Etwa hundert Kilometer nördlich von Paris, mitten in einer Landschaft, die sich je nach Wetterlage als idyllisch oder trostlos bezeichnen lässt, liegt Großbritannien. Zumindest zeitweise. Seit 2008 wird das Schloss Pierrefonds mehrfach im Jahr zu Camelot, jenem Schloss aus der Artussage, die als Grundlage der Abenteurserie "Merlin" dient. Hier wird gedreht, was inzwischen in über 180 Ländern auf Sendung ist. In Deutschland läuft "Merlin" bei Super RTL und startet am Dienstag in die dritte Staffel. Die vierte Staffel ist gerade bei der BBC gestartet, eine fünfte Staffel schon bestellt.

Diese Planungssicherheit kommt weniger durch den Erfolg der Serie im Vorabendprogramm der BBC. Längst spielt die internationale Vermarktung die gewichtigere Rolle bei der Produktion von "Merlin". So ist inzwischen neben der BBC auch Fremantle Enterprises, der Distributionsarm der zur RTL Group gehörenden Produktionsfirma Fremantle als Geldgeber dabei. Produziert man für den internationalen Markt anders? Johnny Capps, Executive Producer der Serie, verneint das. "Ein gutes Drehbuch ist ein gutes Drehbuch, egal für welches Publikum", sagt er. Und Merlin-Darsteller Colin Morgan pflichtet ihm bei: "Solch universale Themen wie Freundschaft, Ehre und Liebe werden weltweit verstanden und sprechen jede Altersklasse an."

 

Die Serie interpretiert die Artussage recht frei und versetzt sie auch ganz bewusst in eine Fantasie-Welt. "So mussten wir nicht historisch korrekt sein, aber natürlich eine in sich glaubhafte Fantasie-Welt erschaffen, die ausgehend von den bekannten Interpretationen der Artussage genügend Raum für weitere Stories liefert, damit wir auch mehrere Staffeln damit arbeiten können", erklärt Capps. Der internationale Vermarktungserfolg liegt jedoch weniger in den Stories als in deren Erzählungsweise. Denn "Merlin" ist eine Abenteuer-Serie, in der es zwar an nichts fehlt. Aber es kommt alles sehr wohldosiert zum Einsatz. Es gibt Action, aber nicht zu viel Gewalt. Es gibt Liebe, aber keine Erotik. Und es gibt ein sehr universelles Werteverständnis von Recht und Unrecht.

"Merlin" ist in keinster Weise anstößig oder besonders gewagt. Damit ist die Serie das Gegenbeispiel zu dem, was beispielsweise bei HBO-Serien gefeiert wird. Und doch erreicht man gerade so diese internationale Verbreitung und Fans in allen Kulturkreisen. In Deutschland mag es zusammen mit der Tatsache, dass die Serie nach anfänglicher Ausstrahlung bei RTL inzwischen bei Super RTL läuft, zu einer falschen Vorverurteilung führen, denn eine Kinderserie ist "Merlin" zweifelsohne nicht. "Und inzwischen sind die Charaktere wie auch wir Schauspieler älter geworden, was die Serie dunkler und erwachsener macht", analysiert Bradley James, der Prinz Arthur spielt, in einer Drehpause.

Für Super RTL ist es das erfolgreichste Primetime-Programm. Vielleicht auch, weil jene Mittelalter-Thematik derzeit generell im Trend zu liegen scheint. Auch wenn es bei "Merlin" mit Drachen und Zauberei ins Fantastische geht, so bleibt die Serie von der grundsätzlichen Optik und Verortung in einem historischen Setting, wie man es auch von "Säulen der Erde" oder "Wanderhure" kennt. Eine vergangene Welt, die eine ganz spezielle Sehnsucht erfüllt. "Abgesehen von Fantasy kann sonst nur noch Comedy die Zuschauer aus ihrem Alltag entführen, was insbesondere in schwierigen Zeiten eine große Motivation zum Fernsehen ist", analysiert Executive Producer Capps.

An eingeschworenen Fans der Serie mangelt es nicht. Das merkt man beim Setbesuch. Zweimal pro Staffel wird vor Ort in Pierrefonds gedreht. Das sind Termine, die eingefleischte Fans kennen und ihren Urlaub darauf abstimmen. "Merlin" ist nämlich eine Fernsehserie zum Anfassen, was jedoch nichts mit dem inzwischen auch schon vorhandenen Merchandising inklusive Action-Figuren oder den sympathischen Hauptdarstellern zu tun hat. Es liegt viel mehr an der Location: Dreharbeiten im und um das Schloss Pierrefonds sind nur dann erlaubt, wenn die Sehenswürdigkeit parallel für Besucher geöffnet bleibt. Und so wird unter intensiver Beobachtung der Fans produziert, die meist wenige Meter hinter den Kameras ihre Stars Colian Morgan (Merlin) und Bradley James (Prinz Arthur) verfolgen.

Bei aller Liebe zum Publikum sind das nicht immer die einfachsten Produktionsbedingungen. Aber dem Team von "Merlin" bleibt keine Wahl: Die Kulisse von Pierrefonds, irgendwo 100 Kilometer nördlich von Paris, war die einzig passende Kulisse. "Wir haben uns auch viele Schlösser in Großbritannien angeschaut. Aber es gab ein banales Problem: Oftmals stehen die Schlösser in Großbritannien in direkter Nachbarschaft zu modernen Städten. Die hätten wir bei Luftaufnahmen rund um das Schloss immer sehr aufwändig am Computer entfernen müssen. Und dann hat uns ein Freund, der die Serie 'Highlander' gedreht hat, den Tipp mit Pierrefonds gegeben. Wir sind sprichwörtlich am nächsten Tag hierher geflogen und waren begeistert", sagt Executive Producer Johnny Capps und fügt lachend hinzu: "Also liegt Britannien eben in Frankreich."