Man stelle sich nur mal kurz dieses Szenario vor: Kein anderer TV-Sender und kein anderer Streaming-Dienst ließe hierzulande so viele Serien und Filme produzieren wie Magenta TV, die Fernsehplattform der Deutschen Telekom. Und die wären dann auch noch so relevant, dass sie die Auswahl der wichtigsten Filmfestivals dominieren. Eine Utopie, schon klar.
In Spanien sieht so die Realität aus. Was bei uns Magenta TV ist, heißt dort Movistar Plus und gehört zum Telekommunikationsriesen Telefónica – europaweit die Nummer zwei hinter der Telekom. Mit jährlich zehn fiktionalen Serien, acht Nonfiction-Formaten und sechs Spielfilmen ist Movistar nicht nur der größte nationale Investor in Qualitätsinhalte, sondern auch der mit Abstand führende unter Europas Telco-Konzernen.
Als Ende September das renommierte Filmfestival von San Sebastián stattfand, lag ein guter Teil der Aufmerksamkeit auf dem Hollywood-Glamour, den Stars wie Johnny Depp, Cate Blanchett oder Pamela Anderson in die Stadt im Baskenland trugen. Freilich kamen Branchenbeobachter nicht umhin, auch den reichhalltigen Output von Movistar Plus zu bemerken: Mit dem offiziellen Wettbewerbsfilm "Soy Nevenka", der Drama-Serie "Querer", dem Thriller-Mehrteiler "Celeste" und dem Dokumentarfilm "Mugaritz" war die Studio gewordene Plattform gleich vierfach im Programm des Festivals vertreten.
Seit Telefónica 2015 die spanischen Pay-TV-Aktivitäten von Canal+ aufgekauft und in Movistar Plus umbenannt hatte, sind Umfang und Diversität der beauftragten Produktionen nahezu ununterbrochen gestiegen. In den frühen Streaming-Jahren setzte man sich mit bewusst hohen Budgets an die Spitze der aufkommenden Local-Originals-Bewegung. International hochgelobte Serien wie "La Peste" oder "Gigantes", von Movistar Plus beauftragt und koproduziert, fielen dadurch auf, dass sie den Look hochwertiger US-Produktionen mit spezifischer spanischer Verortung verknüpften.
"Wir sind eine Plattform, die gute Filme unterstützt, und gute Filme brauchen einen Kinostart", sagte Corral bereits im Mai dem Branchendienst "Screen Daily". "Andererseits können wir, wenn wir koproduzieren, auf andere Optionen zurückgreifen, wie zum Beispiel das Pay-per-View-Fenster für zwei Jahre zu behalten. Wir schließen die Möglichkeit einer internationalen Koproduktion nicht aus, wenn wir uns die Rechte für einen bestimmten Film sichern wollen." Es hätte wohl kein größeres Ausrufezeichen hinter der neuen Strategie geben können als Anfang September den Goldenen Löwen von Venedig für Pedro Almodóvars Freundschaftsdrama "The Room Next Door" mit Julianne Moore und Tilda Swinton, das am 24. Oktober auch in den deutschen Kinos anläuft. Movistar hat den Film koproduziert und sich für Spanien ein zehnjähriges Exklusivfenster gesichert.
Pünktlich zum 100-jährigen Bestehen von Telefónica dürfte die weitere Stärkung von Movistar Plus höchst willkommen sein. Der Konzern kämpft an anderer Stelle darum, Schulden abzubauen und schwindende Gewinnmargen zu verteidigen. In den letzten drei Monaten wurde bekannt, dass Telefónica sich nach 18 Jahren aus Kolumbien zurückzieht und im stark umkämpften spanischen Markt ein Glasfaser-Joint-Venture mit Vodafone eingeht, um die hohen Infrastrukturkosten zu splitten. Anfang des Jahres hatte die spanische Regierung einen 10-Prozent-Anteil an Telefónica übernommen – als Reaktion auf die Ankündigung der Saudi Telecom Company, ihren 4,9-Prozent-Anteil zu verdoppeln.
Da Spanien im internationalen Vergleich eine ungewöhnlich hohe Konvergenz von Mobil- und Festnetzanschlüssen hat, bricht der Konzern seine Segmentberichterstattung für den Heimatmarkt nicht mehr herunter. Wie viel von den 12,7 Milliarden Euro Inlandsumsatz auf Movistar Plus entfällt, lässt sich daher nicht sagen. Für die Wertschöpfung pro Kunde sind TV und Streaming jedoch allemal lukrativer als Telefon und Internet. Die erhöhte Produktionsaktivität von Domingo Corral und seiner Truppe dürfte sich also rechnen.