Die ersten Tage und Wochen der Corona-Pandemie im März 2020 dürften wohl vielen Menschen noch in guter bzw. schlechter Erinnerung sein. Das gilt umso mehr für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ORF: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Österreich schickte in den ersten Wochen der Pandemie 242 Mitarbeitende an allen Standorten in Isolation, um die eigene Sendefähigkeit aufrechtzuerhalten. 

Im deutschsprachigen Raum und mutmaßlich in ganz Europa war der ORF damit eine Ausnahmeerscheinung. In Österreich übernachteten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Senders in ihren Büros, teilten sich mit ihren Kollegen Gemeinschaftsduschen und lebten so für mehrere Wochen hinweg in Schichten auf dem ORF-Gelände. Kein anderer Sender in Deutschland, Österreich oder der Schweiz machte das so. In Österreich konnten dafür alle ORF-Sendungen wie geplant stattfinden. Nur: In Deutschland und der Schweiz eben auch. 

"Ob das notwendig ist, erweist sich erst im Nachhinein", sagte Kommunikationswissenschaftler Fritz Hausjell im März 2020 in einem "Thema"-Bericht des ORF, als es um die Maßnahmen des Senders ging. Heute ist klar: Es wäre wohl auch ohne die umfassende Isolation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegangen. Das konnte damals natürlich niemand wissen. Doch wie bewertet man diese Maßnahme beim Unternehmen mit fünf Jahren Abstand? 

In Sachen Corona war der ORF rigoros

Auf DWDL.de-Anfrage will sich der ORF zur Isolation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Frühjahr 2020 nicht äußern. Ein Unternehmenssprecher teilt aber generell mit: "Die Corona-Pandemie hat ganz Österreich und damit auch den ORF vor große Herausforderungen gestellt. Es galt, jedenfalls die Sendefähigkeit während der Pandemie aufrechtzuerhalten, um weiterhin die Bevölkerung unabhängig informieren zu können. Auch hier gilt: nicht alle Maßnahmen erwiesen sich nachträglich als zweckmäßig." Als öffentlich-rechtlichem Medium sei dem ORF sowohl besonders am Anfang der Corona-Pandemie, aber auch in den vergangenen Jahren, während verschiedener anderer Krisen, eine "zentrale Rolle als Informations- und Service-Plattform" zugekommen. "Der ORF hat immer versucht, möglichst umfassend zu berichten und dabei auch alle relevanten Stimmen zu Wort kommen zu lassen."

Auch über die Isolation der eigenen Mitarbeitenden hinaus galt der ORF in Sachen Corona als rigoros. Als ein Mitarbeiter den Isolationsbereich im Landesstudio Vorarlberg verbotenerweise betreten hatte, wurde er zunächst fristlos entlassen. Später einigten sich die beiden Seiten und die fristlose Entlassung wurde in eine Auflösung des Dienstverhältnisses umgewandelt. Der Mitarbeiter gab damals übrigens an, er habe wie immer eine Sendung produzieren wollen - der Senderaum lag nur eben im Isolationsbereich. Der Redakteursrat des Senders stellte sich damals auf die Seite des Mitarbeiters. 

"Der ORF hat immer versucht, möglichst umfassend zu berichten und dabei auch alle relevanten Stimmen zu Wort kommen zu lassen."
ORF-Sprecher


Aber auch inhaltlich gab und gibt es Kritik an der Corona-Berichterstattung des ORF. Diese nehme man "selbstverständlich sehr ernst", heißt es vom ORF-Sprecher gegenüber DWDL.de. ORF-Generaldirektor Roland Weißmann zeigte sich zuletzt in Interviews selbstkritisch. Mit Corona sei die Akzeptanz des ORF auf einen Tiefpunkt gesunken. "Wir wollen fünf Jahre danach darüber reden: Was sind die Lehren daraus? Aber auch: Haben wir alles richtig gemacht?", so Weißmann, der ankündigte, die eigene Berichterstattung hinterfragen und reflektieren zu wollen. Die vom ORF durchgeführte Impflotterie bezeichnete der ORF-Chef bereits als "Fehler"

Mediale Berichterstattung zu wenig kritisch

An der Berichterstattung des ORF und anderer Medien wurde etwa kritisiert, dass sie zu lange im Gleichschritt mit der Bundesregierung erfolgt sei. So sei zu wenig hinterfragt und zu viel einfach nur verlautbart worden - und das auch über die erste heiße Phase im März 2020 hinweg. Ein hörenswertes Stück Aufarbeitung hat der ORF zuletzt in Form des Podcasts "Doublecheck" geliefert. Da wurde etwa deutlich, wie sehr die Medien versagt haben, als es darum ging zu erklären, dass die Impfung vor schweren Erkrankungen schützt, nicht aber vor Übertragungen - vor allem ab dem Zeitpunkt, an dem die Omikron-Variante auftauchte. 

Roland Weißmann © ORF/Roman Zach-Kiesling Roland Weißmann
In dem Podcast war ORF-Generaldirektor Roland Weißmann auch mit folgenden Worten zu hören: "Es soll niemand von einer anderen Meinung überzeugt werden. Uns geht es darum, dass man miteinander spricht und sich gegenseitig wieder zuhört." Er warb dafür, wieder "ein bisschen Verständnis für den anderen" zu haben und miteinander zu reden. Man müsse die während Corona entstandene Spaltung überwinden. 

Dass das aber auch im eigenen Haus ganz schnell falsch verstanden werden kann, stellte der ORF Niederösterreich nur kurze Zeit später unter Beweis. So musste man dort kürzlich eine geplante Corona-Diskussionsveranstaltung absagen, weil sowohl der eingeladene Virologe als auch der zunächst angekündigte Intensivmediziner absagten, als ihnen klar wurde, dass sie mit einem bekannten Corona-Leugner und Verschwörungstheoretiker, der in der Vergangenheit auch immer wieder über einen angeblichen "Great Reset" fabulierte, an einem Tisch sitzen sollten.

Viel schlimmer noch als die geplante Runde ist vielleicht die Reaktion des ORF Niederösterreich. Von dort hieß es, man bilde bei jedem Thema "ein möglichst breites Meinungsspektrum ab". Aktivistinnen und Aktivisten nicht einzuladen, hätte das Format "ad absurdum geführt", so der ORF. Als das Thema journalistisch aufbereitet wurde, erklärte Alexander Hofer, Landesdirektor des ORF in Niederösterreich, es sollten an dem Abend Meinungen ausgetauscht werden - "keine Fakten". Im gleichen Beitrag warf der bereits erwähnte Verschwörungsideologe dem Virologen und dem Intensivmediziner, die abgesagt hatten, vor, vor Fakten-Diskussionen wegzulaufen. Über seine Social-Media-Kanäle wollte er zuvor noch seine Anhänger zur Teilnahme an der Veranstaltung mobilisieren - und warb dafür, "die richtigen Fragen zu stellen" und "die wesentlichen Fakten zu nennen". 

Falsch verstandene Aufklärung

Bei dieser hemdsärmeligen Planung eines mutmaßlich so wichtigen Abends ist es letztlich wohl die beste Entscheidung gewesen, die Veranstaltung abzusagen, auch wenn man damit nun eben jenen Verschwörungsideologen in die Karten spielt, mit denen man eigentlich sprechen wollte. Eine kritische Aufarbeitung und Selbstreflexion der Sache durch den ORF ist sehr löblich. Aber vielleicht gibt es ja doch einen kleinen aber feinen Unterschied, ob man mit Kritikern von Maßnahmen und Betroffenen spricht, oder mit Personen, die in den vergangenen Jahren mit kruden Thesen aufgefallen sind und die seit den großen Corona-Demos auch in den Blick des Verfassungsschutzes geraten sind. 

Im Fernsehen läuft anlässlich des ersten Corona-Lockdowns im März 2020 seit einigen Tagen ein Schwerpunkt in ORF 2. Am vergangenen Sonntag war am späten Abend der Dokumentarfilm "Stillstand" von Nikolaus Geyrhalter zu sehen, einen Tag später hatte man sich auch in der Magazin-Sendung "Thema" mit Corona beschäftigt. Am heutigen Dienstag, den 18. März, hebt man die Debatte auch in die Primetime. In "Stöckl live" sprechen verschiedene Personen über die sozialen und gesundheitlichen Auswirkungen und darüber, ob und wie die Pandemie ihr Leben nachhaltig geprägt hat. Direkt im Anschluss gibt’s eine Spezial-Ausgabe des eigentlich am Sonntagabend beheimateten Talk-Formats "Das Gespräch" zu sehen, zu Gast ist hier unter anderem der ehemalige Gesundheitsminister Rudolf Anschober. 

Den Abschluss des Corona-Schwerpunkts in ORF 2 bildet am kommenden Freitag eine Spezial-Ausgabe der Wissenschaftssendung "Mayrs Magazin" mit Journalist Günther Mayr, der während der Corona-Hochphase sehr präsent im ORF-Programm war. Schon zuvor führte übrigens Armin Wolf in der reichweitenstarken Nachrichtensendung "ZiB 2" ein Interview mit dem auch über die deutschen Grenzen hinweg bekannten Virologen Christian Drosten, auch darin ging es nochmal um frühere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und die Frage, ob Kritikerinnen und Kritiker von damals nicht doch recht gehabt hätten, wenn man sieht, wie gefährlich Corona heutzutage ist. 

Apropos Armin Wolf: Der vielleicht bekannteste Journalist des ORF begab sich im März 2020 auf dem Wiener Küniglberg ebenfalls in Isolation. "Wir sind etwas über 60 Menschen, aber die Stimmung ist ausgezeichnet und der Teamgeist toll. Ich habe hier noch nie ein ungutes Wort gehört. Im Alltag ohne Isolation geht es mitunter deutlich rauer zu", sagte der Journalist damals im DWDL.de-Interview. Wolf erzählte damals auch davon, wie sehr sich die Arbeit im Team verändert habe. "Die gesamte ZiB2-Redaktion unterhält sich seit Wochen nur mehr via Skype-Konferenz, niemand trifft sich physisch - und ich hoffe, dass nichts davon die Krise überlebt", sagte er. 

Wer das heute liest, merkt, wie lange die ersten Corona-Wochen mittlerweile zurückliegen. Vor etwas mehr als zwei Wochen kündigte Microsoft das Aus der Videotelefonie-App Skype an, bereits im Mai ist Schluss.

In den kommenden Tagen blicken wir in weiteren Texten und Interviews auf die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen auf die Branche zurück.