Für den Neustart hat der Berliner Social-Sender joiz nicht nur sein Programm umgebaut, sondern auch die große Fabriketage am Berliner Ostbahnhof. Statt einem einzigen Studio-Set gibt es dort jetzt gleich sechs. Zum Talk-Sofa ist eine Games-Ecke für Zocker dazugekommen, nebendran wird vor Filmposterhintergund über die neusten Blockbuster diskutiert, es gibt eine Bühne für Live-Musik und wenn's um Nachrichten aus aller Welt geht, muss sich die Kamera in der Flurmitte bloß um 180 Grad drehen und hat die Redaktion an ihren Monitoren direkt im Blick.
"Wir wollen weiter der Taktgeber für die junge Generation sein und geben jedem Thema eine optische Heimat", sagt Britta Schewe, die nach dem Weggang von Carsten Kollmus die Geschäftsführung bei joiz übernommen hat, gemeinsam mit Gründer Alexander Mazzara. Weiterhin sollen vier Stunden am Tag live gesendet werden. Eine klassische Sendungsstruktur gebe es aber nicht mehr. "Online denkt in Themen, nicht in Sendungen", sagte Mazzara bei der Vorstellung des neuen Konzepts am Mittwoch in Berlin.
Der Fokus ist auf die stark wachsenden Kanäle Online und Mobile gerichtet, nicht mehr aufs klassische Fernsehen. Und Themen sind nicht mehr Shows zugeordnet. Stattdessen soll bei den verbliebenen Live-Marken "Check In" und "Live & Direkt" tagesbezogener gearbeitet werden. "Wir geben den Storys den Raum, den sie benötigen", sagt Schewe. Je nach Thema werde in der laufenden Sendung die Kulisse gewechselt. Bei Erfolg sollen diese Elemente auch das Schweizer joiz-Programm verändern.
Die Neuaufstellung ist ein unmittelbares Resultat der Insolvenz von joiz Germany, mit der sich der Sender Ende des vergangenen Jahres nach und nach aus dem klassischen Fernsehen verabschiedete. Grund dafür war eine Kettenreaktion, die Mazzara auf die in Deutschland üblichen Verbreitungskosten für lineare TV-Sender zurückführt: "Wir haben einen hohen siebenstelligen Betrag pro Jahr alleine für die Verbreitung bezahlt." Das sei vorher auch allen Beteiligten bewusst gewesen. "Aber wir haben geglaubt, dass es uns gelingen würde, einigermaßen stabile Quoten zu erzielen, um die Verbreitung über eine klassische Werbevermarktung zu refinanzieren."
Das hat nicht funktioniert: Die von der GfK gemessenen Zuschauerzahlen schwankten stark. Es habe Tage gegeben, an denen erst 1 Prozent Marktanteil gemessen worden sei – und in der Stunde darauf 0 Prozent. Mazzara und Schewe führen das auf Unschärfen in der GfK-Messung zurück (DWDL berichtete), die GfK weist das zurück. In jedem Fall waren die gemessenen Zahlen keine Basis, um klassische Werbespots zu verkaufen.
Die Sanierung in Eigenverantwortung ist inzwischen abgeschlossen (siehe DWDL). Von ehemals 50 Mitarbeitern sind noch 30 im Unternehmen. Zum Neustart ist jetzt alles eine Nummer kleiner. Viele alte Sendungen sind komplett aus dem Programm verschwunden. Der Sender glaubt dennoch daran, dass sein Modell erfolgreich sein kann. Seit März werden keine GfK-Zahlen mehr ausgewiesen. "Und unsere Online-Reichweite hat keinen ersichtlichen Schaden genommen", sagt Schewe. Die Zuschauer scheinen den Sender auch über andere Kanäle zu finden. Gesendet wird im Netz auf der eigenen Seite, über Apps, im IPTV von Deutscher Telekom und Vodafone, auf Plattformen wie Zattoo und in Programmfenstern bei TV.Berlin und Family TV.
Die Kabelverbreitung bei den großen Anbietern ist aufgegeben worden. Kleinere haben nach wie vor ein Interesse daran, joiz in ihrem Angebot zu halten, wohl ohne hohe Einspeiseentgelte zu verlangen. Bei Netcologne ist der Social-Sender weiter aufgeschaltet, Tele Columbus soll folgen. Mit Unitymedia liefen derzeit Verhandlungen, sagt Schewe.
75 bis 80 Prozent der Umsätze stammen aber ohnehin nicht aus der klassischen Vermarktung, sondern werden mit Branded Entertainment generiert – also der Kooperation mit Unternehmen, die ihre Werbebotschaften direkt ins Programm integrieren können, derzeit unter anderem der Wrigley's-Marke Skittles und der Barmer-Krankenkasse. Genau daran will joiz anknüpfen. Schewe sagt, die Buchung klassischer Spots solle weiter angeboten werden. Dieser Teil werde aber vermutlich an einen externen Vermarkter ausgelagert. Branded Entertainment und Sponsorings verbleiben im eigenen Haus.
Um den Erfolg der Kampagnen messen zu können, verlässt sich joiz seit vergangenem Jahr auf ein eigenes Messsystem, das die digitale Reichweite mit den Interaktionen – also Likes, Shares und Kommentare in Social-Media-Kanälen – zusammenführt. Die Werbekunden sehen in Komplettauswertungen, wie sehr die joiz-Nutzer mit ihrer Marke interagiert haben. Das Zürcher Institut für angewandte Kommunikationsforschung (IaKom) prüft die Daten, um deren Verlässlichkeit zu untermauern. "Wir können so eine zertifizierte Crossplattform-Kampagnenreichweite angeben", sagt Mazzara.
Zudem vermarktet joiz seine selbstgebaute Content-Plattform, über die der Sendebetrieb läuft, an Dritte. Das Tool führt sämtliche Kanäle – TV, Internet, Social Media – zusammen, hat E-Commerce-Funktionen integriert und eigne sich für alle Partner, "die eigenen Content anbieten", sagt Mazzara. In Skandinavien und Israel sei die Plattform bereits an TV-Sender lizenziert, in der Schweiz wird demnächst wohl eine politische Partei damit arbeiten. Bibel TV hat ebenso Interesse angemeldet wie Multi Channel Networks. Ins Detail gehen will der Gründer nicht. Sicher ist bloß, dass der Sender köln.tv des neuen Teilhabers M. DuMont Schauberg das System bereits seit Jahresanfang im Einsatz hat (DWDL berichtete).
Ob es eine engere Zusammenarbeit mit dem neuen Partner geben soll, dem künftig 20 Prozent von joiz Germany gehören (mit einer Option auf 35 Prozent), konnten Schewe und Mazzara am Mittwoch noch nicht sagen. Es sei aber naheliegend, Kompetenzen auszutauschen, und zum Beispiel bei Diskussionen über politische Themen Experten aus den DuMont-Hauptstadtredaktionen ins joiz-Studio einzuladen.