Wenn das mal kein neues Erfolgsmaß für ein Comedy-Format ist: Die Zahl der unfreiwillig provozierten Polizeieinsätze während der Dreharbeiten steht in keinem Verhältnis zur überschaubaren TV-Reichweite. Für die zweite Staffel der "StandUpMigranten" hat Comedian Abdelkarim sich im Scheich-Outfit vorm Münchner Amerika-Haus postiert. Mit seinem Handy filmt er das Gebäude, von Passanten will er wissen, ob es Sicherheitsleute gibt und wann die Mittagspause machen. Es dauert nicht lange, bis die echte Polizei mit Blaulicht auftaucht und den Versteckte-Kamera-Dreh beendet.
Genauso ist es zuvor gelaufen, als Abdelkarim in einem Straßencafé seine Tasche stehen gelassen oder auf einem Parkplatz Benzin direkt vom Erzeuger für einen Euro pro Liter verkauft hat. Die Münchner Polizei und das Drehteam der Produktionsfirma Constantin Entertainment kennen sich inzwischen. Dass die Provokation immer wieder so gut gelingt, liegt auch daran, dass Abdelkarim - 1981 als Sohn marokkanischer Eltern in Bielefeld geboren - aussieht "wie eine Mischung aus Bushido und Bin Laden". So formuliert es Thorsten Sievert, Erfinder und ausführender Produzent der "StandUpMigranten".
Mit den Mitteln der Comedy will Sievert einen Blick auf Deutschland aus der Einwandererperspektive und auf das Zusammenleben verschiedener Kulturen werfen. Das ist in der ersten Staffel schon äußerst witzig gelungen und hat für gute Abrufzahlen im YouTube-Channel von EinsPlus gesorgt. Von heute an zeigt der ARD-Digitalkanal jeden zweiten Samstag um 20.15 Uhr acht neue Folgen. Gastgeber Abdelkarim begrüßt pro 45-Minuten-Folge vier Stand-up-Comedians in einer Münchner Shisha-Bar und zeigt zwischendurch seine Einspieler.
"Wir haben einen gewissen gesellschaftspolitischen Anspruch, aber natürlich ohne Zeigefinger und auch ohne Furcht vor etwas platteren Gags", sagt Comedy-Veteran Sievert, der schon bei etlichen Liveprogrammen Regie geführt und als Senderchef das deutsche Comedy Central aus der Taufe gehoben hat. Mit seiner Firma smile producing arbeitet er in der TV-Produktion heute exklusiv mit Constantin Entertainment zusammen.
Sievert gilt als einer der besten Kenner der Nachwuchsszene in der deutschen Comedy. Mit den "StandUpMigranten" sieht er sich selbst an der Speerspitze eines anwachsenden Trends: "Vor drei Jahren gab es so gut wie keinen Muslim oder Araber auf einer deutschen Comedy-Bühne. Heute sehen wir eine ganze Reihe - und die sind richtig stark." Rund zwei Drittel des aktuellen Comedy-Nachwuchses seien Migrantenkinder der dritten oder vierten Generation. Aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen mit Vorurteilen oder gar Rassismus brächten sie spannende Themen mit, so Sievert, und bräuchten nicht wie viele junge deutsche Comedians stets auf dieselben abgegriffenen Frauen- und Schuhkauf-Klischees zurückzugreifen.
Bei der Auswahl der Gäste für die "StandUpMigranten" zeigen sich EinsPlus und Constantin Entertainment mitunter mutig. Manche von ihnen haben erst wenige Auftritte vor Publikum absolviert oder sind einfach aufgrund eines bei Facebook hochgeladenen Bewerbungsvideos engagiert worden. Das führt dazu, dass nicht immer jede Pointe sitzt, aber Sievert lässt genug Material aufzeichnen, um hinterher das beste auswählen zu können. "Wir haben vom Sender den ausdrücklichen Auftrag, Newcomer zu fördern. Dafür braucht man Geduld."
Die Auswirkungen auf den Comedy-Mainstream kommen schneller, als man beim ersten Blick auf die digitale Nische denken könnte. Schließlich ist das Gespann Sievert/Constantin Entertainment auch für die eine oder andere große RTL-Comedyshow verantwortlich. Wenn etwa am 26. Oktober das neue Format "Typisch deutsch?! Die Kaya Show" startet, sind auch ein paar Entdeckungen aus der ersten "StandUpMigranten"-Staffel mit dabei, um Kaya Yanar bei der Erforschung gängiger Klischees zu unterstützen.