Der Frauenknast, der in Wahrheit ein ehemaliges Presswerk ist, macht einen beklemmenden Eindruck. Die Ausstatter der Produktionsfirma UFA Serial Drama haben ganze Arbeit geleistet. "JVA Tempelhof" steht in großen Lettern an der Fassade, im Innern fühlt man sich wie weggesperrt und seiner Individualität beraubt. Nur die farbigen Wände irritieren etwas, weil sie dem erwarteten Klischee-Grau widersprechen.

Als das Medienmagazin DWDL.de Ende April 2014 das Set der neuen RTL-Serie "Block B - Unter Arrest" in einem Berlin-Tempelhofer Industriegebiet besucht, zeichnet sich bereits ab, dass hier ein außergewöhnliches Stück Fernsehen entsteht. Dass es noch fast ein Jahr bis zur Ausstrahlung dauern wird, ahnt an diesem regnerischen Frühlingsnachmittag niemand. Inzwischen hat der Sender einen Platz gefunden und zeigt "Block B" nach DWDL.de-Informationen vom 12. März an donnerstags um 21.15 Uhr - im Anschluss an die neue "Alarm für Cobra 11"-Staffel. Los geht's mit einer Doppelfolge.



Man merkt Guido Reinhardt an, dass "Block B" für ihn nicht irgendeine Adaption irgendeiner australischen Serie ist. Der Produzent und Chief Creative Officer von UFA Serial Drama steckt seit Jahren tief in der nicht immer einfachen Entwicklung des Projekts. "Von der Entstehung von 'Wentworth' in Australien habe ich vom ersten Moment an viel mitbekommen", erzählt Reinhardt. "Ich kenne Lara Radulovich, die Showrunnerin der ersten Staffel, sehr gut, weil ich vor einigen Jahren ihr Mentor in unserem Fremantle-internen Förderprogramm war." Und auch Produzentin Nina Viktoria Philipp hat eine besondere Beziehung zum Stoff: Sie war vor 13 Jahren Junior Producerin bei "Hinter Gittern", dem legendären ersten RTL-Frauenknast.

Weil das erfolgreiche australische Originalformat "Wentworth", das dieses Jahr in die dritte Staffel geht, ein zeitgenössisches Revival der 80er-Jahre-Serie "Prisoner" ist und diese wiederum als Vorlage für "Hinter Gittern" diente, liegt der Vergleich auf der Hand. Das ist Fluch und Segen zugleich. Segen, weil die kollektive Erinnerung an eine Kultmarke natürlich Aufmerksamkeit und Quote nicht schaden kann. So spekulieren auf einer Facebook-Fanpage zu "Block B"  schon etliche User über die Rückkehr von Knastlesbe Walter alias Katy Karrenbauer. Fluch, weil die alte und die neue Serie außer dem Setting quasi keine Gemeinsamkeiten haben.

Während "Hinter Gittern" mit seiner "homoerotischen Knacki-Welt" und "Macho-Phantasien" ("Der Spiegel" im März 2000) eher trashig daherkam, setzt "Block B" auf ebenso harte, radikale wie emotionale Geschichten, auf erstklassige Schauspielerinnen wie Katrin Sass, Claudia Michelsen oder Nina Hoger sowie auf ein striktes visuelles Konzept, das mit extremen Farben und Kontrasten, mit Zeitlupen und Speed-Ramps aus dem Gewohnten herausfällt. Look und Plots wurden aus Australien übernommen, die Stories der einzelnen Charaktere an die deutsche Realität angepasst. "Für mich hat 'Block B' nicht mehr viel mit 'Hinter Gittern' zu tun", sagt Guido Reinhardt. "Es ist aber verständlich, dass der Vergleich für viele auf der Hand liegt, und wir werden offensiv damit umgehen."

Zehn Folgen hat das 80-köpfige UFA-Team zwischen März und Juli 2014 abgedreht, je eine in sechs Drehtagen. Die gesamte Staffel spielt über einen Zeitraum von fünf Monaten und mischt die aktuelle Handlung im Gefängnis mit Rückblenden, die Motive und Lebensumstände der Insassinnen erzählen. In jeder Folge steht eine andere Figur im Vordergrund - von der eiskalten, alternden Matriarchin Rita Plattner (Katrin Sass) über die Insassenvertreterin Gabi Reimers (Nina Hoger), die junge berlinernde Italienerin Janina Romano (Ulrike Röseberg), die ihr eigenes Kind auf dem Gewissen hat, bis zur sexy Lesbe Chris Wuttke (Claudia Gaebel). Der Erzählton ist dabei für deutsche Primetime-Verhältnisse ungewohnt brutal und schonungslos.

"Wir stellen eine Reihe von grundlegenden moralischen Fragen", sagt Produzentin Nina Philipp. "Diese Frauen haben in der Mitte ihres Lebens eine Entscheidung getroffen, die sie vom Weg abgebracht hat. Ihre jeweilige Straftat war eine Folge davon - juristisch klar zu bewerten, aber moralisch in manchen Fällen sicher nachvollziehbar. Damit möchten wir das Publikum herausfordern." Die Herausforderung ist dabei durchaus wörtlich zu nehmen. Statt gepflegter Serien-Entspannung geht die Intensität mitunter nah an die Grenzen des Erträglichen. "Für den Zuschauer ist das insofern ein anstrengendes Format, als es einem nicht egal sein kann", so Philipp. "Unsere Geschichten sind teilweise ziemlich radikal und - vor allem durch psychische Gewalt - auch brutal. Es gibt wenig Momente zum Durchatmen, dafür aber starke Frauenfiguren, zu denen man als Zuschauer eine enge emotionale Bindung entwickeln wird."

Nach den ersten Vorab-Eindrücken hat die Adaption eines bestehenden Formats hier eher genützt als geschadet - was bekanntlich nicht bei jedem bisherigen Versuch der Fall war. Dennoch hatte UFA Serial Drama ursprünglich auf eine lokale Eigenkreation gesetzt. "Wir hatten bereits selbst ein paar Ideen zum Thema Frauenknast entwickelt, weil das ja eine klassische Erzählfolie mit einem spannenden System ist", so Reinhardt. "Die Gespräche darüber mit den Sendern endeten allerdings immer recht schnell." Dem Vernehmen nach kam Fahrt in die Sache, als die RTL-Delegation bei den LA Screenings 2013 eher enttäuscht das Screening der Netflix-Knastserie "Orange is the New Black" verließ - nicht geeignet fürs deutsche Massenpublikum. Umgehend wedelten die anwesenden UFA-Vertreter mit dem "Wentworth"-Format ihrer australischen Konzernschwester.

Wenig überraschend waren es die ungewohnte Machart und der harte Ton der fertigen Serie, die RTL die Programmierung mehrfach überdenken ließen und zur Verschiebung erst von September auf Anfang 2015, dann schließlich auf März führten. Mit den neuen "Cobra 11"-Folgen darf man zumindest ein relativ reichweitenstarkes Lead-in erwarten, wenn auch die Zielgruppen nicht ganz identisch sein dürften. "Eine Ausstrahlung 2014 wäre möglich, aber auch sehr ambitioniert gewesen", erklärt ein RTL-Sprecher auf Nachfrage. "Dass zwischen Dreh und Ausstrahlung mehr als sechs Monate vergehen, ist in der Fiction schon aufgrund der Postproduktionsabläufe absolut üblich. Wir haben uns nach sorgfältigen Überlegungen dafür entschieden, mit dem Line-up 'Der Lehrer' und 'Männer' ins neue Jahr zu starten und danach 'Block B' im Anschluss an neue Folgen 'Alarm für Cobra 11' auszustrahlen. Mit dieser Konstellation haben wir einen starken Sendeplatz für eine starke Serie gewählt."

Optimistisch ist man auch auf Seiten der Produktionsfirma: UFA Serial Drama hat das alte Fabrikgelände in Berlin-Tempelhof, auf dem früher Laminatfußböden und Schreibtischauflagen gepresst wurden, vorerst für drei Jahre angemietet. So gesehen könnten noch etliche namhafte Schauspielerinnen inhaftiert werden.