Pubs sind in England bekanntlich beliebte Treffpunkte. Sie bringen Generationen zusammen ebenso wie unterschiedlichste Schichten der Gesellschaft. Man trifft sich. Und manchmal treffen sich dort auch Faust und Kinn, rechter Haken und Wangenknochen. Es mangelt wahrlich nicht an verfilmten Schlägereien in englischen Pubs, aber selten eskalieren sie so brutal choreographiert wie mitten in der Auftaktepisode von „Gangs of London“, wenn man Zeuge wird, wie ein Aschenbecher aus Glas ganz sicher nicht schmerzfrei mit dem Gesicht eines bösen Buben vereint bevor beide auf der Thekenkante zersplittern.
Diese Szenen kommen nicht von ungefähr: Die neue neunteilige Serie, die für Sky in Großbritannien nach eigenen Angaben der zweiterfolgreichste Serienstart aller Zeiten war, stammt aus der Feder von Gareth Evans und Matt Flannery. Martial Arts ist eine Leidenschaft der beiden, die gemeinsam schon einige indonesische Actionfilme wie die international bekannt gewordenen Streifen „The Raid“ und „The Raid 2“ umsetzten und so mangelt es der neuen Serie nicht an gewaltigen Szenen, deren Herleitungen zwar stets der Story dient und man sich doch mitten drin manchmal denkt: Jetzt ist aber gut.
Willkommen bei „Gangs of London“, wo "Darf’s ein bisschen mehr sein?“ ein Motto ist, dass sich durch diese Geschichte über der Londoner Unterwelt zieht. Und wo immer sich das organisierte Verbrechen in Verfilmungen seiner Widersacher entledigt, finden die Opfer auf furchteinflößende Art und Weise den Tod. Mit einem solchen Schocker beginnt auch die Sky-Serie und bringt danach ebenso flott die Story ins Rollen: Finn Wallace (gespielt von Colm Meaney), seit 20 Jahren prominentester und wichtigster Kopf der Londoner Unterwelt, wird ermordet. Niemand weiß, von wem - und ein Machtvakuum entsteht.
Die Familie, insbesondere sein Sohn Sean (gespielt von „Peaky Blinders“-Alumni Joe Cole), wollen die Aufklärung des Todes und Rache. Ihm hilft dabei ein rastloser Handlanger seines Vaters, Elliot (gespielt von Sole Dirisu), der sich damit Respekt und Aufstieg sichert. Doch manche Geschäftspartner seines Vaters treibt weniger diese emotionale Perspektive um als die sichere Fortführung der Geschäfte. Darum soll sich Ed (Lucian Msamati), kümmern, der den verstorbenen Finn seit Jahrzehnten kannte. Als rechte Hand arbeiteten beide zusammen seit sie sich in jungen Jahren geschworen haben, es der britischen Hauptstadt zu zeigen, in der lange galt „Traue keinem Schwarzen und keinem Iren.“ Doch Sohn Sean verlangt: Die Geschäfte stehen still bis der Mörder seines Vaters gefunden ist. Eine Forderung, der im Kollektiv aus diversen kriminellen Gangs mit wenig Loyalität begegnet wird.
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Das alles klingt erstmal konventionell und ist es auch. „Gangs of London“ ist in Zeiten von High-Concept-Serien ein vertrauter Crowd Pleaser über Macht, Kriminalität, Loyalität und den Wert von Familie in Kreisen, denen sonst wenig heilig ist. Mal im Anzug, mal mit hochgekrempelten Ärmeln. Ein klassischer Thriller zum Eintauchen, nur manchmal etwas profan. Ungewöhnlich wird die Serie immer dann, wenn es zur Konfrontation kommt. Dann merkt man die Handschrift von Gareth Evans, dessen aufwändig choreographierten Schlägereien und Gewaltorgien aus „The Raid“ in den vergangenen Jahren einen bleibenden Eindruck auch in Hollywood und jetzt dieser britischen Sky-Serie hinterlassen haben. Es ist die Action, die überzeugt und das nötige Tempo liefert, um dem wilden Ritt durch die Unterwelt einerseits und einer speziellen Familie andererseits, zu folgen.
Die Opulenz der Optik hebt die Serie hervor, da besteht kein Zweifel. Man kann „Gangs of London“ - das ab Donnerstag auch für die deutschen Sky-Kunden verfügbar ist - als brutale Hochglanz-Soap des organisierten Verbrechens bezeichnen, die in der expliziten Darstellung vor wenig zurückschreckt. Wendungen, wie am Ende der XXL-Auftaktfolge, ziehen einen immer wieder rein. Groß genug ist die uns hier offenbarte Welt, die in jener langen ersten Episode bereits ausgebreitet wird. Sicher auch ein Grund dafür, warum Sky nach den erfolgreichen Zugriffszahlen entschieden hat, „Gangs of London“ in eine zweite Staffel zu schicken, bei der AMC als amerikanischer Partner eingestiegen ist. 2021 soll gefilmt werden, 2022 die zweite Staffel vorliegen. Gut, dass es eine Fortsetzung gibt, denn - sagen wir es so - in dem hier gezeigten London kann niemals alles geklärt sein.