Es gebe Licht und Schatten im weitgefächerten Doku-Genre. Die Nachfrage nach Dokumentationen habe sich in den vergangenen Jahren als durchaus stabil erwiesen, konstatiert Arno Schneppenheim, Geschäftsführer von Banijay Productions im Gespräch mit dem Medienmagazin DWDL.de. Und doch gibt es Verschiebungen und das in gleich mehrerlei Hinsicht, wie er zusammen mit seinem Doc.Banijay-Kollegen Marc Schlömer ausführt. Die großen internationalen Streamingdienste seien, abseits weniger Leuchtturmprojekte, aus ihrer Sicht zurückhaltender geworden.
ARD und ZDF hingegen seien weiterhin sehr aktiv im Doku-Bereich und setzen gerade für ihre Mediatheken auf eine Vielzahl von Doku-Stoffen in allen Formen. Bei RTL Deutschland spüre er hingegen eher eine Zurückhaltung im Bereich Doku so Schneppenheim. Die Hoffnung bleibt, dass sich das auch wieder zu Gunsten des Genres verschieben könne in Zukunft. Gute Freunde gefunden hat man unterdessen bei Sky Deutschland. Dort setzt man nach dem Aus der fiktionalen Eigenproduktionen neben Reality a la „Diese Ochsenknechts“ intensiv und mit Erfolg auf Doku-Serien und Dokumentationen.
Für diese Bemühungen wurde der PayTV-Anbieter schon mehrfach etwa mit Nominierungen für den Deutschen Fernsehpreis belohnt. Von der Begeisterung für Dokumentarische profitiert auch Banijay Productions mit Aufträgen: Nach der Dokumentation über Christoph Daum („Daum - Triumph & Skandale“) ist nun eine Dokumentation über Rudi Völler im Dreh, der in wenigen Tagen seinen 65. Geburtstag feiert.
Die Zwischenbilanz, vier Jahre nach Gründung des Labels Doc.Banijay, fällt recht zufrieden aus. „Doc.Banijay hat mittlerweile 18 Doku-Projekte umgesetzt, davon einige in Serie wie ‚Hyped‘ auf RTL+ oder ‚ZDFzoom‘ fürs ZDF. Eine Menge in recht kurzer Zeit“, sagt Schneppenheim. Kollege Schlömer ergänzt: „Wir haben auf organisches Wachstum gesetzt und das ist uns gelungen, wenn wir schon quer durch die Bank für ARD, ZDF, WDR, Sky und Magenta TV produziert haben.“ Bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass der Schwerpunkt der Firma in anderen Genres liegt.
Zurück zum 90-Minüter? Einzelstück schlägt derzeit Dokuserie
Auch Inhaltlich und formell sehen Schneppenheim und Schlömer Veränderungen im Genre. Der Hype um Doku-Serien, insbesondere im True-Crime-Genre, sei zuletzt etwas abgeflaut. Während True Crime gerade in Serienform vor etwa zehn Jahren als Türöffner für den Doku-Boom galt, gibt es nun eine Tendenz zurück zu Einzelstücken. „Wir haben manche Stoffe durchaus als Serie konzipiert, die dann zur Dokumentation wurden, weil die Completion Rate bei einigen Serienprojekten offenbar zu Skepsis bei kommerziellen Auftraggebern geführt hat“, sagt Marc Schlömer. ARD und ZDF seien weiter an Serien interessiert, allerdings mit kürzeren Folgen.
Schlömer: „Wir sind seit mehr als anderthalb Jahren an einer Story dran, in der es um eine Entführung in Deutschland vor Jahrzehnten geht. Aber das Thema Bedarf Zeit, weil es immer auch Rückschläge gibt. Wir haben jetzt alle Protagonisten dabei, bis auf eine Person - aber die wäre der Schlüssel zur Geschichte.“ Bei solchen Themen investiere man als Unternehmen auch vorab, um Recherchen anzustoßen. Während Banijay Productions also auch weiter nach TrueCrime sucht, aber jene Storys und Ansätze erst einmal entdeckt werden müssen, sind derzeit im Markt Biopics gefragter denn je. Bei Banijay Productions bedient man das gerne.
Besonders im Sport seien die dafür nötigen Höhen und Tiefen besonders dicht vertreten, schwärmt Schlömer. Warum jetzt also Rudi Völler? „Seine Karriere ist so einzigartig. Seine Popularität und die Sympathie die ihm entgegenschlägt. Ein Phänomen unserer Zeit, obwohl er ja immer auch sehr deutlich austeilen konnte in seiner Karriere“, sagt der Journalist und Produzent. Es bewahrheite sich der frühere Schlachtruf: „Es gibt nur ein Rudi Völler!“ Einerseits den Zugang zu Protagonisten zu haben, andererseits dabei aber die journalistische Distanz bei solchen Projekten nicht zu verlieren, sei die hohe Kunst.
Im Fokus: Viel Sport, aber nicht nur
Gerade im Bereich Sport gebe es da aber ohnehin Fans, die knallhart urteilen ob eine Dokumentation mit nötiger Tiefe auch die Schattenseiten beleuchte oder aber zu unkritischen Imagefilmen verkommt. Da habe es zuletzt über die deutsche Fußball-Nationalmannschaft beides gegeben. Man müsse schon für die eigenen Prinzipien einstehen, so Schneppenheim. Etwa dann, wenn man einen Verein wie den 1.FC Köln begleitet und dort nicht immer alles rund läuft. Für die Integrität dessen, was Banijay Productions mit seinem vor vier Jahren gegründeten Doku-Label abliefere, stehe stellvertretend Kollege Schlömer.
Eignet sich jetzt jeder ehemalige Fußballer für eine Doku? „Die meisten geben es nicht her“, sagt Arno Schneppenheim. „Die Diskussion haben wir ständig, wenn wir über neue Namen sprechen. Ikke Häßler beispielsweise. Der hat uns 1990 zur Weltmeisterschaft geschossen. Aber inzwischen? Er war im ‚Dschungelcamp‘ und dann kam zuletzt nicht mehr viel. Der Mythos ist verblasst. Es braucht Fallhöhe.“ „Und die hatte zum Beispiel Ansgar Brinkmann, was wir für RTL+ produziert haben. Die hatte auch Christoph Daum und die hat jetzt auch ein Rudi Völler“, ist sich Schlömer sicher. Sogar an Lother Matthäus ist man dran, anders allerdings als es schon einmal kläglich probiert wurde: Er hat vor Jahren einen Fußballclub in Afrika gekauft - dessen Geschichte würden Schneppenheim und Schömer gerne erzählen.
Das Genre Sport mache zwar 35-40 Prozent der Arbeit aus, rechnet Marc Schlömer vor. Doch Doc.Banijay hat mehr als nur Sport auf dem Zettel. Infotainment etwa, da startet in Kürze schon ein neues Format. „Der Bereich Lifestyle ist planbarer: Da kommt am 1. Mai eine neue Produktion von uns, „Retro Battles“ für ZDFinfo, wo wir mit Hilfe der großen Archiven des ZDF fiktive Duelle austragen: Furby gegen Tamagotchi, „Formel 1“ gegen Eurodance und so weiter. Ein gewisser Nostalgiefaktor, mit Einordnung von Experten und Prominenten. Dabei sind u.a. die Wolter-Twins und Aminata Belli“, erzählt Schlömer.
Im Dokumentarischen geht man in Vorleistung
Weitaus ernster wird ein anderes Thema, bei dem Banijay Productions schon investiert hat: Die „Ulmer Schatzkiste“ ist ein Projekt bei dem sterbende Eltern ihren Kindern Filme hinterlassen um das zu sagen, was die noch zu jungen Kinder nicht verstehen würden bevor ihre Eltern aus dem Leben scheiden. Das habe sie fasziniert. „Ein extrem bewegendes Thema, da haben wir schon einige Drehtage hinter uns. Daraus könnten wir sofort eine Dokumentation machen, sind auch mit öffentlich-rechtlichen Sendern im Gespräch. Aber ohne Auftrag sind wir hier erstmal in Vorleistung gegangen, weil wir die Geschichte erzählen wollen“, sagt Arno Schneppenheim.
Dass Schneppenheim, in seiner persönlichen Karriere eher in Show & Comedy zuhause, eine Lust auf das Dokumentarische entwickelt hat, liegt auch an der Chance, mit vergleichsweise kleinem Investment eine Recherche anzustoßen. Loslegen statt auf grünes Licht für teure Studio-Produktionen zu warten, sei eine willkommene Abwechslung. Nur verkaufen müsste sich dann manches der anrecherchierten Themen natürlich auch. Den unternehmerischen Ansatz verfolgte Schneppenheim zuletzt allerdings auch im Entertainment, mit „Mission Unknown“, wo man ebenso in Vorleistung gegangen ist, bevor Prime Video als Partner ins Boot kam.
Doch zurück zur Dokumentation. Ein Projekt liegt Beiden sehr am Herzen. „Wir haben direkt zwei Wochen ach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 angefangen mit Jüdinnen und Juden in Deutschland zu drehen und haben quasi eine Langzeit-Dokumentation gestartet, wo wir schon 14-15 Drehtage auf der Uhr hatten, bevor es uns gelungen ist, die ARD als Partner zu gewinnen. Ob uns das nur mit einer Idee gelungen wäre, weiß ich nicht. Die Vorleistung war entscheidend“, ist sich Marc Schlömer sicher. Die Doku kommt im Juli - in der ARD Mediathek aber auch am Samstagabend vor der „Tagesschau“.
Es gehe um Antisemitismus in Europa und den persönlichen Umgang und Zweifel von Jüdinnen und Juden mit dem politischen Israel und der Kriegsführung der Regierung. „Es sind erschütternde Aufnahmen von Menschen, die seit mehr als anderthalb Jahren immer als Stellvertreter für Israel herhalten müssen“, sagt Schlömer. Hier wie auch bei einer vor zwei Jahren angestoßenen Nachwuchs-Offensive für junge Filmemacherinnen und -Macher will Banijay Productions weiterhin in Vorleistung gehen. Da treffen sich, das spürt man im Gespräch, filmische und unternehmerische Ambitionen.