Für Ziad Doueiri war es ein logischer Weg von den Intrigen der französischen Innenpolitik zu den Schlachtfeldern des internationalen Kampfs gegen den IS-Terror: Der Oscar-nominierte französisch-libanesische Regisseur lieferte mit "Baron Noir" einst das legitime kontinentaleuropäische Pendant zu "House of Cards" – jetzt zerrt er sein Publikum auf ein ungleich härteres, komplexeres, tödlicheres Terrain. Doueiri, dessen Hollywood-Karriere als Kameraassistent bei Quentin Tarantinos "Reservoir Dogs" begann, wollte eigentlich keine Kriegsfilme drehen. Dann sah er mit eigenen Augen, wie Frankreichs Militär nach der Explosionskatastrophe 2020 in Beirut humanitäre Hilfe im Chaos leistete.

In der französischen Gesellschaft habe es keine Tradition, viel oder gar positiv über die eigene Armee zu sprechen, sagte Doueiri voriges Jahr gegenüber "Variety". Ein Befund, den man wohl auch für Deutschland teilen kann. Soldaten seien für ihn "Menschen, die hohe Risiken eingehen und viele heldenhafte Dinge tun". Einseitig oder gar unkritisch hat er sich ihnen dennoch nicht genähert, wie der von den "Büro der Legenden"-Autoren Dang Thai Duong und Corinne Garfin geschriebene Sechsteiler "Dark Hearts" ebenso eindrucksvoll wie nervenzerreißend unter Beweis stellt.

Die Miniserie spielt im Oktober 2016 kurz vor Beginn der Schlacht um Mossul und folgt einer geheimen Spezialeinheit der französischen Armee, die sich im Irak am internationalen Einsatz gegen die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) beteiligt. Ihre spezielle Mission: französische Staatsbürger ausfindig machen, die sich dem IS angeschlossen haben und sowohl im Irak als auch auf französischem Boden Anschläge planen. Deren Untergruppe "Coeurs Noirs" – schwarze Herzen – hat der Serie ihren Originaltitel gegeben. Gleichzeitig bedeutet die Redensart, ein schwarzes Herz zu haben, im Französischen auch, so verzweifelt zu sein, dass man nicht mehr an die Liebe glaubt.

So düster und schonungslos, wie die Ausgangslage vermuten lässt, erzählt "Dark Hearts" tatsächlich vom Alltag und den militärischen Einsätzen der Gruppe 45 rund um Kommandant Martin (Nicolas Duchauvelle), seinen Vize Olivier (Quentin Faure), Nachrichtenoffizierin Adèle (Marie Dompnier), Scharfschützin Sabrina (Nina Meurisse), Drohnenpilot Paco (Jérémy Nadeau), Sprengstoffexperte Spit (Victor Pontecorvo) und Sanitäter Rimbaud (Tewfik Jallab). In der ersten Folge nehmen sie Zaïd Osman (Moussa Maaskri), einen wichtigen französischen Dschihadisten, gefangen. Dieser erklärt sich zur Kooperation bereit – unter der Bedingung, dass seine Tochter und sein Enkel aus den Fängen des IS exfiltriert werden.

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Damit hat die Gruppe 45 ihren riskanten Geheimauftrag, der sie die ganze Staffel über in Anspruch nimmt. Hinzu kommen situative Konfrontationen mit vermeintlichen und tatsächlichen Terroristen, mit dem US-Militär, das den Gesamteinsatz koordiniert und über die größten Ressourcen verfügt, mit den kurdischen Verbündeten in Armee und Geheimdienst, die zwar das gleiche Ziel verfolgen, mitunter aber Methoden anwenden, zu denen Soldaten einer westlich-liberalen Demokratie tunlichst nicht greifen sollten. Über all den moralischen Dilemmata, verwirrenden Grauzonen, persönlichen Ängsten und Frustrationen steht der dringliche Erwartungsdruck, einen zweiten 13. November (die Pariser Terroranschläge von 2015) zu verhindern.

Was "Dark Hearts" zum packenden Gesamtpaket macht, ist der gelungene Mix aus harter, teils unerbittlicher Action, intelligentem geopolitischem Drama und einem Hauch Spionagethriller. Dass alle Schauspieler vor Drehbeginn eine Woche lang mit echten Spezialeinsatzkräften trainiert haben, die Produktion von einem unlängst pensionierten Offizier beraten wurde und Doueiri sich gar intensiv mit der akustischen Wahrnehmung von Militärschlägen durch die Bevölkerung in der Umgebung befasste, resultiert in dem Eindruck weitgehender Authentizität. Wie schon bei "Baron Noir" setzt Doueiri auf eine bewusst atemlose, immersive Bildführung und erzeugt per Handkamera und Steadycam das Gefühl körperlicher Nähe zu den Hauptfiguren.

Gedreht in Casablanca und Marrakesch, ist "Dark Hearts" die erste Koproduktion zwischen Amazon Prime Video und dem öffentlich-rechtlichen France 2. Dort lief die erste Staffel im Januar und Februar – ein knappes Jahr nach der Streaming-Premiere. Weil sie auf beiden Ausspielwegen höchst erfolgreich war – und weil der Cliffhanger am Ende der sechsten Folge es dringend gebietet, wird derzeit eine zweite Staffel gedreht. Seit Mai macht Prime Video dieses Highlight nun endlich auch seinen deutschen Abonnenten zugänglich.

"Dark Hearts", auf Prime Video