Mit "Gute Zeiten, schlechte Zeiten", "Alles was zählt" und "Unter uns" hat RTL derzeit drei Soaps im Programm. Mehr als genug - könnte man meinen. Doch weit gefehlt, denn von dieser Woche an geht mit "Berlin Models - Unser Leben, unser Traum" ausgerechnet auf dem Sendeplatz um 17:00 Uhr die vierte tägliche Serie des Kölner Marktführers an den Start. "Ausgerechnet" deshalb, weil RTL vor inzwischen mehr als sieben Jahren schon einmal den Versuch unternahm, unmittelbar vor "Unter uns" eine weitere Dailysoap zu platzieren. Die hieß "Ahornallee" und wurde nach gerade mal zwei Monaten schon wieder aus dem Programm geworfen.

Die Vorzeichen könnten also besser stehen, doch RTL-Unterhaltungschef Tom Sänger, der auch die Daytime des Senders verantwortet, glaubt an die Idee. "Ein modernes und zur Zielgruppe passendes Lead-in" wolle man "Unter uns" durch die neue Serie ermöglichen, sagt er gegenüber dem Medienmagazin DWDL.de. "Das haben wir bereits am Vorabend bei 'AWZ' und 'GZSZ' etabliert und wir glauben, dass es ebenso am Nachmittag funktionieren kann." Die Etablierung werde jedoch "Zeit benötigen, die wir dem Format geben wollen". Spannend ist der Neustart, der ursprünglich mal als wöchentliches Format fürs Wochenende konzipiert wurde, aus gleich mehreren Gründen - allen voran, weil RTL diesmal nicht auf Soap-Experten von UFA Serial Drama setzt, sondern auf Filmpool.

Der Kölner Produktionsschmiede ist es vor inzwischen mehr als drei Jahren mit dem Start von "Berlin - Tag & Nacht" gelungen, dem Soap-Genre neuen Schwung zu verleihen. Inzwischen hat RTL II mit "Köln 50667" eine weitere Serie derselben Machart erfolgreich im Programm etabliert. Im Gegensatz zu klassischen Soaps sind die Geschichten dieser Formate wesentlich schneller erzählt. Genau daran orientiert man sich auch bei RTL, wo manch einer hinter vorgehaltener Hand "Berlin Models" bereits als "'Unter uns' auf Speed" ansieht. "'Berlin Models' soll genremäßig in die Lücke zwischen den am Markt existierenden 'Reality Soaps' und den klassischen täglichen Serien stoßen", erklärt Tom Sänger die Positonierung zwischen "Berlin - Tag & Nacht" oder "GZSZ".

In die Entwicklung der Serie, die RTL als "Fashion-Soap" zu etablieren versucht, seien "Expertise und Erfahrungen von beiden Genres geflossen", sagt er. Tatsächlich kommt "Berlin Models" ziemlich schnell daher, vor allem aber jung. Vielleicht zu jung? Zu den "Verdachtsfällen", die RTL derzeit aus der Not heraus jeden Tag gleich drei Stunden am Stück ausstrahlt, wollen die Liebes- und Laufsteg-Geschichten rund um die Modelagentur aus der Hauptstadt zumindest auf den ersten Blick nicht so recht passen. Zudem stellt sich die Frage, wie nah die Serie an der Lebenswirklichkeit der Zuschauer ist. Zwar verschwinden durch echte Models wie den Hauptdarsteller Marc Eggers ein Stück weit die Grenzen zwischen Fiktion und Realität, doch zugleich muss sich zeigen, wie sehr sich die Zuschauer mit der harten Model-Welt identifizieren können.

Produzent Guido Reinhardt, der für UFA Serial Drama die drei bereits im RTL-Programm befindlichen Soaps verantwortet, sprach kürzlich im "Studio D" (ganze Folge ansehen) über eine veränderte Ausrichtung von "Alles was zählt", wo es anfangs ebenfalls sehr stark um die Verwirklichung von Träumen gegangen ist. Heute gehe es dagegen vielmehr um die Frage, ob die große Karriere wirklich alles sei. Die Frage "Wer bin ich eigentlich und wer möchte ich sein?" sei heute viel stärker ausgeprägt. Für RTL stellt sich allerdings noch eine weitere Frage - nämlich jene, welche Richtung man abseits von "Berlin Models" am Nachmittag einschlagen möchte. Nachdem der Sender mit der Kuppelshow "Bei Anruf Liebe" baden ging, scheint es, als habe der Sender vorübergehend die Lust am Experimentieren verloren.

"Wir haben das Genre 'Scripted Reality' nie kategorisch abgelehnt oder gar verbannt."
Tom Sänger, Bereichsleiter Show & Daytime bei RTL

Die Rückkehr der "Verdachtsfälle" konnte die Lage zwar stabilisieren - ihre besten Zeiten hat die Scripted Reality aber mittlerweile hinter sich. Doch bei RTL glaubt man weiterhin an Geschichten nach Drehbuch. "Wir haben das Genre 'Scripted Reality' nie kategorisch abgelehnt oder gar verbannt", sagt Daytime-Chef Tom Sänger auf DWDL.de-Nachfrage und fügt hinzu: "Das Genre gefällt zwar nicht jedem Kritiker, aber in neuen Formen und mit neuen Themen nach wie vor den Zuschauern - für die wir nun mal Programm machen. Mit unserer langjährigen Erfahrung sehen wir noch viele Gestaltungs- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten." Wie diese aussehen können, ließ Sänger jedoch offen.

Schon jetzt dient "Verdachtsfälle" allerdings nicht zuletzt als Probefläche für Scripted Realitys aller Art. Innerhalb der Sendung wolle man "zahlreiche neue Ansätze testen, so wie wir es schon in den letzten Wochen und auch in den vergangenen Jahren immer wieder getan haben", so Sänger. "Dabei werden wir nah am Zuschauergeschmack agieren und sehr behutsam mit Gewohnheiten umgehen." Ähnliche Testballons wie im Falle von "Bei Anruf Liebe" können angesichts dessen wohl auf absehbare Zeit ausgeschlossen werden. Immerhin: Der Start von "Berlin Models" verspricht in den kommenden Wochen interessant zu werden. Ob die RTL-Zuschauer auf eine weitere Dailysoap gewartet haben, steht freilich auf einem anderen Blatt.