"Es gibt bekanntlich die alte Regel, die wir alle gelernt haben: Wenn ein Journalist jemanden befragt, siezt er seinen Gesprächspartner, um die nötige Distanz zu wahren. Dafür gibt es auch gute Gründe. Gerade im Sportjournalismus entstehen somit aber auch Situationen, die sich sehr künstlich anfühlen. Da siezen sich Personen, die im echten Leben 'Du' zueinander sagen. Das wirkt unnatürlich und kann für einen gegenteiligen Effekt sorgen", berichtet er. Das Siezen sei dann nicht förderlich für den Gesprächsfluss, etwa wenn der Angesprochene trotzdem bei den Antworten auf das "Du" wechselt, was in unterschiedlichen Situationen vor und nach Spielen immer wieder zu beobachten ist.
Nun sieht Rösner also die Zeit reif, mit den starren alten Gepflogenheiten aufzuräumen. "Schon vor zehn Jahren haben bei meinem alten Arbeitgeber ProSiebenSat.1 alle Mitarbeiter inklusive der Praktikanten den Vorstand geduzt. Sky als internationales Unternehmen, in dem auf Führungsebene viel englisch gesprochen wird, duzt ohnehin. Und wenn das inzwischen auf Business-Ebene völlig normal geworden ist, wird das auch im Sportjournalismus funktionieren", sagt Rösner, der zugleich klar stellt: "Es gibt bei Sky kein Duz-Gebot, aber das Verbot ist eben aufgehoben." Die Reporter sollen ihr Gegenüber also so ansprechen, wie sie es eben auch abseits von Kameras täten.
Ganz ähnlich macht das übrigens auch Sport1. Dort gäbe es, sagt Stefan Thumm, Mitglied der Chefredaktion und Director Talk, keine Vorgabe in Sachen Du oder Sie. "Entscheidendes Kriterium ist für uns die Authentizität: Wenn unsere On-Air-Protagonisten per du sind mit einem Gast, wird er auch in der Sendung geduzt – genau so verhält es sich beim Siezen." Und gerade bei der nicht selten launigen Runde im "Doppelpass" würde es mitunter auch vorkommen, dass noch kurz vor der Sendung das Du angeboten würde.
"Bei all unserer Leidenschaft und Begeisterung für den Sport, wir sind als Medienschaffenden in Interviewsituationen keine Bewunderer oder Fans."
Karl Valks
Auch bei RTL bleibt es beim "Sie". Ivo Hrstic, Sport-Ressortleiter von RTL, findet: "Unabhängig von der Bekanntschaft der Gesprächspartner gilt in der Sportberichterstattung von RTL/ntv in der Regel das ‚Siezen‘. Journalistische Distanz und Objektivität müssen grundsätzlich gewahrt bleiben. Schließlich hinterfragen wir Sportler und Verantwortliche gleichermaßen kritisch. Distanz und Professionalität schließen letztlich nicht aus, dass ein Gespräch auch trotzdem persönlich sein kann.“
Flexibilität bei DAZN und dem ZDF
Ähnlich flexibel wird die Ansprache beim ZDF gehandhabt, wie Sportchef Yorck Polus DWDL erzählt. Beim ZDF bleibe das "Sie" in den "Sportstudio"-Sendungen der relevante Standard. Allerdings, so ergänzt es Polus, achte das ZDF darauf, wie sich Gesellschaft und Sprache verändern würden. "Redaktionen sowie Moderatorinnen und Moderatoren entscheiden selbst, welche Form der Ansprache für das jeweilige Format am besten geeignet ist. Vorgaben gibt es nicht. Das betrifft auch die Veränderungen, die bei Interviews in Sport-Übertragungen zu beobachten sind: Für die jüngere Generation liegt das 'Du' oft näher."
"ran" arbeitet mit einer Kompromisslösung, wie ran-Sportchef Gernot Bauer erklärt: "Für unsere Reporter gilt die Vorgabe, die Sportler mit ‚Sie‘ anzusprechen, auch wenn im Sport das 'Du' zunehmend verbreitet ist. Ungefragtes Duzen lehnen wir ab. Stattdessen wird der Athlet vor dem Interview in der Regel direkt gefragt, wie er angesprochen werden möchte. Bei Trainern und Offiziellen bleiben wir grundsätzlich beim 'Sie'. Unsere ‚ran‘-Experten duzen wir dagegen generell, weil sie Teil des Teams und damit Arbeitskollegen sind."
Eines ist klar: Die einst so streng gehandhabte Regel, über die Ansprache mit dem "Sie" journalistische Distanz und Unabhängigkeit zu suggerieren, verwässert in diesen Wochen. Das dürfte somit auch Einfluss auf (Sport-)Journalistenschulen haben, wenn der flexible Umgang dauerhaft in den Redaktionen Einzug findet. Rösner selbst sagt: "Manchmal stocke ich auch noch, wenn ich eine Anrede mit Du höre, eben weil es anders ist als wir es lange gewohnt waren. Im Ergebnis finde ich es aber sehr gut."