Die PrimeTime ruft: DWDL zu Besuch in der "Schillerstraße"

Foto: Stefan MenneWas für ein Jahr für SAT.1! "Anke Late Night": ein Flop, "Kämpf um deine Frau": ein Desaster. Besonders mit adaptierten Programmen schienen sich die Sender im ablaufenden Jahr nicht gerade goldenen Eier ins Nest gelegt zu haben. Um so erfreulicher ist es da, dass es der Berliner Sender mit den bunten Bällen geschafft hat, mit wirklichen Programminnovationen ein großes Publikum und die Kritiker gleichermaßen zu begeistern. Das Comedy-Quiz "Genial daneben" mit Hugo-Egon Balder räumte den Deutschen Fernsehpreis ab und läuft inzwischen an zwei Tagen in der Woche.

Auch die Improvisations-Comedy "Schillerstraße" - wie "Genial daneben" ein Format aus dem Hause Hurricane - steigt auf und läuft ab Januar mit doppelter Sendezeit in der Primetime. In der werberelevanten Zielgruppe erreichte die Sitcom mit Cordula Stratmann einen beachtlichen Marktanteil von 17,6%. Durchschnittlich 1,91 Millionen 14-49jährige schalteten ein, wenn Spielleiter Georg Uecker Comedians wie Dirk Bach, Annette Frier und Martin "Maddin" Schneider nach seiner Pfeife tanzen ließ. Entwickelt wurde die "Schillerstraße" übrigens von Maike Tatzig - dem einen oder anderen vielleicht noch als Moderatorin von "Big Brother - Das Quiz" in Erinnerung.

Special an Neujahr

Eingeweiht wird der neue Sendeplatz bereits am kommenden Samstag mit einem einstündigen Neujahrsspecial. Bei der Aufzeichnung in den MMC-Studios in Hürth-Kalscheuren war dem gesamten Team die Freude über den Erfolg anzumerken. "Nach zwanzig Jahren in diesem Gewerbe endlich Primetime!" begrüßt Spielleiter Georg Uecker das bunt gemischte Publikum.

Viel Freizeit scheint Lindenstraßen-Doktor Uecker derzeit nicht zu haben: "Tagsüber bei Mutter Beimer ein paar Abstriche machen und abends Schillerstraße. Das ist momentan mein Leben", lässt der Spielleiter das Publikum wissen und verschwindet hinter sein Pult, von wo aus er die Mitwirkenden der Sendung mit Anweisungen wie "Ralf, du hast seit 72 Stunden nicht mehr geschlafen" oder "Martin, du willst 2005 in die Politik gehen" steuert.

Kein Witz aus der Konserve

Darüber hinaus gibt es für die Darsteller in der "Schillerstraße" kein Script. Lediglich der Rahmen der Handlung ist bekannt: Die fünf Comedians treffen sich zu Neujahr in Cordulas Wohnung, um die gestrigen Sylvester-Feiern Revue passieren zu lassen. Was passiert, passiert spontan. Der große Vorteil der Sendung - kein Script, keine festgelegte Handlung - kann allerdings bei einer ausgeweiteteten Brutto-Spielzeit von nunmehr einer Stunde schnell zum Nachteil werden.

So lebt die Sendung von situativer Komik. Vom Wortwitz über Zoten bis hin zum Slapstick. Da das Einfädeln und Weiterspinnen von roten Fäden einzig Sache der Comedians auf der Bühne ist, fällt es manchmal schwer, eine Geschichte aufrecht zu erhalten. Die gerät natürlich bei einem Format wie "Schillerstraße" zur Nebensache. Dennoch ist fraglich, ob die Erweiterung um eine halbe Stunde dem Format gut tut, oder ob beim Publikum Ermüdungserscheinungen einsetzen werden.

Mehr Theater als TV

Foto: Stefan MenneZwar war die Aufzeichnung durchweg kurzweilig, jedoch bot diese ein anderes Umfeld als der heimische Fernseher mit häuslichen Ablenkungen,  Werbeunterbrechungen und starken Konkurrenz-Programmen. Der Clou bei der Aufzeichnung: Pausen gibt es ebensowenig wie eine Unterbrechung von Spielleiter oder Regie. Einmal im Gange, läuft die Sendung, egal, was passiert. Auch das macht den Reiz dieses Formats aus. "Man darf keine Angst haben vor dem Ball, den der Kollege einem zuspielt, sondern muss ihn verwandeln wollen. Und dann Tor! Oder Latte, das weiß man eben vorher nicht" beschreibt Schillerstraßen-Bewohnerin Cordula Stratmann die Herausforderung an die Darsteller in einem Interview.

Wie bei einer typischen Fernsehaufzeichnung jedenfalls geht es bei der "Schillerstraße" nicht zu. Insgesamt umweht den Zuschauer eher Theater-Atmosphäre. Die Bühne scheint zum Greifen nah, die Darsteller sind locker und Pannen gibt es nicht, sondern nur Ereignisse auf der Bühne. Das bestätigt auch Martin "Maddin" Schneider nach der Aufzeichnung im Gespräch mit DWDL: "Das ist mehr eine Theatersituation. Die Kameras nimmt man gar nicht mehr wahr." Der Unterschied zu minutiös geplanten Filmdrehs liegt in der Spieltechnik. "Hier ist alles viel körperlicher", erklärt der hessische Herzensbrecher Maddin.

Für jeden etwas

Das Publikum vor Ort ist begeistert. Bereits vor der Aufzeichnung herrscht comedygerechte Feierabendstimmung bei den Zuschauern. Warm-up-Moderator Christian Oberfuchshuber hat wenig Mühe, die knapp 300 Gäste auf Touren zu bringen. Schließlich zahlen die Zuschauer auch 13 Euro Eintritt. Echte Fans also. Interessant ist bei diesem Format die Mischung des Publikums. So unterschiedlich unsere Gesellschaft auch ist, die "Schillerstraße" scheint konsensfähig zu sein.

Dies zeigt sich besonders einem "SAT.1-Quiz", das der Warm-upper vor der Sendung mit zwei Zuschauern veranstaltet. Designer-Brille und ZDF-Präferenz die eine, Strickpulli und "Vera-am-Mittag-Gucker" der andere. Ein interessantes Detail am Rande: Die Rezeption der neuen News-Schiene bei SAT.1. "Wie heißt der Anchor-Man der SAT.1-Nachrichten?" Schlicht und schmerzhaft die Antwort: "Weiß ich nicht. Aber als der noch im ZDF, lief hab ich den immer geguckt." Um so begeisterter wird dann schließlich der Beginn der Sendung gefeiert.

Trendsetter SAT.1?

Es scheint, als sei SAT.1 mit seinen Comedy-Produkten ein großer Wurf gelungen. Die Zuschauer goutieren die einfachen, nachvollziehbaren und irgendwie auch authentischen Formate. Die ersten Nachahmer kommen schon bald um die Ecke. So wird RTL mit "Frei Schnauze" ab dem 07. Januar versuchen, an die Erfolge von "Genial daneben" anzuknüpfen. Moderiert wird das neue Format der Kölner von Mike Krüger (DWDL berichtete).

Nach den Jahren sich überbietender Jahrmarkteffekte scheinen die Zuschauer nun den schlichten aber intelligenten Ideen den Vorrang zu geben. Anstatt weiter in Pomp, Glamour und Show zu versinken, geht das Fernsehen etwas zurück zu seinen Theater-Wurzeln. Zurück in eine TV-Zeit, als ein Film noch ein Fernsehspiel war und der Inhalt wichtiger, als die knallige Verpackung. Na dann viel Erfolg in der Primetime und ein theatermäßiges "toi toi toi".