Frank Beckmann ist ein Gratwanderer. Der ARD-Vorabend, um den er sich kümmert, liegt nach wie vor im Argen. Gleichzeitig kann er als Programmdirektor des NDR Fernsehens in diesen Tagen starke Quoten bejubeln. Mit einem Marktanteil von 8,2 Prozent war der Nord-Sender im zurückliegenden Jahr innerhalb des eigenen Sendegebietes so erfolgreich wie seit 1997 nicht mehr und bundesweit ist der NDR das erfolgreichste Dritte Programm. "Wir sind nicht 'HalliGalli', aber wir brauchen auch eine andere Seite", wandte er sich am Donnerstagabend bei den "Talking Heads", der Veranstaltungsreihe von VFFV und DWDL.de, an die anwesenden Produzenten. Ein Innovationstopf soll dabei helfen, möglichst frische Formate auf den Schirm zu bringen.
Die Sache mit der Innovation gelingt freilich nicht immer. Eine Show mit versteckter Kamera ist auf diese Weise ebenso entstanden wie eine Rankingshow über Lebensmittel-Lügen. Doch es kommen eben auch schöne Station-IDs wie jene von Detlev Buck heraus oder ein sehenswertes Format wie den "Tag der Norddeutschen", der einen gelungenen Bogen in die sozialen Netzwerke spannt und gleichzeitig auch vom Fernsehpublikum sehr gut angenommen wurde. Ganz zu schweigen von der gelungenen "Dalli Dalli"-Neuauflage, die inzwischen im Ersten große Erfolge feiert. Und dann wäre da mit dem "Tatortreiniger" auch noch jene Serie, die dem NDR Fernsehen gerade erst Quoten-Rekorde bescherte.
Dass man sich beim NDR über die öffentliche Kritik des Hauptdarstellers Bjarne Mädel ärgerte, ist ein offenes Geheimnis. Darüber sprechen möchte Beckmann aber nicht. Zumal der Erfolg für ihn spricht: Angesichts von bundesweit rund einer Million Zuschauern hat er diesbezüglich nicht allzu viel verkehrt gemacht, auch wenn nicht nur dem Hauptdarsteller der Serie das Zurückhalten bereits produzierter Folgen sauer aufstößt. Die stärksten Quoten verzeichnet das NDR Fernsehen allerdings - wie alle anderen Dritten auch - am Vorabend mit seinen Regionalprogrammen. Marktanteile von mehr als 30 Prozent sind hier keine Ausnahme. Genau da beginnt für Frank Beckmann, den Gratwanderer, das Problem. So sehr er sich auch über die Quoten-Erfolge des NDR Fernsehens freut, so sehr treiben ihn die Misserfolge des Ersten am Vorabend um.
Als Vorabendkoordinator hat er Tag für Tag die mit Abstand größte Baustelle des Gemeinschaftsprogramms im Blick. Das Erste leide in dieser hart umkämpften Zeitzone in gewisser Weise unter der Stärke der Dritten, sagt er und gibt freimütig zu, dass es ihm noch nicht gelungen sei, eine Trendwende einzuleiten. Eine entsprechende Marktanteils-Grafik, die er im Gepäck hat, unterstreicht diesen Eindruck. Dennoch gibt es zumindest einige positive Anzeichen - wenn man denn genau danach sucht. Zum ersten Mal sei es gelungen, die Marktanteile der "Heiter bis tödlich"-Serien drei Monate lang in Folge zu steigern. Ob das Zufall ist oder der Beginn eines Aufwärtstrends, vermag Beckmann nicht zu sagen, aber es ist zumindest ein Anlass zur Hoffnung.
Ohnehin seien die Wiederholungen in den Dritten ausgesprochen erfolgreich. Einer der größten Profiteure ist hier übrigens das Bayerische Fernsehen, das sich in der Vergangenheit gerne mal rar gemacht hat, wenn es darum ging, sich für das Programm des Ersten zu engagieren. Auf dem Primetime-Sendeplatz am Freitagabend ist "Hubert und Staller" dort mit teils zweistelligen Marktanteilen überaus populär. Zugleich hat die Serie auch schon in der Primetime des Ersten bewiesen, was in ihr steckt. Nur am Vorabend wollte sich der große Durchbruch eben bislang noch nicht einstellen. Für die Zukunft will Beckmann am ARD-Vorabend an fiktionalen Formaten festhalten - doch auch eine Quizshow ist zumindest nicht ausgeschlossen.
Erst mal gilt es jedoch, eine verstärkte Verzahnung mit dem Hauptabend voranzutreiben. So soll aus der erfolgreichen Film-Reihe "Ein Fall von Liebe" mit Francis Fulton-Smith eine Serie für den Vorabend werden. Das ist mehr heiter als tödlich. Den Freitag will Beckmann darüber hinaus vor allem für schräge Formate öffnen. Bereits im November hatte DWDL.de über entsprechende Pläne berichtet, wonach die sehenswerte WDR-Comedy "Die Lottokönige" künftig freitags im Vorabendprogramm des Ersten beheimatet wird. Und mit "Cuckoo" hat man bei der BBC einen spannenden Einkauf getätigt. "Wir sind bewusst mutig", so Frank Beckmann bei den "Talking Heads" über die Anforderungen an künftige Formate zum Start ins Wochenende.
Mutig ist indes auch die Entscheidung, die schon lange schwächelnde Soap "Verbotene Liebe" im Programm zu behalten. Der Vorabendkoordinator hält aber weiterhin zu der Serie und verweist gegenüber DWDL.de auf bis zu 300.000 Abrufe im Netz. Das könnte letztlich so etwas wie eine Überlebensgarantie für die "Verbotene Liebe" sein. Vorausgesetzt, die Quoten gehen nicht noch weiter zurück. Es sind als eher kleine Schritte, die Beckmann am Vorabend gehen möchte - wohl wissend, dass es gleichzeitig gilt, die zunehmende Stärke der Dritten nicht zu gefährden. Die Hoffnung hat er aber noch nicht verloren. "Wir stehen nicht vor dem Untergang des Abendlandes, sondern nur vor viel Arbeit", sagt er. Eine spannende Gratwanderung, deren Ende noch nicht in Sicht ist.