Wir schreiben das Jahr 1999. Im Vorabendprogramm versucht sich Sat.1 an einem neuen Format, das Mitschnitte von Schiedsgerichtsverhandlungen zeigt. Der Clou: Weil hierfür das Verbot von Ton- und Bildaufnahmen nicht gilt, sind alle Fälle echt. Das Problem: Wirklich spektakulär sind die Fälle nicht, was schlicht und ergreifend daran liegt, dass ausschließlich zivilrechtliche Auseinandersetzungen ausgestrahlt werden dürfen und quotenbringende Themen wie Mord und Sex keine Rolle spielen. Dass es "Richterin Barbara Salesch", so der Name des damals noch unbekannten Formats, doch noch zu Ruhm bringt, hat weniger mit den verhandelten Fällen, sondern viel mehr mit Stefan Raab zu tun, der aus einer eigentlich völlig belanglosen Verhandlung um einen Maschendrahtzaun einen riesigen Chart-Erfolg bastelt.
Weil aber auch das den Quoten nicht hilft, gibt Sat.1 seiner Gerichtsshow eine letzte Chance. Der Rest der Erfolgsgeschichte ist bekannt: Durch die Umstellung auf Laienschauspieler war es plötzlich möglich, auch härtere Fälle zu verhandeln - und gemeinsam mit dem Wechsel auf den Sendeplatz um 15:00 Uhr stiegen die Quoten plötzlich rapide an. Die Marktanteile schnellten auf kaum für möglich gehaltene 30 Prozent und mehr und ganz nebenbei befand sich mit dem neuen Trend auch das Genre der bis dato noch immer weit verbreiteten Daily-Talks langsam, aber sicher auf dem Rückzug. Sat.1 legte mit "Richter Alexander Hold" nach, RTL bespielte zwischenzeitlich sogar gleich drei Stunden pro Tag mit seinen Gerichtsshows.
Nun, ein Jahrzehnt später, haben die Gerichtsshows ihren Zenit längst überschritten. Der Kölner Marktführer hat sich schon vor Jahren von diesen Formaten verabschiedet und übernahm nach längerer Durststrecke mit den umstrittenen Scripted Realitys wieder das Zepter. Und Sat.1? Dort verzeichneten Salesch und Hold zuletzt nicht selten sogar einstellige Marktanteile in der Zielgruppe - auch wenn die Gesamt-Quoten dank vieler älterer Zuschauer nach wie vor gut sind, ist es kein Geheimnis, dass Sat.1 nach Alternativen sucht. Nun könnte alles viel schneller gehen als ursprünglich gedacht: An diesem Freitag verabschiedet sich Barbara Salesch nach mehr als 2000 Folgen vom Bildschirm.
Sie macht den Weg frei für die neue Sendung "Familien-Fälle", die auf aus der Salesch-Show bekannte Protagonisten setzt, gleichzeitig aber nach Möglichkeit an den Erfolg der quotenstarken RTL-Dokus anknüpfen soll. Doch ist der Abschied von "Richterin Barbara Salesch" zugleich das Ende der klassischen Gerichtsshow? "Zunächst einmal bleibt festzuhalten, dass Barbara Salesch auf eigenen Wunsch hin ihre Sendung nach fast 13 Jahren beendet, und zwar mit einer nach wie vor starken Fanbasis", sagt Felix Wesseler von der Produktionsfirma Filmpool, die nach dem Salesch-Ende keine klassische Gerichtsshow mehr im Portfolio hat.
"Sat.1 und auch wir hätten gern mit ihr eine weitere Staffel produziert. Unabhängig davon: Wir glauben nicht an das Sterben eines Genres, sondern an dessen Weiterentwicklung", so Wesseler. Als man vor zwölf Jahren begonnen habe, eine tägliche Gerichtsshow mit Laienschauspielern zu produzieren, habe man das Genre stetig weiterentwickelt - entstanden sind seither Formate wie "Zwei bei Kallwass", "Niedrig & Kuhnt", "Verdachtsfälle", "Berlin - Tag & Nacht" und "Verklag mich doch". Wesseler: "Wir haben nie aufgehört, das Thema weiter zu denken. Das war und ist so erfolgreich, dass selbst die Kopien anderer noch Bestand haben." Mit "Familien-Fälle", das Filmpool künftig anstelle von Salesch beisteuern wird, wolle man das Thema Gericht nun ins Jahr 2012 heben.
Im Laufe der Jahre hat die Produktionsfirma zahlreiche Erfahrungen sammeln können. "Was wir 2000 aus der Quotennot heraus erfunden haben, ist zu etwas geworden, was im Grunde viel größer ist, als ein Genre. Wir machen Scripted Entertainment, und das funktioniert genreübergreifend, sprich: Wir können nun wählen, welches Korsett wir überstreifen, solange wir die Geschichten gut erzählen." Inzwischen vermarkte man diese Art der Produktion auch international erfolgreich. Und doch gibt es künftig mit "Richter Alexander Hold" nur noch einen Vertreter der klassischen Gerichtsshow im deutschen Fernsehen. Bei der hierfür verantwortlichen Produktionsfirma Constantin Entertainment will man vom Tod des Genres daher nichts wissen.
"Als der Nachmittag noch vom Daily Talk geprägt wurde, gab es bis zu 20 Talkshow-Formate. Davon ist nur eine Sendung übriggeblieben, aber das gibt es bis heute: 'Britt'. So kann auch die Entwicklung bei den Gerichtsshows aussehen", ist sich Christoph Knechtel sicher. Der Produzent von "Richter Alexander Hold" ist davon überzeugt, dass seine Sendung "weiterhin eine spannende, unterhaltsame und auch informative Alternative zu den vielen Scripted-Realitys, die inzwischen den Nachmittag beherrschen" sein wird. Dass Salesch künftig nicht mehr im Vorlauf zu sehen ist, wird aber ganz gewiss auch Auswirkungen auf Hold haben.
Das weiß auch Knechtel: "Es wird für uns sehr spannend zu sehen, wie die Zuschauer auf diese Veränderung nach gut elf Jahren reagieren werden. Wir hoffen natürlich, dass das neue Format ein Erfolg wird, denn von einem starken Programm um 15 Uhr können wir nur profitieren." Der Produzent macht jedoch deutlich, dass "Richter Alexander Hold" auch weiterhin eine Gerichtsshow bleiben wird. "Davon abzurücken halten wir für falsch." Und doch testete Sat.1 kürzlich eine Woche lang innerhalb der Gerichtsshow das Format "Geheimnisse - Leben mit der Lüge", das sehr stark jenen Scripted Realitys glich, mit denen RTL nach wie vor riesige Erfolge am Nachmittag feiert. Die Quoten waren nicht schlecht.
Das Gerichts-Korsett will man bei Constantin Entertainment allerdings im Falle von Hold nicht verlassen. "Das juristische Gerüst bietet genug Möglichkeiten, immer wieder neue Geschichten abwechslungsreich zu erzählen", sagt Produzent Christoph Knechtel. "Wir beobachten den Markt sehr genau, stellen unser Format permanent auf den Prüfstein und entwickeln es in Erzählweise und auch in der Bildsprache ständig weiter." Genau das tut man ganz sicher auch in Sat.1. Dort wird man genau schauen, wie erfolgreich sich das Nachfolge-Format von Barbara Salesch schlagen wird. Sollte es deutlich erfolgreicher sein als die Richterin, könnte auch die Zukunft von Richter Hold auf dem Spiel stehen - im Namen des Fernsehvolkes.