Man kann wahrlich nicht behaupten, im deutschen Fernsehen seien zu wenige Talkshows auf Sendung. Das war im Oktober 1999 noch anders. Knapp zwei Jahre zuvor startete Sabine Christiansen mit ihrem Polittalk am späten Sonntagabend im Ersten und feierte damit große Erfolge - klar, dass das ZDF nachlegen wollte. Mit Maybrit Illner, die zuvor im DDR-Fernsehen moderierte und sieben Jahre lang Frühaufsteherin im "Morgenmagazin" war, fand der Sender schließlich die passende Moderatorin für seinen Talk. Dass sie seither vieles richtig gemacht haben muss, liegt auf der Hand: Zwölf Jahre auf Sendung zu sein, schaffen heutzutage nicht mehr viele.
Am Donnerstagabend strahlt das ZDF die 500. Folge der Talkshow aus, die schon längst den Namen ihrer Gastgeberin trägt - und nicht den anfangs gewählten Titel "Berlin Mitte". Routine tritt aber auch nach all den Jahren nicht ein. "Istanbul, Madrid, London, also fatalerweise all diese Terroranschläge der letzten Zeit fanden immer an Donnerstagen statt", erinnert sich Illner. Das habe immer bedeutet, dass die eigentlich seit Dienstag feststehende Sendung durch eine neue, aktuelle hatte ersetzt werden müssen. "Man ist immer in der Erwartung, dass noch irgendwas passieren kann, wenn sich am Dienstagnachmittag im Grunde alles auf das Schönste zusammenbaut oder braut, warten wir eigentlich Mittwoch oder Donnerstag immer noch darauf, dass noch was passiert."
Dass immer etwas passieren kann, musste Illner übrigens gleich in der ersten Sendung feststellen. "Im Nachhinein hatten wir alle das Gefühl, dass die schweren Prüfungen, die einem in einer solchen Show passieren können, alle an diesem ersten Tag passierten", sagt Illner heute. Das Thema der Premiere hieß "Streichen bei den Reichen" - und eigentlich sollte Finanzminister Hans Eichel. Doch er kam nicht. "Alle Vorbereitungen liefen auf Hochtouren und plötzlich war Hans Eichel verspätet und parallel dazu fiel der Strom aus." Und so sendete man die erste Ausgabe mit einem verspäteten Gast und mit der Hilfe von Notstromaggregaten.
"Wir waren streckenweise auch im Kuriositätenkabinett", erzählt die Talkmasterin rückblickend auf 500 Sendungen. So sei Herbert Grönemeyer am Ende einer Sendung sauer darüber gewesen, dass er nicht noch viel mehr auf Helmut Kohl schimpfen durfte und Christoph Daum habe sich kurz vor einer Schalte in die Türkei dazu entschieden, nochmal kurz in eine Teestube zu gehen. "Und wir hatten Henning Scherf bei uns in der Sendung, der gerade vom Kirchentag kam und plötzlich mit unserem Publikum im Studio anfing, Dona Nobis Pacem zu singen."
Auch eine Sendung zum Thema RAF, in der Claus Peymann zu Gast war, zählt wohl zu den Ausgaben kurioserer Art. Peymann war darin auf den falschen Stuhl gesetzt worden, erzählte Illner kürzlich in der "Zeit". "Er meinte: Ich kann nur von rechts! Wir haben ihn alle angeguckt und wussten gar nicht, woher sein Zorn kam. Entsprechend begann diese Sendung mit einem Aufgalopp an Wut, die keiner verstand. Diese Sendung, glaube ich, hatte zu viele absurde Momente. Wenn ich könnte, würde ich die noch mal wiederholen." Ganz sicher waren in all den Jahren auch viele Sendungen dabei, auf die man als Zuschauer getrost verzichte konnte - und doch kann Illner auf einen festen Zuschauerstamm bauen.
Rund zweieinhalb Millionen Zuschauer blieben donnerstags nach dem "heute-journal" dran - am besten lief in diesem Jahr übrigens die Ausgabe zum recht populären Thema "'Wetten, dass..?' oder Dschungelcamp? Was ist gute Unterhaltung?", das nur wenige Tage nach der Abschiedsankündigung von Thomas Gottschalk auf der Agenda stand. Knapp vier Millionen Zuschauer waren damals dabei. Mehr Menschen erreichte nur das Aufeinandertreffen der Spitzenkandidaten von FDP, Grünen und Linken, das vor sechs Jahren im Vorfeld der Bundestagswahl zu sehen war - damals allerdings zu einer früheren Sendezeit.
Ein Ende ist jedenfalls nicht in Sicht. "Wir können uns natürlich vorstellen, dass wir nochmal 500 dranhängen", sagt Maybrit Illner und fügt hinzu: "Solange die Fragen noch nicht ausgehen, glaube ich, kann diese Sendung noch weitergehen." Die inzwischen stärker gewordene Konkurrenz scheint die Moderatorin jedenfalls nicht zu stören. Auf die Frage, ob sie drei Tage vor oder vier Tage nach Günther Jauch sende, sagte sie kürzlich im "Zeit"-Interview: "Für mich ist das wie bei einem Karussell: Man sitzt auf dem weißen Pferd oder dem brauen oder dem schwarzen. Und je nachdem, wo der Betrachter steht oder wie das Karussell sich dreht, ist man mal der Erste, mal der Dritte. Wenn die Welt an einem Montag untergeht, ist das halt Pech für Günther Jauch. Aber für uns ist es auch nicht schön, weil die Welt dann schon untergegangen ist."