Fast 60 Jahre hat "Aktenzeichen XY… ungelöst" nun schon auf dem Buckel - und doch gibt es Situationen, die die Macherinnen und Macher so noch nie erlebt haben. Als Rudi Cerne Anfang November on Air ging, konnte er die Sendung nicht zu Ende bringen. Weil die Ampel-Koalition in Berlin zerbrach, wurde die Ausstrahlung des Fahndungsklassikers abgebrochen. Sowas hat es in der Geschichte der Sendung noch nie gegeben.
Und auch wenn das ZDF mit dem Schritt möglicherweise einige "XY"-Fans verärgert haben sollte: Für Rudi Cerne, das "XY"-Team, die Redaktion Reihen und Serien in der Hauptredaktion Fernsehfilm/Serie I, in der die Sendung angesiedelt ist, und die Produktionsfirma Securitel war es ein sehr erfolgreiches Jahr. Im März wurde die 600. Ausgabe ausgestrahlt, im Sommer brillierte das Format mit Rekordquoten beim jungen Publikum und erzielte mehr als 25 Prozent Marktanteil - insgesamt schauen ohnehin regelmäßig rund fünf Millionen Menschen zu.
Und dann ist im September auch noch der neue Ableger "XY History" gestartet. Hier waren die Quoten zwar nicht ganz so hoch, allerdings ist dieses Spin-Off auch etwas ganz anderes. Der History-Ableger war ein kriminalhistorisches Format, das keinen aktuellen Ansatz hatte. Insofern war der Unterschied zu den anderen "XY"-Ablegern groß. Es ist die bereits siebte Sendung im "XY"-Kosmos gewesen - da drängt sich die Frage auf, welche Strategie das ZDF hier eigentlich fährt und wie es weitergeht.
Und genau mit dieser Frage hat man sich auch intern auf dem Lerchenberg zuletzt beschäftigt. Wie Frank Zervos, Leiter der ZDF-Hauptredaktion Fernsehfilm/Serie I und Stellvertretender Programmdirektor des ZDF, und Diana Kraus, Leiterin der Redaktion Reihen und Serien in der Hauptredaktion Fernsehfilm/Serie I, im Gespräch mit dem Medienmagazin DWDL.de bestätigen, hat es vor wenigen Wochen einen "XY"-Workshop gegeben, in dem man direktionsübergreifend ausgelotet hat, was mit der Marke künftig alles noch möglich ist - und wo man aufpassen muss, um den Kern von "XY" nicht zu verwässern.
Tücken bei Online-Verlängerungen
Und Diana Kraus ergänzt: "Der Kerngedanke war: Wir haben mit ‘XY’ einen so großen Schatz bei uns liegen, den wollen und können wir noch ausbauen." Ziel sei es gewesen, neue Formatideen zu finden. Und tatsächlich hat man auch einige dieser Ideen gefunden. "Dahinter steckt jetzt aber erst einmal viel Arbeit. Aktuell prüfen wir, was umsetzbar ist", sagt Kraus. Es geht den Verantwortlichen einerseits um klassische TV-Verlängerungen, aber auch um mögliche Online-Ableger. Und besonders beim zweiten Punkt müsse man die rechtlichen Restriktionen im Blick haben, so Kraus.
Der Markenkern der Sendung, die Fahndung nach Tatverdächtigen verschiedener Kriminalfälle, sorgt ganz automatisch für eine Beschränkung dessen, was online möglich ist. Da geht es vor allem um den Schutz von Persönlichkeitsrechten. Wenn die gesuchten Personen gefunden sind, entfällt die Grundlage für öffentliche Fahndung. Das heißt: Entsprechende Aufrufe müssen schnell wieder offline genommen werden. Auf den eigenen Seiten kann das Team das schnell umsetzen. Wenn diese Inhalte zuvor hundert- oder tausendfach geteilt wurden, wird das natürlich schwer.
Daher will man sich nun erst einmal auf YouTube als Plattform konzentrieren - mit Inhalten, die rechtlich weniger heikel sind als Fahndung, so Kraus. Wie man hier künftig genau in Erscheinung treten will, mit einem eigenen Kanal, einem eigenständigen Format, ob mit oder ohne Host - das alles ist noch unklar und Gegenstand laufender Überlegungen. Fest steht nur: Einen weiteren Podcast will man nicht launchen. Hier ist man seit einiger Zeit mit "Aktenzeichen XY… Unvergessene Verbrechen" ohnehin erfolgreich unterwegs. "Wir wissen, dass wir über den Podcast Menschen erreichen, die bislang noch keinen Kontakt zu ‘Aktenzeichen XY’ hatten", sagt Frank Zervos.
"XY" soll internationaler werden
Linear denkt man in klassischen Sendeplätzen, das können 45-minütige oder auch 90-minütige Ausgaben, auch kürzere Beiträge oder sonstige Specials sein. Zwei davon sind aktuell schon sehr konkret. So arbeitet man an einer Ausgabe, in der es deutlich internationaler zugehen wird als bislang in der Hauptsendung. Einen Bezug zu Deutschland soll es aber in jedem Fall geben, entweder sind also deutsche Verbrecher im Ausland flüchtig - oder ausländische Täter sind in Deutschland aktiv. Für diese Sendung arbeitet man aktuell mit Europol zusammen, geplant sind auch gemeinsame Fahndungsaufrufe - es wäre, wieder mal, eine Premiere in der langen Geschichte von "Aktenzeichen XY".
Ambitionen von SRF oder ORF, wieder in die Sendung einzusteigen, gibt es aktuell aber nicht. Die beiden öffentlich-rechtlichen Anstalten aus der Schweiz und Österreichs waren ja lange Teil von "Aktenzeichen XY", mehr als 30 Jahre lang lief das Format als Eurovisionssendung. Anfang der 00er Jahre stiegen ORF und SRF aus. 2020 kündigte der ORF zwar an, sich an einer eigenen Version von "Aktenzeichen XY" zu versuchen, später musste man das Projekt allerdings aus wirtschaftlichen Gründen absagen. Auf Anfrage verweist der ORF noch einmal auf für 2025 angekündigte (True-)Crime-Formate (DWDL.de berichtete). "Zu einer Beteiligung an 'Aktenzeichen XY' gibt es aktuell keine Pläne", so ein ORF-Sprecher.
Das ZDF plant derweil an den bestehenden Ablegern und ihrer Ausrichtung keine Veränderungen. Neben der Hauptsendung und dem History-Ableger gibt’s ja auch noch "Aktenzeichen XY... Vermisst", "Aktenzeichen XY... Cold Cases", "Aktenzeichen XY... Vorsicht, Betrug!", "Aktenzeichen XY... gelöst" und "XY gelöst". Vor allem die zwei "gelöst"-Ausgaben, einmal mit Rudi Cerne und Sven Voss, sind, trotz unterschiedlicher Aufmachung, aus Markensicht nicht ganz ideal, weil sich die Unterschiede nicht auf den ersten Blick ergeben. Weil von "XY gelöst" mittlerweile aber auch schon drei Staffeln zu sehen waren und die Quoten sehr gut waren, sieht man in Mainz offenkundig keinen Anlass, etwas zu ändern.
Was macht Rudi Cerne nach 2026?
Wie gehabt soll es auch künftig neben den eigenständigen "XY gelöst" und "XY History" zwei Spezial-Ausgaben pro Jahr geben, wobei man sich dabei abwechseln will. 2024 waren etwa "Aktenzeichen XY... gelöst" und "Aktenzeichen XY... Vermisst" zu sehen, 2025 kehren "Cold Cases" und "Vorsicht, Betrug!" zurück. Kurzfristige Änderungen sind wie immer nicht ausgeschlossen, vor allem beim "Vermisst"-Ableger ist es schon vorgekommen, dass man die Ausstrahlung verschieben musste, weil Fälle weggebrochen sind. Die Ermittlungsbehörden arbeiten schließlich auch ohne "Aktenzeichen XY" weiter - und da kann es dann auch vorkommen, dass vermisste Personen auftauchen, bevor die Sendung ausgestrahlt wurde.
Bleibt die Frage nach Rudi Cerne. Der Moderator ist 66 Jahre alt, vor wenigen Jahren wurde sein Vertrag bis 2026 verlängert. Und danach? Hier will man sich in Mainz aktuell noch nicht zu sehr in die Karten schauen lassen. "Rudi Cerne ist seit über 20 Jahren das Gesicht von ‚Aktenzeichen XY… Ungelöst‘ und das wird er auch noch bleiben", sagt Frank Zervos gegenüber DWDL.de mit Blick auf die Laufzeit des aktuellen Vertrags des Moderators.
Eine klare Ansage, dass Cerne 2026 altersbedingt in den Ruhestand geht, ist das aber auch nicht. In den zurückliegenden Jahren verabschiedeten sich einige bekannte Persönlichkeiten rechtzeitig zur Rente vom Bildschirm - etwa Claus Kleber im Jahr 2021, er war damals ebenfalls 66 Jahre alt. Möglich, dass es in diesem Fall anders kommen wird. Sicher ist das nicht. Die Frage nach der Zukunft von Rudi Cerne bleibt vorerst also ein ungelöster Fall...