Um den Stellenwert des sechs Jahre jungen Festivals "Séries Mania" für Europas TV-Branche einzuschätzen, fragt man am besten Kreative wie Showrunner Henrik Björn und Produzent Filip Hammarström. Die beiden jungen Fiction-Macher aus Schweden hatten vor zwei Jahren beim "Co-Production Forum" des Pariser Festivals ihre Idee einer Krimiserie mit starken Mystery-Elementen gepitcht.

Jetzt waren Björn und Hammarström wieder zu Gast - um dem internationalen Publikum ihren fertigen Zehnteiler "Jordskott" vorzustellen. Auf der "Séries Mania" hatten sie 2013 ITV Studios Global Entertainment als Weltvertrieb gewonnen, im Sommer 2014 gedreht und mit der von Mitte Februar bis vorige Woche laufenden Ausstrahlung bei SVT einen Quotenerfolg gelandet. "Jordskott" erzählt die packende Geschichte der Kommissarin Eva Thörnblad, die das Verschwinden ihrer Tochter vor sieben Jahren nicht verwunden hat und sich erneut tief in die Ermittlungen stürzt, als ein weiteres Kind im selben Wald verschwindet.



Weil sich der Ruf des ausschließlich auf Serien konzentrierten Festivals als Talent- und Stoffbörse mit Potenzial herumgesprochen hat, sind fast alle namhaften Vertriebe, Sender und Produzenten da - im "Forum des Images", einem städtischen Pariser Kino im dritten Kellergeschoss unter der riesigen Baustelle des Shopping-Centers "Les Halles". Red Arrow International, Canal+, Gaumont und arte zählen zu den Sponsoren. Auch Joe Lewis, Head of Original Programming der Amazon Studios, schaute vorbei; immerhin wurden mit "Transparent", "Bosch" und "Mozart in the Jungle" drei seiner Serien im öffentlichen Festivalprogramm aufgeführt.

Dass zwei Schweden in Frankreich einen britischen Vertrieb finden und erst danach einen schwedischen Sender, ist kein exotischer Einzelfall, sondern eher typisch für die europäischen Koproduktionsstrategien neuen Typs. TV-Serien entstehen immer öfter zwischen Partnern aus verschiedenen Ländern, die völlig unabhängig von ihrer geografischen Herkunft zusammenfinden, weil sie an einen bestimmten Stoff und an die Vision eines Autors oder Showrunners glauben. Dadurch sind heute Konstellationen zu beobachten, die noch vor wenigen Jahren undenkbar schienen - ohne dass jeder sein eigenes Land und seine Schauspieler im fertigen Produkt sehen will.

Unter den neu vorgestellten Serienprojekten, die derzeit in Entwicklung sind, schießt "Crater Lake" den Vogel in dieser Hinsicht ab: Die britische Niederlassung einer israelischen Produktionsfirma und ein französischer Produzent haben sich zusammengetan, um eine Geschichte in Schweden zu erzählen - geschrieben von einem in Los Angeles lebenden israelischen Star-Autor. Keshet UK und Atlantique Productions suchten in Paris nach internationalen Sendern mit Interesse an dem außergewöhnlichen Sterbehilfe-Stoff von Ron Leshem ("The Gordin Cell"). Das schwedische SVT haben sie bereits gewonnen.

"Das übliche Vorgehen bei internationalen Koproduktionen sieht so aus, dass man zuerst einen Sender in seinem Heimatmarkt überzeugt und danach die Finanzierung international vervollständigt", so Sara Johnson, Fiction-Chefin bei Keshet UK. "Weil dieses Projekt in seinem Kern so international und universell ist, wollen wir es vom Start weg für ein weltweites Publikum packagen." Die geplanten sechs Folgen mit einem Budget von je 1,2 Millionen Euro sollen die Geschichte eines verschwiegenen Boutique-Hotels in der schwedischen Provinz erzählen, das in Wahrheit eine Sterbeklinik ist. Die amerikanische Ärztin Julia lässt ihre Gäste dort selbst den Todeszeitpunkt und die Gestaltung der letzten Tage bestimmen. Ihr Leben ändert sich drastisch, als ein mysteriöser neuer Patient aufkreuzt. Leshem schreibt gerade am Pilot-Drehbuch, gedreht werden soll - auf Englisch - ab Mitte 2016.

Selbst ein so ur-französischer Stoff wie das Leben des Sonnenkönigs Ludwig XIV. ist heute eine internationale Angelegenheit - zumindest im Fall des Megaprojekts "Versailles", das im Herbst bei Canal+ starten wird und ebenfalls Thema der "Séries Mania" war. Der aufwändige, 27 Millionen Euro teure Zehnteiler wurde auf Englisch gedreht - mit dem britischen Schauspieler George Blagden ("Vikings") als Ludwig XIV. Grund genug für kontroverse Diskussionen in Frankreich. Showrunner sind die beiden Briten Simon Mirren ("Criminal Minds", "Without a Trace") und David Wolstencroft ("Spooks"). Nach dem Greenlight von Canal+ Anfang 2014 hatte Koproduzent Zodiak Media einen Writers' Room in LA aufgesetzt, gedreht wurde dann von August 2014 bis März 2015 in einem Versailles-Nachbau bei Paris. Zuschauer des französischen Pay-TV-Senders können zwischen Original und Synchronisation wählen.

Mirren und Wolstencroft nutzen die Geschichte von "Versailles" erklärtermaßen als "Objektiv mit Blick auf die heutige moderne Welt", wollen kein typisches Period Drama à la "Downton Abbey" erzählen. Das wird durch moderne elektronische Musik im Soundtrack, bewusst gemäßigte Perücken und durch eine eher freie Interpretation historischer Ereignisse unterstrichen. Das hohe Budget ist zu 80 Prozent französisch finanziert: 60 Prozent kommen von Canal+ und der staatlichen Filmförderung, der Rest von Zodiak Media im Gegenzug für die Weltvertriebsrechte außer Kanada. Die übrigen 20 Prozent stammen vom kanadischen Koproduzenten Incendo, der gegenwärtig die Postproduktion steuert und zusätzlich eine internationale Free-TV-Version mit zehn Folgen à 44 Minuten schneiden lässt. Auch wenn Zodiak offiziell noch nicht über Verkäufe spricht, haben dem Vernehmen nach aus Deutschland das ZDF und aus Großbritannien die BBC zugegriffen.

Zum Abschluss des zehntägigen Festivals gab es auch einen Preis für die UFA-Fiction-Serie "Deutschland 83" von Anna und Jörg Winger, Deutschlands aktuellen TV-Exporthit. Die Blogger-Jury der "Séries Mania" kürte sie zur "Meilleure série du monde", zur besten Serie der Welt. Als beste Webserie wurde die französisch-chinesische Koproduktion "Ex-Model" ausgezeichnet. Die Pressejury wählte die France3-Miniserie "La vie devant elles" zur besten französischen Serie. Beim Publikumspreis herrschte am Ende Gleichstand zwischen "Olive Kitteridge" (HBO) aus den USA und "False Flag" (Keshet) aus Israel.