Wenn TV-Talker Frank Plasberg vor einigen Jahren in seiner Sendung im Falle strittiger Aussagen seiner Gäste auf den "Faktencheck" verwies, dann reichte es meist, wenn die Antworten am nächsten Mittag veröffentlicht wurden. Inzwischen ist die Welt eine andere - und auch die Geschwindigkeit, mit der sich Behauptungen verbreiten. Wer etwa einige der jüngsten Auftritte von AfD-Chefin Alice Weidel in den zahlreichen Debatten zur Bundestagswahl sah, dem konnte angesichts der Vielzahl an Falschbehauptungen beinahe schwindelig werden.
Tatsächlich stellt es ein echtes Problem dar, dass Unwahrheiten vor einem Millionenpublikum oft ungefiltert geäußert werden, die Klarstellung und Einordnung aber erst mit einiger Verzögerung im Netz erfolgt. Eine mindestens unglückliche Strategie verfolgte jüngst der "Stern", der seinen "Faktencheck" zum bei RTL und ntv ausgestrahlten "TV-Quadrell" zu einem späteren Zeitpunkt nach der Ausstrahlung hinter einer Paywall versteckte. Auf diese Weise dürfte allenfalls ein kleiner Teil des Millionenpublikums von den Richtigstellungen Notiz genommen haben.
Dabei sind die Erwartungen vieler Zuschauerinnen und Zuschauer an derartige Faktenchecks gestiegen. Vor wenigen Wochen forderte eine Petition von ARD und ZDF gar einen Live-Faktencheck während der TV-Debatten der Kanzlerkandidaten. Frederic Huwendiek, Leiter der Online-Nachrichtenredaktion des ZDF, war zunächst skeptisch, wie er gegenüber DWDL.de einräumt. "Faktenchecks müssen präzise sein", sagt er. Und doch sei er eines Besseren belehrt worden. "Man kann Fakten live checken - oder zumindest fast live." Wichtig seien jedoch zwei Dinge: Viel (Fach-)Personal und eine sehr gute Vorbereitung.
Zu den wichtigen Wahlsendungen, etwa dem "Duell", "Klartext" oder der gerade ausgestrahlten "Schlussrunde", hat der Sender daher eine große, redaktionsübergreifende Crew zusammengestellt, der Mitarbeitende von "Frontal" und der Wirtschafts- und Rechtsredaktion, aber auch Kolleginnen und Kollegen aus den Inlandsstudios und dem Archiv angehören - zusätzlich zum sogenannten Check-Kernteam, das in der Online-Nachrichtenredaktion angesiedelt ist. "Die haben zu vielen Aspekten, bei denen sie erwartet haben, dass sie Thema in der Sendung werden könnten, vorab schon die Fakten und Zahlen vorbereitet und Experten angefragt", erläutert Huwendiek und nennt als Beispiel das viel diskutierte Thema Migration. "In der aktuellen politischen Debatte war es ziemlich wahrscheinlich, dass Zurückweisungen an der Grenze besprochen werden würden. Die juristische Antwort, ob das möglich ist, konnten wir vorab recherchieren", erklärt er. "So konnten wir häufig schon wenige Minuten nach der Aussage eines Politikers in unserem Liveblog zur Sendung einen ersten Check, eine erste Einordnung bieten."
Antworten boten ein Liveblog, ein Online-Only-Livestream sowie ein textlicher Faktencheck, der schon kurz nach dem Sendungsende erschien. Die Bilanz kann sich sehen lassen: Alleine der "ZDFheute live"-Stream zur "Klartext"-Sendung sei bei YouTube mehr als 1,9 Millionen Mal aufgerufen worden, sagt Huwendiek.
"Ohne eine geteilte Faktengrundlage wird vieles schwierig in einer demokratischen Gesellschaft."
Klar ist aber auch: Ein solcher Aufwand dürfte im Tagesgeschäft kaum auf Dauer zu betreiben sein. Und doch sieht Huwendiek auch sein Kernteam, in dem verschiedene Expertisen zum Checken der Fakten zusammenkommen, gut aufgestellt. Neben Menschen mit Kenntnissen in investigativer Recherche und Open-Source-Intelligence-Methoden arbeiten hier auch russisch- und arabischsprachige Kolleginnen und Kollegen. Ihre Aufgabe ist es zu erkennen, ob es viral gegangene Desinformation oder Politiker-Aussagen gibt, die auf den Prüfstand gestellt werden müssen. "In vielen Fällen liefern sie nicht nur Checks, sondern Kontext zu Debatten, erklären Hintergründe, machen eigene Recherchen", betont Frederic Huwendiek gegenüber DWDL.de. "Das ist schon seit der Corona-Zeit so."
Die Zukunft dürfte für Faktenchecker weitere Herausforderungen mit sich bringen - gerade im Hinblick auf das angekündigte Factchecking-Aus von Meta in den USA. Noch seien die europäischen Angebote zwar ausgenommen, "die Attacken von Trump, Zuckerberg & Co. auf angeblich 'politisch voreingenommene' Faktenchecks sind aber nicht folgenlos, sondern verfangen an manchen Stellen, bringen sie in Misskredit", stellt der Leiter der ZDF-Online-Nachrichtenredaktion fest. Davon abgesehen dürfe Factchecking aber "nicht als kleinliches Erbsenzählen, als oberlehrerhaftes Besserwissertum wahrgenommen werden", sagt er. "Wir verteilen ja keine Schulnoten! Es geht doch darum, dass sich die Menschen ein eigenes Bild machen können – aber eben auf der Grundlage von gesicherten Fakten."
Doch was, wenn sich viele Menschen selbst von Fakten nicht mehr beeindrucken lassen? "Ohne eine geteilte Faktengrundlage wird vieles schwierig in einer demokratischen Gesellschaft", betont Frederic Huwendiek. "Ich bin davon überzeugt, dass wir viele Menschen erreichen können, wenn wir sachlich, unaufgeregt und nahbar berichten, gut erklären, wie wir zu unseren Schlüssen kommen."