Wer sich in der Silvesternacht fragte, ob er einem popkulturellen Phänomen beiwohnte oder bloß einem "TV total"-würdigen Versprecher, kann seit Mitte Januar sicher sein: Dass Andrea Kiewel Ski Aggu versehentlich als "Ski Augli" titulierte, hat längst Eingang in die höchsten Weihen des Deutschrap gefunden. Shirin David und Ski Aggu stellten den entsprechenden Ausschnitt aus der ZDF-Show "Willkommen 2025" als Intro vor ihr offizielles Musikvideo zur gemeinsamen Single "Atzen & Barbies". Allein auf YouTube wurde der Clip bislang 1,2 Millionen Mal abgerufen, der Song ist auf Platz drei der aktuellen deutschen Single-Charts eingestiegen.
Wie der Versprecher zustande kam, kann der Produzent der Show auflösen: Kiewel hatte Christoph Post bei der Moderationsbesprechung am Tag zuvor nach dem richtigen Namen des Rappers gefragt. Dass der mit bürgerlichem Vornamen August heißt, hatte sich dann wohl bei ihr eingenistet. Noch bemerkenswerter war freilich der Umstand, dass die zwei derzeit angesagtesten deutschen Musikstars überhaupt zum Jahreswechsel live im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auftraten – David mit einem knapp halbstündigen Set kurz vor Mitternacht, Aggu als Überraschungsgast, um die Kollaboration der beiden erstmals öffentlich vorzustellen. Ein vorläufiger Höhepunkt in Posts Verjüngungsstrategie für die Silvestersause am Brandenburger Tor, die er seit 2019 produziert und die dem ZDF diesmal 22,0 Prozent Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen einbrachte.
"Ein echter Durchbruch war die Entdeckung der letzten halben Stunde vor Mitternacht", so Post im Gespräch mit dem Medienmagazin DWDL.de. "In dieser Zeit gehen die Einschaltquoten rasant nach oben, was ja auch verständlich ist: Jeder möchte wissen, was am Brandenburger Tor los ist, und auch die genaue Uhrzeit sehen, damit man den Jahreswechsel nicht verpasst. In konkreten Zahlen heißt das sieben bis acht Millionen Zuschauer. Mit dieser Reichweite und dem Versprechen, auch inhaltlich einen coolen Auftritt umzusetzen, haben wir die größten aktuellen deutschen Musikstars angesprochen, um diese 'Show in der Show' zu spielen."
Dass Post überhaupt ans große Silvester-Event kam und seine Produktionsfirma schließlich durch eine aufreibende Transaktion bringen musste, hat mit den ebenso hochfliegenden wie jäh gescheiterten Börsenambitionen von Georg Koflers E-Commerce-Konzern Social Chain AG zu tun. Post und Hoppe hatten 2014 gemeinsam mit Kofler und dessen Schwager Holger Hansen die Keimzelle der späteren Social Chain gegründet – die Glow Media Group, ein früher Player im Influencer-Marketing, der mit der "Glow Convention" eine groß angelegte Beauty- und Lifestyle-Messe für Teenager etablierte. 2016 gliederten Post und Hoppe die DEF Media in das Wachstumsunternehmen ein.
Aufgrund der quasi nationalen Bedeutung dieses Platzes in der Silvesternacht war es wichtig, dass das Tor nicht dunkel blieb.
Christoph Post, Geschäftsführer von DEF Media und BfS Berlin feiert Silvester
Eine Zeit lang schien es, als ließe sich das Zusammenspiel von klassischer Content-Produktion mit Social Media und Live-Events problemlos skalieren. So übernahm man im November 2019 – zu einem Zeitpunkt, als Social Chain noch kräftig in Akquisitionen investierte – die SIB Silvester in Berlin Veranstaltungen GmbH, jene Gesellschaft, die seit 1995 das alljährliche Großevent mit Konzert, Feuerwerk und Festmeile zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor ausrichtete. Verkäufer war der Kongressveranstalter und WM-"Fanmeilen"-Erfinder Willy Edwin Kausch. Post wurde neuer SIB-Geschäftsführer – und damit sowohl Veranstalter als auch Show-Produzent von Europas größter Silvesterparty. Was jedoch wenig später folgte, war bekanntlich eine globale Pandemie.
"Es war natürlich überhaupt nicht möglich, Fortschritte anzugehen, sondern wir hatten klassisches situatives Krisenmanagement zu bewerkstelligen", erinnert sich Post. "Aufgrund der quasi nationalen Bedeutung dieses Platzes in der Silvesternacht war es wichtig, dass das Tor nicht dunkel blieb, sondern ein Zeichen des Lebens ausgesendet wurde, besonders im ersten Covid-Jahr, als sämtliche Aufeinandertreffen mit mehr als vier Menschen verboten waren." Erst seit 2023 kann die Open-Air-Veranstaltung wieder mit bis zu 65.000 Besuchern stattfinden. Posts Truppe entwickelte mit "Celebrate at the Gate" eine neue Marke, um das Event griffiger darzustellen, ebenso ein modernes Gastronomiekonzept mit zahlreichen Streetfood-Ständen. Durch die Installation von "Stimmungsinseln" mit eigenem Programm wurde das Erlebnis auch für weiter von der Hauptbühne entfernte Besucher verbessert.
"Inhaltlich haben wir als DEF natürlich die Weiterentwicklung der TV-Übertragung im Fokus gehabt", so Post. "Während die ZDF-Sendung in den Jahren zuvor eher einem abgefilmten Stadtfest glich, haben wir kreativ eine sehr moderne Showproduktion entwickelt, die mit den großen ZDF-Musikshows mithalten kann." Das Resultat: Auch junge, angesagte Popstars wie Ayliva, Alice Merton, Bausa, Kamrad oder eben Shirin David und Ski Aggu sagten plötzlich zu, während vorher meist Oldies und einschlägige Partyhit-Lieferanten das Line-up dominiert hatten. Zeitgleich zu dieser erfreulichen Tendenz sah Post sich allerdings verstärkt an der unternehmerischen Front gefordert.
Die Konzernmutter beider Firmen brach im Juli 2023 unter der Kombination aus Überschuldung und nicht funktionierenden Geschäftsmodellen zusammen und schlitterte in die Insolvenz. Mit ihr die SIB, die sich nicht mehr erhalten ließ und im Oktober 2023 ebenfalls ins Insolvenzverfahren musste – zwei Monate vor Silvester. Im Hintergrund wirkte Post an einer schnellen Neuaufstellung mit: Der Berliner Konzertveranstalter DEAG Deutsche Entertainment AG stieg kurzfristig in die Verträge mit der Stadt Berlin und dem ZDF ein. Seither führt Post zusammen mit DEAG-Manager Benedikt Alder die Geschäfte der eigens gegründeten DEAG-Tochter BfS Berlin feiert Silvester GmbH.
Seine eigene Produktionsfirma konnte Post hingegen aus dem Social-Chain-Schlamassel retten: Im September 2023 kauften er und Daniel Zobel die DEF Media aus der Insolvenzmasse heraus und halten seitdem jeweils 50 Prozent der Anteile. Zobel war knapp 20 Jahre als Producer und Realisator von Formaten wie "Popstars", "Die Super Nanny", "Das Supertalent", "Germany's Next Topmodel" oder "Let's Dance" tätig, ehe er 2022 als Executive Producer und Development-Chef bei DEF Media anheuerte. Dort betreute er etwa "Die Hitwisser" für Vox oder "Music Impossible" für ZDFneo. Seit dem unternehmerischen Einstieg fungiert er neben Post als Produzent.
Dass "Celebrate at the Gate" bzw. "Willkommen 2026" auch dieses Jahr abschließen wird, steht schon fest, und die Planungen haben bei BfS und DEF bereits begonnen. Mit Arte laufen dem Vernehmen nach Gespräche über eine mögliche Fortsetzung der Konzertreihe "Musicverse", die Post und Zobel im Juni 2024 im Berliner Zeiss-Großplanetarium produziert hatten. Zur Live-Musik von Alice Merton, Mogli, Asgeir und Orbit hatten dabei Studierende der TU Berlin und der HTW Berlin KI-generierte Visualisierungen auf die 360-Grad-Kuppel des Planetariums projiziert, um so ein immersives Erlebnis zu schaffen. Weitere Ideen seien in der Mache, sagt Post, der wie viele andere Produzenten auch die "gegenwärtige Zurückhaltung der Sender bei Auftragsvergaben" beklagt, aber dennoch optimistisch aufs neue Jahr blickt. Wer so viel unternehmerischen Mut bewiesen hat, den kann wohl so leicht nichts unterkriegen.