Unter Journalisten und Medienmanagern ist Facebook immer für einen Aufreger gut. Ob die Zuckerberg-Truppe möglichst viele attraktive Medieninhalte direkt auf der eigenen Plattform haben will oder gleich ganz nach Weltherrschaft strebt - jeder Schritt wird kritisch beäugt. Andy Mitchell, Director News & Media Partnerships bei Facebook, konnte sich also maximaler Aufmerksamkeit bewusst sein, als er die Bühne im 800 Jahre alten Palazzo dei Priori betrat.
Kritische Fragen der vorwiegend jungen Festivalbesucher nach Verantwortung oder Zensur lächelte der Gast aus New York freundlich, aber bestimmt weg. Seine Botschaft war klar: Facebook braucht die Medien, aber die Medien brauchen Facebook noch ein bisschen mehr, wenn sie auch künftig nach Reichweite streben wollen. „80 Prozent der Millennials beziehen Nachrichten heute über ihren Newsfeed bei Facebook“, so Mitchell. „Das erkennen immer mehr Medien weltweit und entwickeln zunehmend eigene News-Formate, die speziell für Facebook aufbereitet sind.“
Insbesondere Videoformate werden dabei laut Mitchell immer wichtiger. Folgt man seinen Worten, ist das Netzwerk auf dem besten Weg zur riesigen Bewegtbild-Plattform. Hört man die Bedenken etlicher Content-Lieferanten, stehen hinter der Monetarisierung ihrer Videos noch Fragezeichen. „Wir arbeiten daran“, sagte Mitchell in Perugia. „Das Problem ist, dass derzeit Pre-Rolls die Videovermarktung dominieren. Aber Pre-Rolls passen nicht zu unserem Autoplay-System, das wiederum den Traffic der Content-Partner vervielfacht hat.“ Mit ausgewählten Partnern wie der NFL in den USA habe man Tests zur Video-Monetarisierung durchgeführt und werde daraus bald entsprechende Schlüsse ziehen können.
Um zu zeigen, wie sehr man den Interessen der Medienhäuser folge, verwies der Facebook-Manager und frühere CNN.com-Pionier auf die Neuerungen des vergangenen halben Jahres: Dank „Interest Stories“ tauchen inzwischen auch Geschichten von Medienseiten, denen man nicht bei Facebook folgt, im eigenen Newsfeed auf - sofern sie zu anderen Interessen passen.
Mitchell hatte dafür verschiedene journalistische Erfolgsbeispiele parat - aus Deutschland etwa Jürgen Todenhöfer, der bei 350.000 Likes für seine Facebook-Seite über 5 Millionen Abrufe für manche seiner ISIS-Videos erzielt habe. „Smart Publishing“ wiederum erkennt neue Website-Artikel mit Social-Media-Potenzial automatisch und speist sie ohne Zutun der jeweiligen Redaktion in die Newsfeed-Distribution ein. „Das nutzen viele Medien mittlerweile gern in personalschwachen Zeiten, etwa nachts oder am Wochenende“, so Mitchell.
Ein ähnlich begehrter Gast in Perugia war ebenfalls aus den USA angereist, genauer gesagt aus San Francisco: Jigar Mehta, Head of Engagement bei AJ+, dem jüngsten Digitalableger von Al Jazeera. Im Juni 2014 gestartet, hat sich das journalistische Start-up in arabischer Trägerschaft der Information von Millennials verschrieben. Ein junges Team aus Redakteuren, Programmierern und so genannten „Engagement Producern“ - in etwa gleichbedeutend mit Social-Media-Managern - erstellt ein Produkt, das konsequent auf der Einbindung seiner Nutzer und Interaktion mit ihnen basiert.
„Wir glauben nicht, dass man im Social-Zeitalter auf journalistische Kompetenz verzichten kann. Aber genauso wenig glauben wir, dass man sich allein auf die Autorität eines allwissenden Reporters verlassen sollte“, so Mehta. Den Nutzungsgewohnheiten seiner Zielgruppe folgend, verzichtet AJ+ komplett auf eine klassische Website. Unter der URL ajplus.net finden sich lediglich Verweise auf die Social-Media-Angebote bei Facebook, Twitter, YouTube, Medium und Instagram sowie auf die iOS- und Android-Apps. „Wir probieren ganz viel aus, und wenn es nicht funktioniert, beenden wir es eben wieder und versuchen das nächste“, verriet Mehta den angehenden Journalisten beim Festival.
Gern kokettiert AJ+ in seinen Videos mit der Abgrenzung von den so genannten „Mainstream-Medien“, verspricht seinen Konsumenten, auch das zu zeigen, was jene verschweigen. Insbesondere Protestbewegungen und deren Demonstrationen ziehen sich als roter Faden durch die Berichterstattung - von Ferguson über Dresden bis Hongkong. Bei den Pegida-Märschen etwa waren AJ+-Reporter präsent, um sowohl live via Smartphone-Kamera zu streamen als auch eine längere Dokumentation zu drehen. „Mobile Echtzeit-Berichterstattung und hintergründige Stücke, die Einordnung liefern, schließen sich für uns nicht aus“, so Mehta. „In den letzten sechs Monaten haben wir 45 Dokus in 28 Ländern gedreht.“
Mit dem „AJ+ Global Engagers“-Programm hat der Sender eine Art Stipendium eingerichtet, an dem acht Nachwuchsjournalisten aus aller Welt jeweils ein Jahr lang teilnehmen können. Sie sollen sowohl ihre eigenen Communities für AJ+-Inhalte aktivieren als auch Impulse und Beiträge zum Programm liefern.
Einen vergleichbaren Ansatz für Blogger und junge Journalisten stellte in Perugia auch Jay Moye, Chefredakteur der „Coca-Cola Journey“, vor. Das digitale Content-Marketing-Angebot der Getränkemarke produziert mit einem sechsköpfigen Redaktionsteam und einem internationalen Freelancer-Netzwerk täglich zehn bis zwölf Stories mit teils direktem, teils mittelbarem Bezug zu Coca-Cola. Für das Blogger-Programm „The Opener“ suche man „gute Schreiber mit starker Social-Media-Community“, die sich über die Themenfelder Food, Kultur und Innovation auslassen möchten, so Moye.
70 Prozent der „Journey“-Inhalte sind nach seinen Angaben Branded Content, der Rest eher allgemeine Beiträge, die im weitesten Sinne zum Markenuniversum passen. Neben der 2012 gestarteten globalen Version sind inzwischen zwölf lokale „Journey“-Ausgaben online, darunter auch eine deutsche; acht weitere sollen noch in diesem Jahr loslegen.