Als das Medienmagazin DWDL.de im September "Die große Second-Screen-Verwirrung der Vermarkter" zu entwirren versuchte, war nicht jeder darüber erfreut. Wie das Zusammenspiel von TV und mobilen Geräten funktioniert, ist nach wie vor umstritten und Gegenstand sich widersprechender Studien. Vor allem die oftmals von TV-Vermarktern getroffene Annahme, dass Second-Screen-Nutzung stets im inhaltlichen Zusammenhang mit dem Programm stehe, darf als fragwürdig gelten.
"Der Second-Screen-Hype ist manchen zu Kopf gestiegen und einige Vermarkter-Unterstellungen sind geradezu abenteuerlich", sagt nun ausgerechnet ein Experte, der mittelbar dem TV-Konzern ProSiebenSat.1 zuzurechnen ist. Thomas Grandoch, Gründer und Geschäftsführer des Start-ups Storyfeed, ist im Gespräch deutlich anzumerken, wie er sich über die weit verbreitete Unkenntnis echauffiert. Mit seiner Firma will er die Kluft bei der Parallelnutzung für Werbekunden schließen - derzeit als Teil des ProSiebenSat.1 Accelerators in den Büros der Unterföhringer Senderfamilie.
Eigentlich sitzt Storyfeed in Berlin, angedockt an die Universität der Künste, wo Grandoch und sein Partner Marc Holtbecker strategisches Marketing und Kommunikation in neuen Medien studiert haben. Ihre gemeinsame Diplomarbeit zu crossmedialer Werbung auf dem Smartphone entstand im Rahmen eines Stipendiums der Werbeagentur Jung von Matt, ehe sich die beiden Mitte 2012 mit Storyfeed selbstständig machten.
Momentan jedoch sitzt das kleine Team mit zwei Programmierern für drei Monate in Unterföhring, um vom Netzwerk, Know-how und der Infrastruktur des TV-Konzerns zu profitieren. Neben sechs weiteren Start-ups wurde Storyfeed für die zweite Runde des Accelerator-Programms von ProSiebenSat.1 ausgewählt. Damit will Digital-Vorstand Christian Wegner bei spannenden neuen Geschäftsmodellen einen Fuß in die Tür setzen. Als Gegenleistung für die Anschubhilfe, die auch 25.000 Euro Förderung umfasst, reklamiert er eine 5-Prozent-Beteiligung an jedem der Start-ups.
"Unser Ziel ist es, den Medienbruch zwischen TV und Internet bei der parallelen Nutzung zu überwinden", so Grandoch zu DWDL.de. "Aus Sicht der User ist er de facto gar nicht mehr vorhanden, aus Sicht der Werbekunden aber sehr wohl noch." Besonders wichtig ist dem 30-Jährigen die Feststellung, "dass wir Parallelnutzung allgemein verstehen und damit nicht unbedingt Social TV oder Second Screen im engeren Sinne meinen". Zumal es den Second-Screen-Apps der TV-Sender noch gehörig an Reichweite fehle.
Die von Storyfeed entwickelte Technologie ermöglicht es, die crossmedialen Effekte von TV-Werbung zu analysieren und so den Return on Investment (ROI) eines Spots auf unterschiedlichen Sendern, zu unterschiedlichen Sendezeiten zu ermitteln. Beispielsweise kann gemessen werden, wie viele User einen Onlineshop besuchen, der im TV beworben wird, und wie viele dieser Besucher aufgrund eines spezifischen Spots kommen. Außerdem ist Storyfeed beim "Second Screen Targeting" in der Lage, die Online-Werbung synchron zur TV-Werbung eines Unternehmens auszusteuern. Parallelnutzer sehen so dieselben Marken online, die sie - bewusst oder unbewusst - auch im TV schon gesehen haben.
Das Monitoring-System basiert auf mehreren Servern, die permanent diverse TV-Signale per Bild- und Ton-Fingerprinting abtasten. "Wir nennen sie liebevoll Watchaholics", sagt Grandoch. Der Testbetrieb läuft momentan mit ein paar Pilotkunden, die Marktreife steht kurz bevor. Eine Kooperation mit TV-Vermarktern ist für das Modell nicht erforderlich, da die ausgestrahlten Spots in Echtzeit gemessen werden. Ein Pilotprojekt mit einem internationalen Online-Vermarkter läuft derzeit ebenfalls, um synchronisierte Werbemittel über ein großes Netzwerk ausliefern zu können.
Was Grandoch im Testbetrieb bereits herausgefunden hat, kann spannend sein für Werbekunden, die TV-Zuschauer auf ihre Website oder App lotsen wollen: "Zeitlich relevant sind die ersten sechs Minuten nach dem TV-Impuls. Danach ebbt der Online-Traffic in der Regel wieder auf das Grundrauschen von vorher ab. Innerhalb dieses Sechs-Minuten-Fensters registrieren wir aber bis zu fünfmal so viele Downloads oder Zugriffe wie ohne TV-Spot."
Ende November ist für das Storyfeed-Team die Accelerator-Zeit vorbei und es geht heimwärts nach Berlin. "Wir werden viele wertvolle Kontakte und Erfahrungen mitnehmen", so Grandoch. Gleichzeitig geht die Investorensuche weiter, da fürs Wachstum des Start-ups dringend mehr Programmierer und Kundenbetreuer vonnöten sind.