Als Bruno Nahon im März den Hauptpreis der Series Mania – für die beste Serie des Jahres 2024 – entgegennehmen durfte, schloss sich für den Pariser Produzenten ein beinahe zehn Jahre währender Kreis aus Wagemut, Rückschlägen und Beharrlichkeit. Schon lange vor den heutigen Diskussionen über Künstliche Intelligenz und lange bevor Schach durch "Queen's Gambit" zum Serienknaller wurde, hatte Nahon den legendären Wettkampf zwischen Schachweltmeister Garri Kasparow und dem IBM-Supercomputer Deep Blue als Fiction-Stoff im Auge.
Allerdings erschien ihm die Idee nach eigenem Bekunden lange Zeit nicht umsetzbar, denn immerhin handelte es sich ja um eine halb amerikanische, halb sowjetische Geschichte, die größtenteils in New York und Philadelphia spielte und mit der Franzosen nicht viel zu tun hatten. Außer dass Nahon damals als 23-jähriger Student genauso mitgefiebert hatte wie Millionen Zuschauer weltweit. Warum nicht ähnlich selbstbewusst denken wie die Amerikaner, habe er sich schließlich gesagt: Die gehen doch auch überall hin, um die besten Geschichten zu erzählen.
Den wesentlichen Kreativmotor für das ehrgeizige Projekt fand Nahon in dem kanadischen Regisseur und Autor Yan England. Das Ergebnis – ein fesselnder Psychothriller in sechs Teilen – beweist, dass sich die Mühen der Produktion gelohnt haben. "Rematch" beginnt mit dem ersten Aufeinandertreffen von Mensch und Maschine 1996 in Philadelphia, bei dem der mehrfache russische Weltmeister Kasparow (Christian Cooke) gegen Deep Blue in einem Match über sechs Partien mit 4:2 gewinnt. Freilich – und das ist die eigentliche Sensation – verliert der Mann, der zuvor behauptet hat, niemals von einem Schachprogramm besiegt zu werden, gleich die allererste Partie, und das als erster Champion unter Turnierbedingungen in der Geschichte des Schachsports.
Mit dem Endergebnis kann Kasparow dennoch zufrieden sein, das menschliche Genie hat triumphiert und er 500.000 Dollar gewonnen. Als IBM in Gestalt der (fiktiven) aufstrebenden Managerin Helen Brock (Sarah Bolger) ein Rematch aushandeln will, lässt er sie zunächst abblitzen – ehe ihn die Kombination aus sportlichem Ehrgeiz, technologischer Neugier und der Aussicht auf eine Million Dollar Preisgeld doch zum Einschlagen bringt. Was in der Serienhandlung folgt, sind die minutiösen Vorbereitungen beider Seiten auf den ultimativen Wettkampf, über den die "New York Times" titelt, die Zukunft der Menschheit stehe auf dem Spiel. Während Kasparow unter strenger Anleitung seiner Mutter und Managerin Klara (Trine Dyrholm) Geist und Körper trainiert, rüstet Deep-Blue-Entwickler P.C. (Orion Lee) mit einem immer größer werdenden IBM-Team die Hardware so auf, dass sie bis zu 200 Millionen Züge pro Sekunde analysieren kann.
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Wie das neuntägige Match im Mai 1997 auf der 35. Etage des New Yorker Equitable Center am Ende ausgeht, ist bestens bekannt: Der Computer zwingt den Schachgroßmeister mit 3,5 zu 2,5 in die Knie. "Rematch" bezieht seine Spannung stattdessen aus dem fortwährenden Nervenkrieg am und jenseits des Schachbretts, aus dem immensen psychischen Druck, unter dem beide Seiten in wechselnder Intensität stehen. So wie man kein Schachkenner sein musste, um bei "Queen's Gambit" die dramatischen Motive von Ambition und Selbstverwirklichung zu verstehen, braucht es hier kein Expertenwissen, um den Thrill der Anspannung zu spüren, der sowohl für Kasparow als auch für die IBM-Techniker mit jedem wichtigen Zug verbunden ist.
Was "Rematch" herausragend macht, ist die Einbettung der Handlung ins Zeitkolorit. Es sind die 90er Jahre, in denen Schachweltmeisterschaften – nicht zuletzt dank charismatischer Figuren wie Kasparow – noch große mediale Ereignisse waren. Es sind aber auch die frühen Jahre des Internets, als die Online-Übertragung eines solchen Events noch alles andere als normal war. Einige Stufen naiver als heutzutage sorgte man sich darum, ob die Computer mit Übergang ins Jahr 2000 wohl ausfallen würden und ob maschinelle Intelligenz wie jene von Deep Blue einst den Menschen ersetzen könnte. Die Serie spielt intelligent im Hintergrund mit diesen Motiven und lässt sich so auch als historischer Resonanzraum für zunehmend existenzielle KI-Debatten lesen.
Der durchgehend auf Englisch gedrehte Sechsteiler wird von einem starken europäischen Schauspielerensemble getragen, allen voran der Brite Christian Cooke als Kasparow, der die innere Energie seiner Figur ebenso ausleuchtet wie deren Fragilität. Mit Hilfe von echten Schachgroßmeistern erlernte er zudem authentische Fingerfertigkeit am Brett und musste nicht gedoubelt werden.
Weil kein Stück der Handlung in Frankreich spielt, kein Französisch gesprochen wird und Auftraggeber Arte nicht mal ein Drittel des 9-Millionen-Euro-Budgets trägt, gestaltete sich die Finanzierung für Bruno Nahon herausfordernd. Weltvertrieb Federation Studios scheiterte mit dem Versuch eines Vorabverkaufs in die USA, ehe dann HBO Europe für Spanien, Portugal, Skandinavien, Benelux und Osteuropa zugriff und Disney+ die Rechte für Großbritannien sowie die Zweitverwertung in Frankreich erwarb.
"Rematch", ab 17. Oktober auf Arte