Dass sie diese Woche ihr zehnjähriges Firmenjubiläum feiern würden, hätten Iris Bettray und Jutta Pinzler auf halber Strecke nicht unbedingt gedacht. Als 2009 der Triumphzug von Scripted-Reality-Formaten wie "Familien im Brennpunkt" oder "Verdachtsfälle" begann, wähnten sie sich auf der falschen Seite der TV-Dokus. "Wir wussten nur: Das ist nicht unsere Welt. Aber die Sender wollten plötzlich kaum noch etwas anderes", erinnern sich die beiden Unternehmerinnen im Gespräch mit dem Medienmagazin DWDL.de.

Um das Überleben von sagamedia zu sichern, war damals Kämpfen angesagt. Und gehöriges Nachschießen von eigenem Kapital. Bettray und Pinzler wollten es ohne Kredit schaffen. Inhaltlich mussten sie durch eine Phase, in der Senderredakteure wie selbstverständlich Heulanfälle ins Drehbuch einer realen Doku-Soap schrieben und in der Protagonisten ihrer Formate "Unsere erste gemeinsame Wohnung" (RTL) oder "Hilfe, mein Urlaub geht baden" (Vox) erstaunt waren, dass nicht alles gescriptet war. Man merkt den Produzentinnen an, wie froh sie sind, dass diese Zeit vorüber ist. Heute stellen sie einen gegenläufigen Trend fest.



"Aktuell ist eine Art neue Sachlichkeit gefragt", sagt Iris Bettray, die vor zehn Jahren aus dem Vorstand der AZ Media AG in die Selbstständigkeit aufbrach und von dort die täglichen RTL-Doku-Soaps "Mein Baby" und "Meine Hochzeit" zu sagamedia mitnahm. "Es darf wieder ruhiger, langsamer, entdramatisierter werden - alles, damit die Authentizität besser zur Geltung kommt", ergänzt Jutta Pinzler, die vor der Firmengründung als freie Autorin Reportagen und Dokumentarfilme gedreht hatte.

Angesichts dieser Diagnose ist es kein Wunder, dass sagamedia nun ausgerechnet beim Dokumentarfilm eine Expansion bevorsteht. Schon seit 2013 betreibt die Kölner Produktionsfirma eine Niederlassung in Berlin, die von Michaela Kirst geleitet wird. Sie arbeitet an mehreren großen Filmprojekten, darunter "Die Mitte der Nacht ist der Anfang vom Tag", das die Erkrankung an Depression aus Sicht der Betroffenen und ihrer Angehörigen dokumentieren soll, oder - gemeinsam mit dem MDR - eine Langzeitbeobachtung der letzten Maoisten in China. In Kürze wollen Bettray und Pinzler das Berliner Büro als eigenständige Doku-Firma ausgründen und in diesem Zuge ein bis zwei weitere Dokumentarfilmer als Mitgesellschafter beteiligen.

Am Hauptsitz in der Kölner Nordstadt werkeln 21 fest angestellte Mitarbeiter derweil an einem auffallend bunten Portfolio. Kürzlich ist die 462. Folge von "Unsere erste gemeinsame Wohnung" fertig geworden. Da das Format momentan Bildschirmpause hat und RTL seine komplette Daytime auf den Prüfstand stellt, ist noch nicht klar, ob der Langläufer eine Zukunft hat. Für RTL II sind gleich drei Primetime-Formate in Produktion. "Alleinerziehend! - Ein 24 Stunden Job" läuft in diesen Tagen mit zunächst acht Folgen an (Mittwoch 21.15 Uhr). Familientherapeutin Sarah Sophie Koch, bekannt aus "Teenager in Not" und den "Schulermittlern", berät sechs alleinerziehende Mütter und zwei Väter, die ihrem Leben eine neue Richtung geben wollen.

"Das ist eher ein Freundinnen-Format als typisches Coaching oder Helptainment", sagt Iris Bettray. "Wir sind wirklich überzeugt, dass alle acht Protagonisten nach Abschluss der Dreharbeiten und der begleitenden Unterstützung etwas glücklichere Menschen sind als vorher." In Kürze beginnen die Dreharbeiten zur vierten Staffel von "Teenie-Mütter - Wenn Kinder Kinder kriegen" mit 18 neuen Folgen sowie zur dritten Staffel von "Babys! Kleines Wunder - großes Glück" mit zwölf regulären und vier Spezialfolgen, in denen es um Neonatologie-Fälle (Behandlung von Frühgeborenen und kranken Neugeborenen) geht.

Gleichzeitig arbeitet Iris Bettray als Autorin an drei neuen Reportagen für die ZDF-Reihe "37°", zwei davon sind Langzeitbeobachtungen über ein Jahr. Am 31. März läuft "Schöner Mist! Der Traum vom eigenen Bauernhof" - dafür hat sie ein junges Paar im Schwarzwald beim radikalen Neuanfang als Landwirte begleitet. Jutta Pinzlers Spezialität sind die großen, internationalen arte-Themenabende. Nach dem viel beachteten Doppel "Auf der Suche nach dem glücklichen Fisch" und "Bis zum letzten Fang - Das Geschäft mit dem Fisch" im vorigen Jahr stellt sie gerade eine Doku über die stark fortschreitende Konzentration der europäischen Landwirtschaft fertig, die arte im Frühjahr sendet.

Als Produzentinnen nur noch zu konzipieren, zu verkaufen und zu verwalten - das wäre den sagamedia-Gründerinnen von Anfang an zu wenig gewesen. Sie wollen weiterhin auch selbst machen, als Autorinnen recherchieren, drehen und schneiden. Das tun sie bei ihren Filmen ebenso wie bei etlichen Folgen der Doku-Soap-Formate oder beim WDR-Sommerformat "Duell der Dauercamper", für das in den nächsten Monaten drei neue Folgen entstehen. "Wir sind die Jamie Olivers unter den Produzenten", scherzen Bettray und Pinzler. "Nicht dass wir Kochshows produzieren würden. Aber wir können alles, was wir verkaufen, eigenhändig zubereiten. Das fühlt sich gut an."