Für Lizenzhändler und Programmeinkäufer aus aller Welt ist der Abstecher ins nordfranzösische Lille schon seit längerem fester Bestandteil des Frühjahrskalenders. Der frühzeitige Zugriff auf neue Serienprojekte hat sich für so viele Anbieter zum strategischen Erfolgsfaktor entwickelt, dass der Marktteil der Series Mania auch dann noch weiter wuchs, als die Zahl der Produktionen spürbar zurückging. Zumindest für jene, die das Festivalteam als "Top-Einkäufer" einstuft, dürfte sich der Trip dieses Jahr noch ein bisschen mehr lohnen.

Mit dem "Buyers Upfront" hat die Series Mania einen neuen Tag für die Branche eingerichtet, bei dem die 100 wichtigsten Sender- und Streamervertreter exklusiven Zugang zu zehn Projekten mit internationalem Appeal erhalten sollen. Nur auf Einladung bekommen sie am heutigen Montag – einen Tag, bevor das Series Mania Forum offiziell beginnt – in der historischen Handelskammer von Lille jeweils zwölf Minuten First-Look-Material pro Serie zu sehen. Die zehn Projekte habe man sowohl nach "künstlerischem Wert" als auch "breiter Publikumsansprache" ausgewählt, teilte das Festival mit.

Aus Deutschland dürfen sich gleich drei neue Serien rühmen, dabei zu sein. OneGate Media, die Vertriebstochter von Studio Hamburg, stellt den Politthriller "Dangerous Truth" vor, der hierzulande unter dem Titel "Das zweite Attentat" am 2. April in der ARD-Mediathek anläuft. Die Koproduktion von Eikon Media und Désirée Nosbuschs Deal Productions basiert auf realen Geschehnissen rund um die Irak-Invasion der USA im Jahr 2003. Beta Film, das den "Buyers Upfront" auch mit seinem auf der MIP legendär gewordenen Beta-Brunch eröffnet, hat "Shadow Leaks" im Gepäck – die von Dreamtool Entertainment produzierte Verfilmung von Jonas Ems' Young-Adult-Bestseller "Schattenseite" für die ARD-Mediathek. Fremantle wiederum gibt erste Einblicke in die von Constantin Television produzierte Nibelungen-Fantasy "War of the Kingdoms", die hierzulande als "Die Nibelungen – Kampf der Königreiche" bei RTL+ laufen wird.

Riot Women © Drama Republic Zeit für Revolte: Serien-Einkäufer bekommen Sally Wainwrights neue Serie "Riot Women" beim "Buyers Upfront" der Series Mania zu sehen
Nimmt man weitere hochkarätige Projekte aus dem "Buyers Upfront" hinzu – etwa Sally Wainwrights neue BBC-Serie "Riot Women", vertrieben von Mediawan, oder den isländischen Thriller-Sechsteiler "Fusion", koproduziert und vertrieben von Wild Sheep Content, der Firma des früheren Netflix-Managers Erik Barmack – so zeigt sich ein klarer Trend in Sachen Finanzierung: Die Macher europäischer High-End-Serien setzen zunehmend darauf, jeweils ein paar lokale Sender innerhalb Europas für Koproduktionen oder Vorabverkäufe zu gewinnen, ohne einen deutlich schwieriger gewordenen US-Streaming-Deal abzuwarten. Letzterer ergibt sich, wenn überhaupt, in einem späteren Stadium als noch zu Zeiten allseits sprudelnder Kassen – für den einen oder anderen möglicherweise in Lille.

Während zur Fachkonferenz in den kommenden Tagen rund 4.500 Branchenbesucher aus über 70 Ländern erwartet werden, kann das Festival einen neuen Einreichungsrekord verzeichnen: 418 Serien aus 56 Ländern wurden gesichtet, um das Programm mit letztlich 48 Premieren aus 19 Ländern – darunter 26 Weltpremieren – zusammenzustellen. "Zwischen Geopolitik und Intimität" sei das diesjährige Spektrum polarisiert, sagt Series-Mania-Direktorin Laurence Herszberg. Wenn es in "The German" (USA/Israel) um die Jagd auf NS-Verbrecher in den 70ern gehe, in "A Life's Worth" (Schweden/Frankreich) um die UN-Friedensmission im Ex-Jugoslawien der 90er oder in "The Deal" (Frankreich/Schweiz) um die Nuklearverhandlungen mit dem Iran 2015, dann sei es oftmals schwer zu sagen, ob die Serien nun "unsere Vergangenheit heraufbeschwören und uns dazu bringen wollen, uns zu erinnern", oder ob sie "unsere Gegenwart herausfordern und Klarheit verlangen".

Etliche Serien dieses Jahrgangs stellen zeitgenössische Themen zudem in den Mikrokosmos der Familie – von Vergewaltigung in der Ehe in "Querer" (Spanien) bis zur Weitergabe verdrängter Traumata über Generationen hinweg wie Kindermord in "Generations" (Dänemark) oder väterliche Depressionen in "Hal & Harper" (USA). Als einziger deutscher Wettbewerbsbeitrag tritt in der Shortform-Kategorie das Fantasy-Drama "Wingspan" von der jungen Potsdamer Produktionsfirma Arkanum Pictures an. Henriette Confurius spielt darin eine Psychotherapeutin, die ganz oben in einem verglasten Wolkenkratzer praktiziert und schwerpunktmäßig Patienten behandelt, die fliegen können. Die Low-Budget-Produktion wurde ohne Sender finanziert, vom Medienboard Berlin-Brandenburg mit knapp 600.000 Euro gefördert und entstand mit der Virtual-Production-Technologie im Studio Babelsberg, die ursprünglich für die Netflix-Serie "1899" entwickelt worden war.