Wer wird nächster Intendant oder nächste Intendantin des Norddeutschen Rundfunks (NDR)? Diese Frage ist nach der gescheiterten ersten Wahl noch spannender als zuvor. Anfang des Monats stellte sich mit Sandra Harzer-Kux eine externe Kandidatin dem Rundfunkrat. Dort erhielt sie zwar von einem Großteil des Gremiums Rückendeckung, sie verpasste jedoch die nötige Zweidrittel-Mehrheit. Der Verwaltungsrat hat seit der gescheiterten Wahl insgesamt einen Monat Zeit, um dem Rundfunkrat einen neuen Vorschlag zu machen.
Ob der Verwaltungsrat dieses Recht wahrnehmen wird, oder ob der Prozess direkt an den Rundfunkrat übergeht, ist weiterhin unklar. "Der Verwaltungsrat wird nun mit der gebotenen Verantwortung und Gründlichkeit eingehend beraten, wie das weitere Vorgehen im Rahmen der bestehenden Regularien aussehen kann, soweit es das Gremium Verwaltungsrat betrifft", erklärt Verwaltungsratsvorsitzender Rüdiger Hülskamp auf Anfrage des Medienmagazins DWDL.de.
Klar ist: Der Zeitdruck ist groß. Die Frist von vier Wochen ist eigentlich viel zu kurz, um einen völlig neuen Namen aus dem Hut zu zaubern. Gut möglich also, dass der Verwaltungsrat auf die Personen zurückgreift, die am Ende mit Harzer-Kux im Bewerbungsverfahren waren. Ihre Namen sind nicht bekannt, klar ist nur, dass sich die ehemalige Territory-Managerin am Ende gegen zwei Männer durchsetzte. Fällt die Wahl auf eine von diesen beiden Personen, wird an ihr der Makel der zweiten Wahl lasten. Der Verwaltungsrat hatte sich zuvor schließlich einstimmig für Sandra Harzer-Kux ausgesprochen.
Dass Harzer-Kux die nötige Mehrheit im Rundfunkrat verfehlt hat, dürfte derweil nicht nur auf sie selbst zurückzuführen sein. Natürlich: Ganz ideal präsentierte sie sich in der Fragerunde vor dem Rundfunkrat nicht, als sie beispielsweise keine NDR-Sendung nennen wollte (oder konnte), die sie gerne schaut. Oder als sie sich nicht klar zur Zukunft der Landesfunkhäuser bekannte. Das stieß auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mit denen DWDL.de gesprochen hat, sauer auf. Aber in Summe war es ein souveräner und vor allem frischer Auftritt, den Harzer-Kux hinlegte.
Gestolpert sein dürfte Harzer-Kux auch über das erklärungsbedürftige Auswahlverfahren. Das ist nämlich gar nicht so einfach zu verstehen - und bis heute herrschen unterschiedliche Auffassungen über die genaue Auslegung des NDR-Staatsvertrages, sowohl im Rundfunkrat, als auch in der Politik.
Die Tiefen des NDR-Staatsvertrages
Konkret geht es um diesen Satz im NDR-Staatsvertrag: "Der Intendant oder die Intendantin und der Stellvertreter oder die Stellvertreterin werden vom Rundfunkrat auf Vorschlag des Verwaltungsrats für die Dauer von fünf Jahren gewählt." Auch von einem "Wahlvorschlag" ist die Rede. Unter den Aufgaben des Verwaltungsrates listet der Staatsvertrag auf: "Vorschläge für die Wahl und die Abberufung des Intendanten oder der Intendantin [...]".
Und nun die Gretchenfrage: Was ist eigentlich ein "Vorschlag"?
Im Verwaltungsrat legt man den Staatsvertrag so aus, dass man dem Rundfunkrat nur eine Person zur Wahl vorschlagen darf. Auch der Rundfunkratsvorsitzende Nico Fickinger unterstrich das Anfang April auf der Sitzung des Gremiums mehrmals. Diese Praxis stößt aber einigen Mitgliedern des Rundfunkrates sauer auf, weil sie eigentlich nur die vom Verwaltungsrat vorgeschlagene Person annehmen oder ablehnen können. Eine echte Wahl, bei der verschiedene Personen in einem Wettbewerb der Ideen um die Gunst der Mitglieder werben, gibt es nicht. Darüber hinaus hatten die Rundfunkratsmitglieder im Vorfeld des ersten Wahlversuchs nur wenig Zeit, um Sandra Harzer-Kux kennenzulernen. In die Arbeit der Findungskommission waren sie, mit Ausnahme ihres Vorsitzenden, nicht eingebunden.
Mehr zum Thema
Nach der gescheiterten Wahl von Sandra Harzer-Kux gab es daher im Rundfunkrat direkt Kritik am Verfahren. Ein Mitglied forderte, dass man darüber nachdenken müsse, ob ein "Vorschlag" nicht auch mehrere Personen enthalten könnte. Der Rundfunkratsvorsitzende wiegelte ab: Man halte sich an den Staatsvertrag und dort sei geregelt, dass der Verwaltungsrat nur eine Person vorschlagen dürfe.
Nur: So einfach ist das nicht. Und die Debatte um die Auslegung des NDR-Staatsvertrages findet nicht nur in den Aufsichtsgremien des Senders statt, sondern auch in der Politik. Als DWDL.de verschiedene Staatskanzleien anschreibt mit der Bitte um Klarstellung, wird auf Schleswig-Holstein verwiesen. Das Land ist aktuell das rechtsaufsichtführende Land in Bezug auf den NDR-Staatsvertrag.
Länder haben unterschiedliche Ansichten
Und tatsächlich: Aus der schleswig-holsteinischen Staatskanzlei heißt es, der Staatsvertrag sei "sehr eindeutig". Verwiesen wird im Zuge dessen auf die bereits erwähnte Formulierung, dass die Wahl "auf Vorschlag des Verwaltungsrates" erfolge. "Der Verwaltungsrat hat also eine Haltung entwickelt, die er zur Wahl stellt, nicht zwei oder mehr Haltungen." Aus Schleswig-Holstein heißt es außerdem, durch die Formulierung "wenn ein Wahlvorschlag nicht die erforderliche Zustimmung im Rundfunkrat (erreicht)…" gehe ebenfalls hervor, dass nur eine Person zur Wahl vorgeschlagen werden könne. "Dies kann sinnlogisch nur eine Person sein, da auch nur eine Person und nicht eine Mehrzahl von Personen gewählt werden kann."
Und in Schleswig-Holstein sieht man das aktuelle Verfahren mit nur einer Person, die vom Verwaltungsrat vorgeschlagen wird, noch durch einen weiteren Punkt untermauert. Hier wird aus der Staatskanzlei auf die notwendige Zweidrittel-Mehrheit verwiesen, die ein Kandidat oder eine Kandidatin vom Rundfunkrat erhalten muss. "Diese dürfte bei mehreren Personen kaum erreichbar sein." Das lässt allerdings außen vor, dass es ja auch mehrere Wahlgänge geben könnte, wenn sich beispielsweise in einer ersten Runde ein Favorit herauskristallisieren sollte. Doch Schleswig-Holstein sieht keinen Bedarf für Anpassungen: "Es hat bei den letzten drei Intendantenwahlen auch immer nur einen Vorschlag gegeben. Dieses Verfahren hat sich bewährt."
Hamburg sieht "Gesprächsbedarf"
Doch es gibt unter den Ländern, die für den NDR zuständig sind, auch andere Rechtsauffassungen. Ein Pressesprecher der Hamburger Behörde für Kultur und Medien teilt gegenüber DWDL.de mit, dass man bei der Auslegung des NDR-Staatsvertrages "Gesprächsbedarf" sehe. Man werde daher auf die anderen Länder zugehen, "um dies kurzfristig zu klären". In einem anderen Land ist man nach DWDL.de-Informationen schon weiter. Dort geht man bereits jetzt davon aus, dass auch auf Basis des aktuellen Staatsvertrages mehrere Personen durch den Verwaltungsrat für das Amt der Intendantin bzw. des Intendanten vorgeschlagen werden können. Man könne sich aber auch eine Präzisierung vorstellen, etwa eine genaue Anzahl an Personen, die der Verwaltungsrat maximal vorschlagen kann.
Das alles kommt für den NDR zur Unzeit. Der Staatsvertrag und seine möglichen Fallstricke sind lange bekannt. Etwaige Unklarheiten hätten im Vorfeld der Intendantenwahl beseitigt werden müssen. Eine kurzfristige Änderung des Staatsvertrages ist nicht ausgeschlossen, angesichts der Anzahl der involvierten Länder aber wohl nicht darstellbar. Und so müssen die Mitglieder des Rundfunkrats demnächst wohl wieder entscheiden, ob sie den Daumen senken oder heben zu der einen Person, die ihnen zur Wahl präsentiert wird. Vielleicht schon am 16. Mai, dann kommt das Gremium zu seiner nächsten regulären Sitzung zusammen.
Führungslos wird der NDR auch bei einem erneuten Scheitern der Wahl nicht sein: Der Vertrag von Joachim Knuth läuft noch bis Mitte Januar 2026. Eigentlich wollte er schon früher in den Ruhestand gehen. Gut möglich, dass daraus aber nichts wird und er bis zum regulären Ende seiner Amtszeit NDR-Intendant bleibt.