Als sich Siegmund Gottlieb vor acht Jahren in den Ruhestand verabschiedete, riss er bei der ARD eine Lücke. Mit ihm ging eine kräftige konservative Stimme, die zwar häufig aneckte, aber auch deshalb auffiel, weil sie zunehmend eine Ausnahme im öffentlich-rechtlichen Meinungsspektrum darstellte. "Streibar war ich immer", sagte Gottlieb einmal, "weil ich wusste: Wir brauchen zu bestimmten Themen eine klare Haltung." Sein damaliger Ratschlag: "Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht im Mainstream rundgeschliffener Bewertungen verlieren."

Tom Buhrow, bis zum Jahreswechsel Intendant beim WDR, erkannte die Notwendigkeit, ein breiteres Meinungsbild im Programm abzubilden, schon vor Jahren. "Wir müssen da weiter experimentieren", erklärte er 2021. "Ich empfand einst das Links-rechts-Format mit Hauser & Kienzle im ZDF als demokratiebildend. Die Meinungsfarbe der beiden Journalisten war klar, aber sie mussten danach miteinander klarkommen. So etwas fehlt in der gereizten Stimmung in Deutschland."

Gebessert hat sich die Stimmung im Land seither nicht - und auch neue Hausers und Kienzles haben sich seither nicht gefunden. Gleichwohl scheint es, als wollen sich einige Verantwortliche der Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr länger damit abfinden, aus einschlägig bekannten Kreisen immerzu mit dem "links-grünen" Stempel versehen zu werden. Vor diesem Hintergrund ist es vermutlich kein Zufall, dass Buhrows Nachfolgerin Katrin Vernau jüngst in ihrem Antrittsinterview im "Spiegel" zu Protokoll gab, sie hätte das bei beim Springer-Sender Welt ausgestrahlte TV-Duell zwischen dem CDU-Politiker Mario Voigt und dem AfD-Rechtsaußen Björn Höcke "gern bei uns gesehen".

Gerade erst haben sich NDR und BR, Siegmund Gottliebs früherer Haussender, gemeinsam aufgemacht, ihre konservative Stimme wiederzufinden. "Klar" heißt ein neues Reportagemagazin, das sich vorgenommen hat, große Streitfragen aufzugreifen, "die in der Mitte der Gesellschaft kontrovers diskutiert wurden". "In den vergangenen Jahren wurde viel von Diversität gesprochen, doch das ging auch einher mit dem Ausblenden unliebsamer Themen und Meinungen", erklärte Moderatorin Julia Ruhs im Vorfeld. "Viele Menschen haben das so gesehen. Ihnen möchten wir mit unserem neuen Format ein Angebot machen."

Dass sich die erste Ausgabe ausgerechnet dem Thema Migration widmete, sorgte auch in Senderkreisen für Verwunderung, schließlich wurde es insbesondere im Vorfeld der Bundestagswahl in vielen Facetten bei ARD und ZDF hinlänglich diskutiert - und zwar nachweislich aus allen Perspektiven. Und auch abseits des eigenen Hauses wurde die Sendung bisweilen skeptisch beäugt. Im seinem "ZDF Magazin Royale" übte etwa Jan Böhmermann deutliche Kritik an "Klar", ohne jedoch das Format beim Namen zu nennen, und sprach von  "rechtspopulistischem Quatsch", der sich als seriöser Journalismus verkaufe (DWDL berichtete). Die NGO "Neue Deutsche Medienmacher*innen" beklagte gar einen "Tiefpunkt in der Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks".

"Positive und kritische Reaktionen"

Doch ist die Kritik gerechtfertigt? Unter der Prämisse "Migration - was falsch läuft" begleitet "Klar" unter anderem einen Mann, dessen 17-jährige Tochter und deren Freund vor zwei Jahren bei einer Messerattacke in einem Regionalzug getötet wurde - von einem vorbestraften und psychisch kranken Palästinenser, dessen Asylantrag abgelehnt wurde. Die Geschichte des Mannes wird innerhalb der 45-minütigen Sendung wieder aufgegriffen - und auch wenn sie sehr persönlich erzählt und damit entsprechend stark emotional aufgeladen ist, macht sie das politische Versagen in diesem konkreten Fall sehr anschaulich. 

Zu gerne wüsste man, was der Vater über Jette Nietzard, Vorsitzende der Grünen Jugend, denkt, der Moderatorin Julia Ruhs eine sehr persönliche Frage stellt: "Was würden Sie den Eltern oder den Angehörigen sagen, deren Kinder zum Beispiel durch ei­ne Messerattacke von einem Migranten ums Leben kamen?" Nietzard muss sich kurz sammeln und bricht ihren Antwortversuch zunächst ab. "Ich finde es dumm, auf die Frage zu antworten", sagt sie. Natürlich sei es schlimm, wenn Kinder ermordet werden. "Aber Kinder werden nicht mehr von afghanischen Attentätern ermordet als von deutschen Vätern."

Es ist zweifelsohne ein schmaler Grat, auf dem sich "Klar" bewegt. Doch auch wenn die Sendung bisweilen einseitig daherkommt, so ist die Redaktion augenscheinlich immer wieder erkennbar darum bemüht, zu differenzieren. Das unterscheidet "Klar" dann auch von rechten Lautsprecher-Angeboten wie "Nius". "Protagonistinnen und Protagonisten werden grundsätzlich nach journalistischen Kriterien ausgewählt. Der NDR steht für vielfältige Perspektiven im Programm und stellt damit Pluralität und Ausgewogenheit sicher", stellt der NDR auf DWDL-Nachfrage klar. Ein erstes Fazit will der Sender allerdings noch nicht ziehen, schließlich sind für Mai und Juni noch zwei weitere Ausgaben geplant. "Den NDR erreichen positive und kritische Reaktionen, alles fließt in die redaktionelle Auswertung mit ein", erklärte eine NDR-Sprecherin. "Unser Auftrag ist es, mit unseren Programmen die freie und demokratische Meinungsbildung zu fördern und zur Sicherung der Meinungsvielfalt beizutragen. Dazu gehört es, regelmäßig auch neue Formate auszuprobieren."

Jan Fleischhauer bald im ZDF?

An neuen Ansätzen, konservativen Stimmen im Programm verstärkt Gehör zu verschaffen, arbeitet indes auch das ZDF, die einstige Fernsehheimat von Hauser und Kienzle. Schon im vorigen Sommer war über eine Zusammenarbeit mit dem "Focus"-Kolumnisten Jan Fleischhauer spekuliert worden. Doch auch wenn es seither still darum geworden ist - zu den Akten hat der Sender die Pläne noch nicht gelegt. "Das ZDF befindet sich in einer Pilotphase eines möglichen Online-Formats mit Jan Fleischhauer", sagte ein ZDF-Sprecher jetzt auf DWDL-Nachfrage. "Die Entwicklung hatte sich aufgrund der vorgezogenen Bundestagswahlen verzögert und wird aktuell fortgeführt."

2023 hatte Fleischhauer übrigens noch geplant, ein eigenes Format auf "Nius" zu moderieren. Doch noch bevor es losging, machte Fleischhauer einen Rückzieher und kündigte an, mit der Idee "fröhlich weiterziehen" zu wollen. Sein Konzept erklärte er in der "SZ" damals so: "Zehn Minuten Stand-up und dann 20 Minuten mit einem Gast, bevorzugt mit einem von der anderen Seite - also nicht die Verdopplung meiner Meinung, sondern zum Beispiel der Klimaschützer, der erzählt, wie sehr das Festkleben an den Fingern schmerzt. Und auch das eher in einem heiteren Ton. Für mich geht nicht jeden Tag die Welt unter."

Einiges spricht dafür, dass die Welt auch für ARD und ZDF nicht unterginge, sollten die Sender Siegmund Gottliebs Ratschlag von einst beherzigen.