Doch auch schon während seiner Studienzeit verbrachte er einige Zeit im Spanien. Deutschland war für den gebürtigen Schwaben also weit weg. Erst die Aussicht, einen großen Fernsehsender zu leiten, brachte ihn im vorigen Jahr wieder zurück. "Vermissen werde ich wohl die Sonne", sagte er kurz nach seiner Rückkehr. "Madrid verwöhnt mit mehr als 300 Sonnentagen im Jahr, und ich bin gerade dabei, meiner Frau zu erklären, dass man das von Köln schlecht erwarten kann!" Tatsächlich ist es Reichart nicht gelungen, alle Sonnenstunden aus der spanischen Metropole in die rheinische Karnevalshochburg zu retten. Immerhin scheint er sich aus seiner Zeit in Spanien allerdings zumindest eine Herangehensweise bewahrt zu haben, die sich als unkonventionell bezeichnen lässt.
Und auch wenn Vox in den zurückliegenden Monaten so manchen Rückschlag verkraften musste und unterm Strich sogar niedrigere Marktanteile einfährt als 2013, so hat der 40-Jährige bei Vox trotzdem so manches bewegt. Er ist in gleich mehrerlei Hinsicht ein Regelbrecher - und zwar im positiven Sinne. So gab er seinem Chefredakteur und Unterhaltungschef Kai Sturm in den vergangenen Monaten jenen Freiraum, den es braucht, um ungewöhnliche Formate an den Start zu bringen. Eine Musikshow ohne Casting? Nicht wenige hätten vermutlich noch vor einem Jahr behauptet, dass das kaum möglich ist. Mit "Sing meinen Song" hat Vox allerdings das genaue Gegenteil bewiesen und quasi nebenbei auch noch einen Fernsehpreis eingeheimst.
"Schön, dass er viel Vertrauen in gute Ideen und professionelle Umsetzung hat."
Astrid Quentell, Geschäftsführerin von Sony Pictures Film- und Fernsehproduktions GmbH in Deutschland, über Bernd Reichart
Eine Karriere-Show im deutschen Fernsehen? Nicht zu machen! Doch auch hier bewies Vox mit der "Höhle der Löwen" Mut, der von den Zuschauern selbst in unmittelbarer Konkurrenz zu einem Fußball-Länderspiel mit tollen Quoten belohnt wurde. "Man spürt immer seine große Leidenschaft fürs Fernsehen! Schön, dass er viel Vertrauen in gute Ideen und professionelle Umsetzung hat", sagt Reicharts Geschäftspartnerin Astrid Quentell, die seit mehr als fünf Geschäftsführerin von Sony Pictures Film- und Fernsehproduktions GmbH in Deutschland ist und seit diesem Jahr "Die Höhe der Löwen" für Vox produziert. "Dass sein Mut, wirklich Neues auszuprobieren, sich ausgezahlt hat und mit guten Quoten und guten Kritiken belohnt wurde“, freut die Produzentin nicht nur wegen der eigenen "Höhle der Löwen".
Formate wie diese bieten einen wohlwollenden Kontrast zum oft zitierten "Bügelfernsehen", das bedauerlicherweise mehr und mehr Einzug hält in unser Fernsehen. "Wir wollen eigentlich alle Genres für Vox interpretieren", sagte Bernd Reichart erst im Oktober im Gespräch mit dem Medienmagazin DWDL.de selbstbewusst und kündigte nichts weniger an als eine eigenproduzierte Serie. Man kann sich regelrecht vorstellen, welch skeptische Blicke er in Deutz geerntet haben mag, als er diesen kühnen Wunsch erstmals äußerte. Durchgesetzt hat er sich trotzdem, wohl wissend, dass eine eigene Serie für Vox völliges Neuland ist und in einer echten Quoten-Katastrophe enden kann. Insbesondere mit Blick auf die zuletzt schwächelnden Serien-Importe aus Übersee ist dieser Schritt aber eben womöglich auch einer mit viel Weitblick.
Reichart vertraut seinem Bauchgefühl, das in diesem Fall bis in seine Zeit in Spanien zurückreicht. "Ganz persönlich habe ich eine enge Verbindung zu einer Geschichte, die bei einem regionalen katalanischen Fernsehsender ihren Ursprung hatte", sagt der Vox-Chef über die Serie, die er für den deutschen Markt adaptieren möchte. "Uns gefiel diese Serie von Albert Espinosa so gut, dass wir sie für Antena 3, der Sendergruppe, für die ich damals tätig war, gekauft und dort unter dem Titel 'Pulseras rojas' sehr erfolgreich ausgestrahlt haben." Und so darf nun also die neue Produktionsfirma Bantry Bay jene Serie nach Deutschland bringen, die Steven Spielberg kürzlich unter dem Titel "Red Band Society" für das amerikanische Fernsehen interpretierte.
"Wir kennen das spanische Original und die Kraft der Bücher", betonte Reichart kürzlich. "Eine deutsche Adaption muss es schaffen, das Feingefühl für die Besonderheit dieser Serie zu treffen." Keine leichte Aufgabe, zumal längst nicht sicher ist, ob die Zuschauer von Vox überhaupt eine eigene Serie erwarten. Dass er das Risiko in Kauf nimmt und zwischen all das Gewohnte auch völlig Unerwartetes streuen möchte, verdient jedoch Respekt. Denn ist es nicht dieses Schubladen-Denken, das wir alle so sehr verteufeln? So gesehen passt es gut ins Bild, dass Vox in den vergangenen Wochen den Mut aufbrachte und am Vorabend mal eben eine Short-Comedy nach dem "Perfekten Dinner" zeigte - auch wenn der große Erfolg in diesem Fall am Ende ausblieb.
Letztlich sind die im Vergleich zum Vorjahr gesunkenen Quoten ohnehin nicht so sehr auf den mehrwöchigen Comedy-Test am Vorabend zurückzuführen als vielmehr auf die ausufernde US-Fiction, derer Erfolge man sich bei Vox lange Zeit sicher sein konnte. Dass sich sich Vox davon ein Stück weit befreit und für neue, ungewöhnliche Programmfarben öffnet, kann dem Sender in Zukunft nur gut tun. Karsten Roeder, Geschäftsführer des "Sing meinen Song"-Produzenten Schwartzkopff TV, drückt in wenigen Worten aus, was Reichart auszeichnet: "Ein Künstler mit Schlips, ein Manager mit Phantasie." Und einer der DWDL-Aufsteiger des Jahres.