernt. Und so eine Enttäuschung wünscht man keinem Menschen, den man näher kennt."

Und doch sei diese Saison aus filmischer Sicht "sehr viel spannender" gewesen als die letzten Jahre, in denen der Verein meist im Mittelfeld der zweiten Liga kickte. "Drei Trainer, diverse Randgeschichten, jetzt zum Schluss ein emotionaler Abstiegskampf mit Innen-Ansicht. So was ist einzigartig." Entsprechend spannend waren die Eindrücke, die Müller seit dem vorigen Sommer gewann und in bislang drei Teilen der Dokumentation "57, 58, 59, Sechzig" verarbeitete. "Nach 25 Jahren als Sportreporter gab's doch viele Dinge, die einen überrascht haben", gibt er zu. "Normalerweise spielt sich ja heutzutage sehr viel zwischen Pressekonferenzen und Mixed-Zones ab - die ungeschminkte Wahrheit bekommt man nicht mit. Die brutale Enttäuschung nach einer unglücklichen Niederlage, die fast kindliche Freude nach einem glücklichen Sieg. Da war alles dabei. Wut, Freude, Tränen, Frust."

"Es gab gleich im ersten Spiel einen Schlüssel-Moment."
Filmemacher Jürgen Müller

Es sei interessant, mit wie viel Druck die teilweise sehr jungen Spieler im Alter zwischen 20 und 25 umgehen müssen. "Und wie sie das dann tatsächlich machen. Ein Mischung aus Lockerheit mit lauter Musik in der Kabine, dann wieder totale Fokussierung auf die sportlichen Aufgaben." Dass sich der Verein auf das Projekt einließ, ist nicht selbstverständlich. Gleichwohl ist die Idee nicht neu. Als Vorbild diente Sky die britische Dokumentationsserie "Being Liverpool" aus dem Jahr 2012 sowie die NFL-Sendung "Hard Knocks". "Diese Formate haben uns schon seit längerer Zeit inspiriert. Wir wollten etwas Ähnliches gerne mit einem Bundesligaverein umsetzen", sagte Sky-Sportchef Burkhard Weber bereits vor der Saison. Herausgekommen ist ein sehenswertes Stück, dessen emotionale Bandbreite kaum größer sein könnte.

Dabei war zunächst nicht klar, wie die Spieler auf das Kamerateam reagieren würde - erst recht in Momenten der Niederlage, von denen es für die Löwen in den letzten Monaten wahrlich genug gab. "Es gab gleich im ersten Spiel einen Schlüssel-Moment", erinnert sich Jürgen Müller. "Das Team führte zum Saison-Auftakt mit 2:0 in Kaiserslautern zur Pause, verlor dann noch mit 2:3. Sowas passiert ja nun wirklich nicht oft. Und ich fragte mich: gehen wir da jetzt rein - und riskieren vielleicht sogar die weitere Zusammenarbeit? Oder bleiben wir lieber mal zurückhaltend draußen vor der Tür? Wir sind rein - und das war auch gut so. Wir haben den Frust und die Enttäuschung sehr zurückhaltend dokumentiert. Auf Augenhöhe. Das hat uns keiner übel genommen, weil wir irgendwie 'dazu' gehört haben. Von da an wusste ich, das wird ein sehr authentisches und spannendes Projekt."

57, 58, 59, Sechzig!© Sky

Jürgen Müller (rechts) mit Markus Rejek (kaufm. Geschäftsführer), Gerhard Mayrhofer (Präsident TSV 1860) und Kapitän Christopher Schindler

Nun steht der letzte Teil der Dokumentation auf dem Plan - und erst ganz am Ende entscheidet sich, ob es ein Happy End geben wird. Eine große Herausforderung für Müller und sein Team, schließlich soll der Schlussakkord bereits am Sonntag um 19:00 Uhr ausgestrahlt werden; nicht mal zwei Stunden nach dem alles entscheidenden Abpfiff. "Der Großteil des Films liegt in München in der Sende-Regie. Doch das Ende ist noch völlig offen. Um die fünf Minuten werden wir mit der berühmten 'heissen Nadel' auf einem Schnittmobil montieren", erzählt Müller. "Das ist sportlich, denn schließlich drehen wir ja noch bis nach 18 Uhr in der Kabine.“ Was vom "durchdachten Matchplan" übrig bleiben wird, weiß niemand. "Eine Portion Improvisation wird auch dazugehören. Es ist ja alles möglich. Euphorie, Tränen, Wut, Bierduschen." Das mache den Job jedoch erst richtig aus", sagt der Filmemacher. "Bilder zu drehen, die man sonst nicht drehen darf - und sie direkt danach dem großen Publikum zu präsentieren. Ein Traum!" Gut möglich jedoch, dass Jürgen Müller am Sonntag als einziger zufrieden nach Hause gehen wird.