Wer die fürchterlichsten Orte unserer Zivilisation sucht, wird auf Musikfestivals zuverlässig und schnell fündig. Der Wackener Schlamm, Burning Man’s Wüstensand, das Eingangsgedrängel von Roskilde – alles Vorhöfe zur Hölle, also Durchgänge zum teuflischsten Ort diesseits der Bühne: Dixie-Klos. Wer zwischen Katerfrühstück, Hauptact, Dosenravioli je dem menschlichsten aller Bedürfnisse nachgehen und in einem der Plaste-Infernos Platz nehmen musste, hält Jauchegruben niedersächsischer Mastbetriebe fortan für Wellnessoasen.
Es gibt folglich kein unpassenderes Fleckchen auf Festivalerden als das mobile Toilettenhäuschen, auf dem Charlie etwas ungeheuer Intimes macht: einen Schwangerschaftstest. Schließlich muss es schnell gehen. Als die Informatik-Studentin (Roos Dickmann) mit dem Tagträumer Ziggy (Achraf Koutet) Sex im Zelt einer Techno-Party hatte, ist ihre Verhütungsmethode kollabiert. Und nichts käme dem Karriereplan der Computer-Spezialistin mehr ins Gehege als ein Baby. Noch.
Wenige Minuten der zweiten Folge einer belgischen Tragikomödie später nämlich diagnostiziert ihre Gynäkologin etwas extrem Seltenes bei der Mitzwanzigerin: Ihre Wechseljahre setzen vorzeitig ein. Falls sie sich vermehren will, dann jetzt! Und so sitzt Charlie bald darauf mit Ziggy in der Kinderwunschklinik von Dr. Deseure, die den Sprung zusehends seltener Eizellen registriert und gehörig Tempo macht: „In den nächsten 24 Stunden“, trägt sie dem frisch verliebten Paar auf, „müssen Sie mindestens viermal Sex haben“.
Klingt eigentlich ganz, nun ja – romantisch. Hier allerdings steigert es den Druck, physisch und psychisch funktionieren zu müssen, ins Unerträgliche. So wie bei allen, die sich von Dr. Deseure Hilfe erhoffen. Der Enddreißiger Bert (Dominique Van Malder) und seine ältere Freundin Kirstie (Janne Desmet) zum Beispiel, die trotz tickender biologischer Uhr von einer Großfamilie träumen. Oder die lesbische Ellen (Jade Ollieberg), deren Partnerin Zwo (Evelien Bosmans) auf Samenspender angewiesen ist.
Sie alle versuchen bislang vergebens schwanger zu werden, sie alle geraten darüber in beziehungsgefährdenden Streit, sie alle verbringen so viel Zeit im heillos überfüllten Wartezimmer, dass „The Club“ entsteht – wie der Achtteiler, der hierzulande bei ZDFneo zu sehen ist, heißt. Eine Notgemeinschaft ungleicher Schicksalsgenossen und -genossinnen. Denn gemeinsam, so lautet die Prämisse der beiden Headwriter, ist man schließlich stärker. Leander Verdievel und Zita Theunynck müssen es ja wissen: das federführende Drehbuch-Duo hat persönliche Erfahrungen mit solch einer Spezialklinik gemacht. Und das merkt man der Serie an.
Anders als bei konventionellen Medicals macht Regisseur Toon Slembrouck aus der autobiografisch geprägten Vorlage ein anrührendes, aber nie rührseliges Psychogramm reproduktionsmedizinischer Einzelfälle, die sich als Team durch den sehr persönlichen Super-GAU stockender Fortpflanzung kämpfen. Vorweg – und ganz wichtig: Am (hoffentlich nur vorläufigen) Ende dieser 240-minütigen Emotionsdruckbetankung gibt es keine Happyend-Garantien; dafür ist „The Club“ viel zu weit weg vom Wasser gebaut.
Was allerdings praktisch jeder Moment bietet, ist ein wohlaustariertes Ensemblestück, dessen Darstellerinnen und Darsteller ihre Figuren nicht nur spielen, sondern beseelen. Um willkürlich einen davon rauszupicken: Bierbauch, Muskelberge und Rübezahlbart des bärigen Fernfahrers Bert würden eigentlich eher zu den Motorrad-Machos der „Sons of Anarchy“ passen. Doch Dminique Van Malders spielt ihn mit einer Fragilität, die selten zuvor jemand von solche einer Statur verkörpern durfte.
Wie Bert buchstäblich in sich zusammenfällt, als er von seiner Zeugungsunfähigkeit erfährt und Kirstie daraufhin (ja, das gibt’s wirklich) „Sperma-Tinder“ nach Spendern durchsucht: das ist sogar an der fahrlässig miserablen Synchronisation vorbei fernsehpreiswürdig. Und es zeigt, wer neben dem sorgsam gewählten Cast die Nebenhauptrolle spielt: eine intime Melancholie von vielfach fast brüllender Stille. Sie untermalt den Soundtrack einer Serie, deren feinsinniger Humor über die Tragik platzender Träume hinweghilft – und dabei ziemlich raffiniert die westliche Leistungsgesellschaft skizziert. In ihr nämlich unterliegen selbst die natürlichsten Dinge der Welt einer selbstoptimierten Kontrollsucht.
Auch darauf allerdings drischt der fünfköpfige Writers Room um Verdievel und Theunynck nicht bloß stumpf ein; stattdessen sucht er lieber nach Erklärungen für den Verlust unserer Instinkte – was Kameramann Tom Bonroy virtuos in wechselnde Tiefen- oder Unschärfen übersetzt. „Ein Kind macht alles kaputt, Schluss, Punkt“, bügelt Charlie Ziggies zaghaften Kinderwunsch nach dem (negativen) Schwangerschaftstest auf der Festival-Hölle Dixie-Klo ab. Aber auch kein Kind, so zeigt sich nach einer Reihe Fehlgeburten, kann buchstäblich alles entzweischlagen. Ein Dilemma, das kaum ein medizinisches Filmformat klüger ausdiskutiert als die nächste kleine Sensationsfiktion vom Serien-Hotspot Belgien.
"The Club" steht in der ZDF-Mediathek zum Abruf bereit