Es geht flotter zu als beim eher epischen „Weissensee“, eine der Serien mit der sich „Deutschland 83“ noch am ehesten vergleichen lässt. Ein Roadmovie aber braucht eben Tempo und "Deutschland 83" liefert genau das. Schnell ist man mitten drin in der Sorge vor einem Atom-Krieg, vor dem Wettrüsten und der großen Eskalation. Und genau an dieser Stelle erinnern wir uns. An die realen wenn auch nicht sichtbaren Gefahren und Sorgen jener Zeit des kalten Krieges. Das Szenario der Serie; diese Bedrohung ist keine Erfindung oder Übertreibung von RTL. Wem es bei „Deutschland 83“ merkwürdig vorkommt, weltpolitische Fragen - etwa die eines bevorstehenden Atom-Krieges - in der deutschen Provinz behandelt zu sehen, der muss sich nur die ebenfalls reale Merkwürdigkeit vor Augen führen, dass die Kleinstadt Bonn einst Hauptstadt der Bundesrepublik war; schließlich auch kein Scherz von RTL.

Die Generation 50+ braucht daran nicht erinnert zu werden, doch bei den jüngeren Zuschauern wird der Erfolg von "Deutschland 83" nicht unwesentlich von der Frage abhängen, wie bedrückend die Beinahe-Katastrophe von damals auf diese Zielgruppe wirkt. Besonders wenn der Einstieg so flott gestaltet und die Bedrohung möglicherweise etwas zu selbstverständlich als bekannt vorausgesetzt wird. Es ist tragischerweise die aktuelle außenpolitische Realität des Jahres 2015, die der UFA Fiction helfen könnte. Alte Bedrohungen und Denkmuster feiern schließlich zweifelhafte Renaissance. Doch zurück zur Fiktion: Zwischen der Mission im Westen und der Familie im Osten muss der "Held" Moritz Stamm seinen inneren Kompass bestimmen. Klingt kitschig, ist aber nach zwei Folgen nicht ansatzweise so offensichtlich, wie man es befürchten könnte.

„Deutschland 86“ und „Deutschland 89“ sind denkbar


Wer steht auf welcher Seite? Diese Frage stellt man sich bei beinahe allen beteiligten Charakteren, was für die sehr guten Bücher spricht. Nach amerikanischem Vorbild mit einem Writers Room arbeiten zu können, war für Anna und Jörg Winger ausschlaggebend dafür. Gemeinsam wurde eine Serien-Welt geschaffen, die zwar zunächst einmal nur acht Folgen umfasst. „Deutschland 86“ und „Deutschland 89“ sind aber denkbar. Die Bücher überzeugen nicht nur durch ihre clever ausbalancierte Figuren-Zeichnung, die schon in den ersten beiden Folgen mehrfach den Zuschauer täuschen. Manchen Zuschauer der Premiere im Berliner Haus der Festspiele hob es vor Schreck gar aus den Sitzen. Treffer, versenkt. Nein, darüber hinaus gibt es auch herrlichen Witz in der Serie.

Wenn Held Moritz Stamm etwa die Nachfrage einer Kellnerin, ob er denn ein Filet-, Hüft-, Rump- oder Ribeye-Steak möchte, ratlos antwortet "Eins von der Kuh" - dann lacht das Berlinale-Publikum. Es sind Lacher, die aus der Rolle des DDR-Bürgers im westlichen Kapitalismus heraus entstehen; keine Schenkelklopfer. Sie sorgen dafür, dass „Deutschland 83“ nicht zum allzu bedeutungsschwangeren Stück wird. Das kann man als Liebhaber von Nischen-Serien sicherlich bedauern oder als kluge Entscheidung begrüßen: So sieht hervorragendes Primetime-Fernsehen aus. „Deutschland 83“ darf sich bei den Kosten auch nicht am Programmrand verstecken.

„Zum ersten Mal erzähle ich von deutschen Serien, und keiner lacht sich tot.“


Die umjubelte Premiere bei der Berlinale, der clevere Verkauf an den US-Kleinstsender Sundance TV und das Timing der Bekanntgabe - man merkt bei diesem Projekt, wie UFA Fiction und RTL alles geben wollen. Diesmal soll alles stimmen, weil man Fernsehen produziert, auf das man stolz sein kann. Es ist dieser Anspruch, der dem deutschen Fernsehen und insbesondere dem Privatfernsehen so oft fehlt. Auch die Konkurrenz kann sich freuen: Wenn der „New York Times“ die Serien aus Deutschland nicht nur auffallen sondern gefallen, dann ist das für sich schon eine kleine Revolution und ein Signal des Aufbruchs.

Anna und Jörg Winger bringen uns „Deutschland 83“, Oliver Berben hat das Meisterwerk „Schuld“ schon vorgelegt und die ebenfalls bei der Berlinale präsentierte ZDF-Serie „Blochin“ erfüllt auch die hohen Erwartungen. Nach all den Ankündigungen des letzten Jahres lässt sich mit diesen Eindrücken schon sagen: 2015 wird das Jahr der neuen deutschen Serienwelle - und erste Ausläufer davon schwappen sogar schon rüber in die USA. Selten gab es so positive Signale oder wie Jan Mojto - der mit ARD, Sky und Tom Tykwer „Babylon Berlin“ produziert - es in Berlin formulierte: „Zum ersten Mal erzähle ich von deutschen Serien, und keiner lacht sich tot.“