„Ein Punkt, bei dem unsere Industrie zu scheitern droht, ist die dogmatische Unterscheidung zwischen Film, Serie, Miniserie, Webisodes oder wie auch immer sie fiktionale Formate noch benennen wollen. Sehen Sie, wenn ich als Schauspieler vor einer Kamera stehe, dann weiß diese Kamera auch nicht ob sie eine Filmkamera, eine Fernsehkamera oder eine Streaming-Kamera ist. Das ist einfach eine Kamera. Ich sage voraus, dass in den nächsten ein bis zwei Jahrzehnten diese Unterscheidungen vergessen sind. Es geht am Ende nur um eins: Geschichten.“ Und Spacey verdeutlicht, was er damit meint: „Wie definieren wir Filme? Ist ein Film noch ein Film, wenn sie ihn zuhause auf dem Fernseher schauen und nicht im Kino? Ist eine Fernsehserie noch eine Fernsehserie, wenn Sie sie auf Ihrem iPad gucken? Die Geräte und Längen sind doch egal. Diese Labels sind nutzlos - außer natürlich für Anwälte, Manager und Agenten, die auf ihnen basierend Geschäfte machen wollen. Aber für die Kinder, die heute aufwachsen macht es keinen Unterschied ob sie 'Avatar' auf ihrem iPad gucken oder Youtube auf dem Fernseher oder 'Game of Thrones' auf ihrem Computer. Es geht um die Inhalte. Es geht um die Geschichten."
"Wenn die Geschichte stimmt, dann schauen die Leute auch etwas was dreimal so lang ist wie eine Oper"
Es folgt sein meist umjubelter Teil des Vortrages, der von den gut 1.500 Gästen sonst vornehm ruhig verfolgt wurde. "Ganz zu schweigen von der Aufmerksamkeits-Spanne. Für Jahre wurde uns immer etwas von abnehmenden Aufmerksamkeits-Spannen erzählt. Aber wenn jemand eine ganze Serien-Staffel an einem Tag schaut, ist das nicht eine unglaubliche Aufmerksamkeits-Spanne? Wenn die Geschichte stimmt, dann schauen die Leute auch etwas was dreimal so lang ist wie eine Oper.“ Spontaner Applaus. „Wir sollten keine Annahmen treffen, was Zuschauer wohl in der Zukunft wollen. Wir sollten es einfach beobachten, uns schnell anpassen und neue Dinge ausprobieren, um einen Appetit des Publikums zu stillen, von dem wir bisher vielleicht gar nicht wussten, dass es ihn gibt. Je mehr Neues wir probieren, desto mehr lernen wir über unsere Zuschauerschaft und umso mehr Türen öffnen sich - für Kreativität und das Geschäft.“ Und Spacey will noch mit einem weiteren Irrtum aufräumen. "Es gibt da diesen Mythos, dass niemand wissen könne wie gutes Fernsehen geht. Dass das Finden guter Programme reine Glückssache sei. Aber offen gesagt: Das ist Bullshit“, wettert er von der Bühne aus.
„Wir wissen, wie es funktioniert. Es ging schon immer darum Künstlern ihren Freiraum zu geben. Es ging schon immer um totale Unbekümmertheit. So fängt man eben an, wenn man das, was man tut, auch als Kunst begreift. Netflix hat natürlich auch seine Hausaufgaben gemacht und erstmal alles ordentlich durchgerechnet, aber sie haben 'House of Cards' einfach gemacht. Und hey, was hatten wir bei der Serie auf der kreativen Seite für ein Glück. Netflix hatte noch nie zuvor eine eigene Serie produziert. Die hatten ja nicht mal ein Büro, was uns Anmerkungen hätte schicken können. Können Sie sich vorstellen welche Anmerkungen da von einem Sender gekommen wären, der uns nicht die völlige künstlerische Freiheit gegeben hätte? 'Hmm, wir sind sehr besorgt über die Tatsache, das Kevin in den ersten fünf Minuten der Serie einen Hund umbringt. Wir haben Angst, dass uns das die Hälfte des Publikums kostet' Wir wurden nicht darum gebeten, Kompromisse zu machen oder die Geschichte etwas runterzudrehen. Nicht von Netflix und nicht von MRC, unserer Produktionsfirma. Und diese erste Szene von 'House of Cards' - sie gab eben perfekt den Ton an für die ganze Serie."
"Also wir wissen was funktioniert. Das einzige, was wir nicht wissen ist, warum es so schwierig ist, Führungskräfte zu finden, die die Tapferkeit, Weisheit und die Eier haben, es auch zu machen. Aber es gibt eine gute Nachricht. Mehr als jedes andere Publikum in der 37-jährigen Geschichte dieser Vorlesung können Sie - Sie, die hier heute in diesem Saal sitzen - etwas verändern und an etwas arbeiten, was gleichzeitig erfolgreich ist und stolz macht. Vor 15 Jahren hätte ich hier nicht gestanden, weil das Fernsehen als verloren galt. Ehrlich gesagt, wenn ich das einschieben darf, wäre ich auch nicht hier gewesen, weil mein Manager mir vor 15 Jahren nicht erlaubt hätte überhaupt darüber nachzudenken eine Fernsehserie zu machen, wo ich doch gerade einen Oscar gewonnen hatte." Aber das hätte sich eben radikal geändert. "Bis zu einem gewissen Grad sind wir heute auch frei von diesem ewigen Schatten, der über dem Fernsehen liegt, seit es erfunden wurde: Dem dunklen Schatten der Einschaltquoten. Keiner von uns wird vermutlich noch einmal einen Marktanteil von 30 Prozent erreichen - und das ist eine wunderbare, befreiende Erkenntnis.“
"Eine erfolgreiche Serie kann eine Leidenschaft und eine Nähe zum Zuschauer entwickeln, von der jeder Blockbuster-Film aus Hollywood nur träumen kann."
Netflix habe demnach alles richtig gemacht und sich auf all die Dinge konzentriert, die die nackten Zahlen ersetzen. Gezieltes Marketing und das Schaffen einer Marke als höheres Gut als die Einschaltquoten. Spacey: "Das Publikum hat gesprochen und es will Geschichten. Sie lechzen danach. Sie feuern uns an, ihnen gute Geschichten zu liefern. Sie werden dann darüber sprechen, darüber bloggen, darüber bei Facebook und Twitter schreiben, Fanpages bauen, alberne GIFs erstellen und teilen, Nächte durchmachen um Folgen aufzuholen und Gott weiß was sonst noch tun. Eine erfolgreiche Serie kann eine Leidenschaft und eine Nähe zum Zuschauer entwickeln, von der jeder Blockbuster-Film aus Hollywood nur träumen kann. Wir müssen ihnen diese Geschichten nur liefern! Es wäre eine Schande für jeden von uns, wenn wir diese Chance nicht ergreifen und nutzen.“
Früher brauchte es Sender und Institutionen um Kreativität zu bündeln und zu ermöglichen. "Die neue Generation der Kreativen ist anders. Wir leben nicht länger in einer Welt in der jemand entscheiden muss, ob er Schauspieler, Regisseur, Produzent oder Autor ist. Die Kinder, die mit YouTube aufwachsen und sich dort verwirklichen, sind all das zusammen. Es ist unsere Aufgabe sie zu überzeugen, dass es für sie ein Zuhause im Mainstream gibt, wo ihnen geholfen werden kann, noch mehr zu erreichen. Aber wir müssen auch offen sein für jene Genies, die schon alles mitbringen. Die Lena Dunhams dieser Welt. Ich würde Ihnen an dieser Stelle gerne die Namen all der zukünftigen Geschichtenerzähler und Pioniere nennen, die einen außerordentlichen Beitrag für unsere Branche leisten werden - aber ich kann nicht, weil wir noch nicht wissen wer es sein wird. Aber sie sind irgendwo da draußen. Schneiden gerade ihren ersten Film am Computer. Proben in irgendeinem Keller-Theater. Bewerben sich für ein Kunst-Stipendium. Oder drehen ihren eigenen 'Funny or die'-Sketch.“
"Wir leben nicht mehr in einer linearen Fernsehwelt."
"Werden wir mit all diesen technischen Möglichkeiten noch einen Weg finden, gemeinsam unsere Erlebnisse zu teilen?“, fragt Spacey die Besucher des Edinburgh International Television Festival. „Wir alle wollen das, aber die Zeiten des Gesprächs an der Kaffeemaschine oder auf dem Schulhof über das Fernsehen von gestern Abend sind vorbei. Wir leben nicht mehr in einer linearen Fernsehwelt. Die Gespräche haben sich ins virtuelle verlagert. Die Diskussionen finden nun online statt. Niemand muss allein sein mit seiner Sucht nach 'Breaking bad' oder seiner Leidenschaft für 'Dexter'" - und kann weltweit Fans finden. Es gibt auf der Welt so viele Konflikte und so viel Krieg. Bei all dem, was uns trennt - Kultur vereint uns. Wir sind immer noch eine Familie, die Fernsehen liebt. Aber eine wunderbar vielfältige globale Familie. Ist das Leben nicht schön?“
Nach knapp 40 Minuten beendet Kevin Spacey seine hier in weiten Teilen wiedergegebene Rede. "Ich möchte Sie verlassen mit einem Zitat eines Mannes, der so gut wie keiner Kunst und Kommerz verbinden konnte: Orson Welles. Er sagte einmal: "Ich hasse Fernsehen. Ich hasse es genauso wie Erdnüsse. Aber ich kann nicht aufhören Erdnüsse zu essen."
Inzwischen gibt es auch einen Video-Mitschnitt der Rede von Kevin Spacey...