Die Serie, auf die Amazon-Managerin Nicole Morganti in den kommenden Monaten ihre größten Chips setzt, verspricht jede Menge Action vor sonniger Touristikkulisse. Der Trailer von "Costiera" transportiert Urlaubsstimmung in den dunklen Kongresssaal des Series Mania Forums und lässt durchscheinen, dass man wohl einen leicht ironischen Unterton erwarten darf. Aber dass die Südeuropa-Chefin von Amazon MGM Studios ihr Erzeugnis als "sehr innovativ" bezeichnet, überrascht dann doch.

Bei dem von der italienischen Fremantle-Tochter Lux Vide produzierten Achtteiler handelt es sich um ein gut budgetiertes, vergleichsweise klassisch erzähltes Crime Procedural mit starkem amerikanischen Einschlag: Regisseur Adam Bernstein ("Breaking Bad", "Fargo") inszeniert Jesse Williams (Dr. Jackson Avery aus "Grey's Anatomy") als halb-italienischen Ex-US-Marine Daniel De Luca, der in seine Heimat an der Amalfiküste zurückkehrt, um dort als Problemlöser für die reichen Gäste eines Luxushotels tätig zu werden und nebenbei die entführte Tochter des Hotelbesitzers zu suchen.

Es sei gar nicht so leicht, ein Procedural mit abgeschlossenen Kriminalfällen pro Episode fürs Streaming zu entwickeln, findet Morganti. Das sei man dort schließlich nicht gewohnt. Deshalb eben "sehr innovativ". Und auch, weil die von italienischen Autoren auf Englisch geschriebene Serie in einem "super flexiblen, innovativen Deal" mit Lux Vide entstanden sei, der für Amazon "international skalierbar" sei. Über Italien hinaus hat Prime Video inzwischen die Rechte für die USA, Japan, Großbritannien, Mexiko, Frankreich und Spanien. Alle weiteren Territorien vertreibt Fremantle. Das Wichtigste an "Costiera", so Morganti, sei zu zeigen, dass Südeuropa "Inkubator und Schauplatz für eine internationale Geschichte" sein könne, die auf der ganzen Welt Anklang finde.

Costiera © Prime Video Action vor sonniger Kulisse: "Costiera" kommt zu Prime Video
Unter den Ankündigungen der großen Streaming-Anbieter in Lille ist "Costiera" nur eines von etlichen Beispielen dafür, wie man mit deutlich weniger Risiko und Investment als in den Boomjahren dennoch möglichst viel Buzz erzeugen und ein möglichst breites Publikum erreichen will. Alte Glaubenssätze der Plattformen hinsichtlich globaler Rechte, lokaler Verortung oder zum TV-Mainstream komplementärer Genres fallen dabei zusehends über Bord. Besonders der französische Markt gibt einen Vorgeschmack auf die neue Flexibilität bei Koproduktionen und Windowing: Für Netflix, Prime Video, Disney+ und Max ist es dort bereits viel selbstverständlicher, gemeinsam ausgewertete Serien mit dem privaten oder öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu teilen.

So stellte der private TV-Marktführer TF1 am Donnerstag die aufwendige Historienserie "Montmartre" vor, die seit November im Dreh ist und ihre Premiere bei Disney+ erleben wird. Produziert von der Banijay-Tochter Authentic Prod, erzählt der Achtteiler mit französischer Starbesetzung aus dem Nachtleben in der Pariser Cabaret-Szene des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Mit Netflix wiederum teilt sich TF1 künftig ein Genre, das für lineare Sender altbekannt sein mag, für Streamer jedoch noch Innovationspotenzial birgt – eine Daily Soap. Die Dreharbeiten zu "Tout pour la lumière" haben Anfang März an der Mittelmeerküste bei Marseille begonnen. Erzählt werden die Schicksale junger Tanz- und Gesangstalente, die an einer Musikakademie studieren; zum Cast gehören manche Ex-Kandidaten des französischen "The Voice". Für die erste Staffel sind 90 Folgen geplant, die zuerst bei Netflix laufen werden und jeweils fünf Tage später dann auf TF1 sowie dessen AVoD-Plattform TF1+. Produzent ist der Soap-Spezialist Studio TF1 (ehemals Newen Studios), der beim Muttersender schon drei tägliche Serien auf Sendung hat.

Dazu passt auch das strategische Ziel, das Amazon-Managerin Morganti für Prime Video vorgab: Man wolle die Zuschauerbindung lückenlos optimieren, um Churn zu vermeiden, und noch mehr speziell für jüngere Frauen programmieren. Nach den internationalen Erfolgen von "Culpa Mia" und "Maxton Hall" heißt das für Amazon natürlich vor allem Young bzw. New Adult – nach wie vor ein "Riesending für uns", so Morganti. In Italien wird gerade "Love Me, Love Me", das erste Buch einer populären Romantrilogie der E-Book-Plattform Wattpad, verfilmt. Die laufenden Dreharbeiten nimmt man zum Anlass, die europäischen Fictionteams von Amazon MGM Studios nächste Woche bei einem gemeinsamen Young-Adult-Workshop in Rom einzuschwören.

Aus amerikanischer Studiosicht sind die europäischen Märkte derweil stark gefragt, auch weil sich hier vergleichsweise günstig produzieren lässt. "Big commercial shows", vornehmlich in englischer Sprache und für ein globales Publikum, sollten es sein, gab etwa Lindsey Martin, Chefin der internationalen Koproduktionen bei CBS Studios, zu Protokoll. Und lieferte gleich ein Beispiel dafür, wie sich eine ursprünglich lokal angelegte Nordic-Noir-Serie entsprechend aufmotzen lässt: CBS Studios stieg bei der isländischen Romanverfilmung "The Darkness" ein, die bei Drehstart lediglich den lokalen Sender Síminn an Bord hatte, engagierte das Superstar-Ehepaar Lena Olin (für die Hauptrolle der frühpensionierten Ermittlerin) und Lasse Hallström (Regie), ließ auf Englisch drehen und finanzierte das Defizit. Die Wette ist aufgegangen: Auf der Series Mania konnte Paramount Global Content Distribution vermelden, dass Channel 4 die Serie für Großbritannien gekauft hat, wie zuvor schon SkyShowtime für weite Teile Nord-, Süd- und Osteuropas.

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