Irgendwo im holländischen Niemandsland, zwischen der Kleinstadt Hilversum und dem Örtchen Laren. Der Weg auf das ehemalige Militärgelände führt durch eine doppelte Sicherheitsabsperrung. Wo früher Soldaten für den Ernstfall trainiert haben, leben heute 15 Kandidaten auf drei Hektar, umgeben von 100 TV-Kameras und 130 Produktionsmitarbeitern. John de Mol, Inhaber und kreatives Mastermind der niederländischen Talpa Media Group, hat zum Interview mit dem Medienmagazin DWDL.de ans Set von "Utopia" gebeten.

Wieder einmal hat es der einstige Endemol-Boss geschafft, mit einer Reality-Show zum nationalen Gesprächsthema zu werden. Für SBS6, wo "Utopia" täglich um 19.30 Uhr läuft, ist das Format ein großer Quotenerfolg. Für Talpa ist es das wichtigste Vertriebsthema auf der bevorstehenden MIPTV. "Wir verhandeln momentan mit Sendern aus 15 Ländern", sagt de Mol. "Aber das dauert seine Zeit, weil die 'Utopia'-Logistik sehr kompliziert ist, der Produktionsaufwand und die Kosten sehr hoch. Das Format muss für jedes Land völlig neu budgetiert werden. Aber ich gehe davon aus, dass wir bis zum Sommer etwa zehn Länder mit unterschriebenen Verträgen haben werden."



Angelaufen ist die Produktion bereits in den USA. Bei Fox geht "Utopia" ab August auf Sendung. Dreimal pro Woche sitzt de Mol in Videokonferenzen mit den US-Kollegen. Er legt Wert darauf, dass in einer so kritischen Phase für den weiteren Erfolg des Formats kein Detail ohne ihn entschieden wird. Als drittes Land folgt im Herbst die Türkei, wo Produzent und TV-Star Acun Ilicali die Formatrechte für seinen eigenen Sender TV8 gekauft hat. Seine Firma Acun Medya hat bereits die türkischen Versionen der Talpa-Formate "The Voice" und "The Voice Kids" produziert.

Im niederländischen Heimatmarkt ist "Utopia" seit Anfang Januar on air. In den ansonsten nüchtern-funktionalen Produktionscontainern fällt ein Raum aus dem Rahmen: eine Art Mini-Kino mit zwei Reihen bequemer roter Plüschsessel. Allein dieser "VIP-Room" zeigt, wie sehr der internationale Formatvertrieb zu de Mols Geschäftsmodell gehört und wie wichtig Holland dafür als Labor ist. Wenn TV-Entscheider aus aller Herren Länder hier Platz nehmen, bekommen sie zunächst einen emotionalen Trailer und ein Making-of der Produktion auf einem großen Flatscreen zu sehen. Danach öffnet sich der Wandvorhang und gibt den Blick durch eine Glasscheibe in den Regieraum frei. Vor einer riesigen Monitorwand sitzen zwei Regisseure, zwei Operator, die die ferngesteuerten Kameras bedienen, ein Chef vom Dienst, der ständig entscheidet, welchen Kandidaten und Geschehnissen auf dem Gelände gefolgt wird, und zwei Logger, die das aufgezeichnete Geschehen in Stichworten notieren.

Für die tägliche TV-Show und den 24-Stunden-Webstream entsteht ein Datenvolumen von 160 Gigabyte pro Sekunde. Das alles, um 15 Menschen ein ganzes Jahr lang beim Aufbau einer neuen Gesellschaft zu beobachten. Ohne Regeln und Gesetze, mit 10.000 Euro Startkapital, einer Wiese und einem Viehstall sind sie Anfang Januar in das Abenteuer gestartet. Anders als beim Endemol-Klassiker "Big Brother" sind sie nicht von der Außenwelt abgeschnitten. Sie dürfen telefonieren, im Internet surfen, Besucher empfangen, Produkte ein- und verkaufen. Für die Ernährung müssen sie selbst sorgen.

Mit 1,5 Millionen Zuschauern und 21,6 Prozent Marktanteil war "Utopia" im Januar fulminant angelaufen. Nach zwischenzeitlichen Tiefstwerten knapp unterhalb der Millionenmarke in den Wochen fünf und sechs hat sich die Reichweite inzwischen bei rund 1,2 Millionen stabilisiert und den Vorabendschnitt von SBS6 damit annähernd vervierfacht. Im Netz verdient Talpa ebenfalls: Wer einen Pass als "Utopian" haben und dem Livestream folgen möchte, zahlt 2,50 Euro im Monat. Bislang machen das rund 150.000 Nutzer, ihre durchschnittliche Verweildauer liegt bei 30 Minuten pro Tag. Ab Mai, kündigt de Mol an, wird das Angebot erweitert: Dann sollen auch Tages-, Wochen- und Jahrespässe erhältlich sein.

Das komplette Exklusiv-Interview mit John de Mol lesen Sie morgen bei DWDL.de. Neben "Utopia" spricht der Talpa-Chef auch über seine Expansion in die Fiction, über neue Casting-Konkurrenz und über seine Gedanken zur Zukunft von Endemol.